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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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langen Fortschrittsbeinen, und im Osten stieg langsam und majestätisch im pur¬
purnen Gewände Phöbus Apollo am Himmel herauf.

Der weise Beschluß war den Athenern rasch bekannt geworden. Sie
lachten nicht mehr, sie lächelten nur und zuckten mitleidig die Achseln. Auf
Perikles' Rath beschlossen sie, das kleinste ihrer Kriegsschiffe nach Abdera zu
senden, und der Führer desselben erhielt den Auftrag, große Quantitäten Nieß-
wurz einzuladen, um damit das tolle Völkchen zu Verstände zu bringen. Als
aber die Abderiten erfuhren, daß dieses schrecklichste aller Kriegsmittel gegen sie
in Anwendung gebracht werden sollte, ergriff sie eine Furcht sonder gleichen.
Sie eilten in den Latonatempel und flehten die Göttin an um ihren Rath und
Beistand. Diese aber orakelte durch den Mund des Oberpriesters Ephialtes:
Klug sei es, klüger zu sein als Perikles, weiser denn Solon und heldenmütiger
als die Dreihundert von Sparta. Man müsse thun, was Perikles wolle, aber
nicht, weil er es wolle, sondern weil man selbst es wolle und schon ge¬
wollt habe, bevor Perikles es habe wollen können. Handle man klug,
weise und heldenmüthig, so werde man den Athenern und ihrem großen Zwie¬
belkopfe imponieren. Ganz Griechenland werde in der muthigen Unterwerfung
unter den nationalen Willen einen der größten Siege feiern, die jemals das
Reich verherrlicht, Perikles aber dadurch eine schmachvolle diplomatische Nieder¬
lage erleiden, