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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Wie die Renaissance -- um hier nur das Gebiet der Kunst und der Kunst-
industrie ins Auge zu fassen -- an das classische Alterthum anknüpfte und seine
Formelsprache, soweit man sie damals verstand, mit nationalen Elementen zu
einer originellen Einheit und Neuheit verschmolz, so knüpfen wir unsrerseits an
die Renaissance an, um nach besserer Erkenntniß der Antike aus dem Niedern
das Höhere zu entwickeln. Haftet nun auch deu Erzeugnissen der modernen
Industrie der Charakter des Reflectierten und Componierten an im Gegensatze
zu der naiven Schaffensfreudigkeit der Renaissancekünstler, so fällt doch der
reine, geläuterte Geschmack, die größere Noblesse der Form zu unsern Gunsten
in die Wagschaale. Noch fällt auf uns allerdings der Schatten der Nachahmer.
Unsern Werken fehlt jener eigenthümliche, unbeschreibliche Reiz der schüchternen,
vorsichtig tastenden Jungfräulichkeit. Die modernen Renaisfancearbeiten ver¬
halten sich zu den Originalen wie die zu üppiger, selbstgefälliger Schönheit er¬
schlossene Blüthe zu der zarten, sich halb erschließenden Knospe. Aber man
darf in der Beurtheilung der modernen Arbeiten nicht ungerecht sein und nicht
vergessen, daß wir uns erst im Anfange der Bewegung, in den ersten Stadien
des Uebergangs befinden. Unsere Unselbständigkeit und Unproductivität ist nur
die natürliche des Schülers, der nach den Mustern des Lehrers arbeitet. Nicht
die allgemeine Impotenz unseres Kunstgeistes, sondern nur die mißlichen Ver¬
hältnisse, unter denen Kunst und Kunstindustrie von den Freiheitskriegen bis
zum Beginne der neuesten politischen Entwicklung in Deutschland leben mußten,
haben es bewirkt, daß jene beiden Aeußerungen unsrer Cultur hinter den übrigen
zurückbleiben mußten. Kunst und Kunstindustrie führten von 1815 bis 1866 in
Deutschland rein insulare Existenzen, welche von der Gunst eines Fürsten oder
von dem Wohlwollen eines städtischen Gemeinwesens abhingen, in welchem sich
wie z. B. in Nürnberg alte Traditionen lebendig erhalten hatten.

Das ist seit 1866, mehr noch aber seit 1870 anders geworden. Wie ein
Frühlingssturm braust es jetzt durch die deutsche Kunstindustrie, die sich nun¬
mehr zu gemeinsamem Wirken zusammenthut und nach gemeinsamen Idealen
blickt, welche ihr kein grämlicher Doctrinarismns verkümmern soll. Das Feldge¬
schrei heißt dabei die Renaissance, weil man sich gewöhnt hat, in der Renaissance
den Höhepunkt einer Entwicklung zu sehen, die sich im 17. und 18. Jahrhun¬
dert, in den Kunstformen, die man barock, Rococo und zopfig zu nennen pflegt,
wieder abwärts bis zur völligen Entartung bewegt hat. Während in Frank¬
reich diese Entwicklung eine continuierliche war, ist sie in Deutschland durch den
dreißigjährigen Krieg jäh unterbrochen worden, ohne daß sich die Renaissance
vollständig ausgelebt hatte. Aus diesem Umstände leitet die moderne Bewegung ein
Recht mehr ab, an die Kunstbestrebungen des 16. Jahrhunderts wieder anzu¬
knüpfen.


Wie die Renaissance — um hier nur das Gebiet der Kunst und der Kunst-
industrie ins Auge zu fassen — an das classische Alterthum anknüpfte und seine
Formelsprache, soweit man sie damals verstand, mit nationalen Elementen zu
einer originellen Einheit und Neuheit verschmolz, so knüpfen wir unsrerseits an
die Renaissance an, um nach besserer Erkenntniß der Antike aus dem Niedern
das Höhere zu entwickeln. Haftet nun auch deu Erzeugnissen der modernen
Industrie der Charakter des Reflectierten und Componierten an im Gegensatze
zu der naiven Schaffensfreudigkeit der Renaissancekünstler, so fällt doch der
reine, geläuterte Geschmack, die größere Noblesse der Form zu unsern Gunsten
in die Wagschaale. Noch fällt auf uns allerdings der Schatten der Nachahmer.
Unsern Werken fehlt jener eigenthümliche, unbeschreibliche Reiz der schüchternen,
vorsichtig tastenden Jungfräulichkeit. Die modernen Renaisfancearbeiten ver¬
halten sich zu den Originalen wie die zu üppiger, selbstgefälliger Schönheit er¬
schlossene Blüthe zu der zarten, sich halb erschließenden Knospe. Aber man
darf in der Beurtheilung der modernen Arbeiten nicht ungerecht sein und nicht
vergessen, daß wir uns erst im Anfange der Bewegung, in den ersten Stadien
des Uebergangs befinden. Unsere Unselbständigkeit und Unproductivität ist nur
die natürliche des Schülers, der nach den Mustern des Lehrers arbeitet. Nicht
die allgemeine Impotenz unseres Kunstgeistes, sondern nur die mißlichen Ver¬
hältnisse, unter denen Kunst und Kunstindustrie von den Freiheitskriegen bis
zum Beginne der neuesten politischen Entwicklung in Deutschland leben mußten,
haben es bewirkt, daß jene beiden Aeußerungen unsrer Cultur hinter den übrigen
zurückbleiben mußten. Kunst und Kunstindustrie führten von 1815 bis 1866 in
Deutschland rein insulare Existenzen, welche von der Gunst eines Fürsten oder
von dem Wohlwollen eines städtischen Gemeinwesens abhingen, in welchem sich
wie z. B. in Nürnberg alte Traditionen lebendig erhalten hatten.

Das ist seit 1866, mehr noch aber seit 1870 anders geworden. Wie ein
Frühlingssturm braust es jetzt durch die deutsche Kunstindustrie, die sich nun¬
mehr zu gemeinsamem Wirken zusammenthut und nach gemeinsamen Idealen
blickt, welche ihr kein grämlicher Doctrinarismns verkümmern soll. Das Feldge¬
schrei heißt dabei die Renaissance, weil man sich gewöhnt hat, in der Renaissance
den Höhepunkt einer Entwicklung zu sehen, die sich im 17. und 18. Jahrhun¬
dert, in den Kunstformen, die man barock, Rococo und zopfig zu nennen pflegt,
wieder abwärts bis zur völligen Entartung bewegt hat. Während in Frank¬
reich diese Entwicklung eine continuierliche war, ist sie in Deutschland durch den
dreißigjährigen Krieg jäh unterbrochen worden, ohne daß sich die Renaissance
vollständig ausgelebt hatte. Aus diesem Umstände leitet die moderne Bewegung ein
Recht mehr ab, an die Kunstbestrebungen des 16. Jahrhunderts wieder anzu¬
knüpfen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/509>, abgerufen am 28.12.2024.