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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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streitiges Gebiet, worin sich zur Zeit die Extreme berühren. Die Stellung,
welche der Verfasser hierin einnimmt, gehört nicht zur extremen, neigt sich viel¬
mehr nach der freiheitlichen Seite mehr als nach der entgegengesetzten. Allent¬
halben aber muß auch der Leser, der nicht in allen Punkten mit ihm überein¬
stimmt, die Gediegenheit dieses Theiles seiner Schrift zugestehen. Nur wer
ähnliche Arbeiten gemacht hat, weiß den Umfang und die Größe der Studien
zu schätzen, die der Verfasser vor Niederschrift seiner Arbeit hat machen müssen.

Zunächst giebt Elster eine Reihe geschichtlicher Mittheilungen über die Ver¬
sicherungsgesetzgebung in Oesterreich, Frankreich, England und Nordamerika und
über die Bestrebungen in Deutschland, um zu einer solchen Gesetzgebung zu
gelangen. Diese Zusammenstellung ist deshalb sehr dankbar hinzunehmen, weil
die Literatur über diesen Gegenstand eine überaus zerstreute ist. Dann ent¬
wickelt er an der Hand des Reichskanzlerschreibens seine Ansichten über ein das
Lebensversicherungswesen behandelndes Gesetz. Er will das Gesetz möglichst
allgemein gehalten wissen, um neue Zweige des Versicherungswesens in ihrer
Entwicklung nicht zu hindern, will die sogenannten frommen Stiftungen vom
Gesetz ausschließen, dagegen auch die kleinern Unterstützungskassen, soweit sie
nicht bereits gesetzlich geregelt sind, dem Gesetze unterwerfen. Mit der letztern
Ansicht wird derjenige kaum übereinstimmen, der diese kleinen Vereine genauer
kennt, deren segensreiche Wirkung trotz ihrer oft sehr irrationeller Einrichtung
doch nicht gering anzuschlagen ist. Für die Concessionspflicht, wie sie bisher in
vielen Staaten, namentlich auch in Preußen bestanden hat, kann sich Elster mit
Recht nicht erwärmen. Anstatt dessen soll das Gesetz möglichst weitgehende
Publizität von Seiten der Gesellschaften vorschreiben, vollständige Trennung der
Lebensversicherung von andern Versicherungszweigen und ein genügendes Grund¬
capital verlangen. Auch im letzten Punkte kann man entgegengesetzter Meinung
sein. Ein großes Actiencapital ist eine Last für die Gesellschaft, die außerdem
Veranlassung zu unsolider Bewirthschaftung werden kann. Bei den Gegensei¬
tigkeitsanstalten hat die Erfahrung der letzten Jahre gelehrt, daß das soge¬
nannte Garantiecapital diesen Anstalten mehr geschadet als genützt hat, während
andrerseits der Beweis geliefert ist, wie auch ohne ein solches Capital eine
Lebensversicherungs-Gesellschaft gedeihen und vorwärts kommen kann, wenn auch
nur langsam und unter Anwendung großer Sparsamkeit. Elster giebt ferner
die einzelnen Bestimmungen an, welche die Versicherungsgesellschaften vor ihrer
Geschäftseröffnung erfüllen müssen, kommt dann auf die Vorschriften über den
technischen Theil der Verwaltung und betont, daß die Lebensversicherungs-Ge-
sellschaften vor allem die Grundlagen ihrer Berechnungen veröffentlichen sollen,
sicher eine gerechte Forderung.

Die wichtige Frage, ob das Gesetz Vorschriften über Prüfung der Pra-


streitiges Gebiet, worin sich zur Zeit die Extreme berühren. Die Stellung,
welche der Verfasser hierin einnimmt, gehört nicht zur extremen, neigt sich viel¬
mehr nach der freiheitlichen Seite mehr als nach der entgegengesetzten. Allent¬
halben aber muß auch der Leser, der nicht in allen Punkten mit ihm überein¬
stimmt, die Gediegenheit dieses Theiles seiner Schrift zugestehen. Nur wer
ähnliche Arbeiten gemacht hat, weiß den Umfang und die Größe der Studien
zu schätzen, die der Verfasser vor Niederschrift seiner Arbeit hat machen müssen.

Zunächst giebt Elster eine Reihe geschichtlicher Mittheilungen über die Ver¬
sicherungsgesetzgebung in Oesterreich, Frankreich, England und Nordamerika und
über die Bestrebungen in Deutschland, um zu einer solchen Gesetzgebung zu
gelangen. Diese Zusammenstellung ist deshalb sehr dankbar hinzunehmen, weil
die Literatur über diesen Gegenstand eine überaus zerstreute ist. Dann ent¬
wickelt er an der Hand des Reichskanzlerschreibens seine Ansichten über ein das
Lebensversicherungswesen behandelndes Gesetz. Er will das Gesetz möglichst
allgemein gehalten wissen, um neue Zweige des Versicherungswesens in ihrer
Entwicklung nicht zu hindern, will die sogenannten frommen Stiftungen vom
Gesetz ausschließen, dagegen auch die kleinern Unterstützungskassen, soweit sie
nicht bereits gesetzlich geregelt sind, dem Gesetze unterwerfen. Mit der letztern
Ansicht wird derjenige kaum übereinstimmen, der diese kleinen Vereine genauer
kennt, deren segensreiche Wirkung trotz ihrer oft sehr irrationeller Einrichtung
doch nicht gering anzuschlagen ist. Für die Concessionspflicht, wie sie bisher in
vielen Staaten, namentlich auch in Preußen bestanden hat, kann sich Elster mit
Recht nicht erwärmen. Anstatt dessen soll das Gesetz möglichst weitgehende
Publizität von Seiten der Gesellschaften vorschreiben, vollständige Trennung der
Lebensversicherung von andern Versicherungszweigen und ein genügendes Grund¬
capital verlangen. Auch im letzten Punkte kann man entgegengesetzter Meinung
sein. Ein großes Actiencapital ist eine Last für die Gesellschaft, die außerdem
Veranlassung zu unsolider Bewirthschaftung werden kann. Bei den Gegensei¬
tigkeitsanstalten hat die Erfahrung der letzten Jahre gelehrt, daß das soge¬
nannte Garantiecapital diesen Anstalten mehr geschadet als genützt hat, während
andrerseits der Beweis geliefert ist, wie auch ohne ein solches Capital eine
Lebensversicherungs-Gesellschaft gedeihen und vorwärts kommen kann, wenn auch
nur langsam und unter Anwendung großer Sparsamkeit. Elster giebt ferner
die einzelnen Bestimmungen an, welche die Versicherungsgesellschaften vor ihrer
Geschäftseröffnung erfüllen müssen, kommt dann auf die Vorschriften über den
technischen Theil der Verwaltung und betont, daß die Lebensversicherungs-Ge-
sellschaften vor allem die Grundlagen ihrer Berechnungen veröffentlichen sollen,
sicher eine gerechte Forderung.

Die wichtige Frage, ob das Gesetz Vorschriften über Prüfung der Pra-


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[0498] streitiges Gebiet, worin sich zur Zeit die Extreme berühren. Die Stellung, welche der Verfasser hierin einnimmt, gehört nicht zur extremen, neigt sich viel¬ mehr nach der freiheitlichen Seite mehr als nach der entgegengesetzten. Allent¬ halben aber muß auch der Leser, der nicht in allen Punkten mit ihm überein¬ stimmt, die Gediegenheit dieses Theiles seiner Schrift zugestehen. Nur wer ähnliche Arbeiten gemacht hat, weiß den Umfang und die Größe der Studien zu schätzen, die der Verfasser vor Niederschrift seiner Arbeit hat machen müssen. Zunächst giebt Elster eine Reihe geschichtlicher Mittheilungen über die Ver¬ sicherungsgesetzgebung in Oesterreich, Frankreich, England und Nordamerika und über die Bestrebungen in Deutschland, um zu einer solchen Gesetzgebung zu gelangen. Diese Zusammenstellung ist deshalb sehr dankbar hinzunehmen, weil die Literatur über diesen Gegenstand eine überaus zerstreute ist. Dann ent¬ wickelt er an der Hand des Reichskanzlerschreibens seine Ansichten über ein das Lebensversicherungswesen behandelndes Gesetz. Er will das Gesetz möglichst allgemein gehalten wissen, um neue Zweige des Versicherungswesens in ihrer Entwicklung nicht zu hindern, will die sogenannten frommen Stiftungen vom Gesetz ausschließen, dagegen auch die kleinern Unterstützungskassen, soweit sie nicht bereits gesetzlich geregelt sind, dem Gesetze unterwerfen. Mit der letztern Ansicht wird derjenige kaum übereinstimmen, der diese kleinen Vereine genauer kennt, deren segensreiche Wirkung trotz ihrer oft sehr irrationeller Einrichtung doch nicht gering anzuschlagen ist. Für die Concessionspflicht, wie sie bisher in vielen Staaten, namentlich auch in Preußen bestanden hat, kann sich Elster mit Recht nicht erwärmen. Anstatt dessen soll das Gesetz möglichst weitgehende Publizität von Seiten der Gesellschaften vorschreiben, vollständige Trennung der Lebensversicherung von andern Versicherungszweigen und ein genügendes Grund¬ capital verlangen. Auch im letzten Punkte kann man entgegengesetzter Meinung sein. Ein großes Actiencapital ist eine Last für die Gesellschaft, die außerdem Veranlassung zu unsolider Bewirthschaftung werden kann. Bei den Gegensei¬ tigkeitsanstalten hat die Erfahrung der letzten Jahre gelehrt, daß das soge¬ nannte Garantiecapital diesen Anstalten mehr geschadet als genützt hat, während andrerseits der Beweis geliefert ist, wie auch ohne ein solches Capital eine Lebensversicherungs-Gesellschaft gedeihen und vorwärts kommen kann, wenn auch nur langsam und unter Anwendung großer Sparsamkeit. Elster giebt ferner die einzelnen Bestimmungen an, welche die Versicherungsgesellschaften vor ihrer Geschäftseröffnung erfüllen müssen, kommt dann auf die Vorschriften über den technischen Theil der Verwaltung und betont, daß die Lebensversicherungs-Ge- sellschaften vor allem die Grundlagen ihrer Berechnungen veröffentlichen sollen, sicher eine gerechte Forderung. Die wichtige Frage, ob das Gesetz Vorschriften über Prüfung der Pra-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/498>, abgerufen am 28.12.2024.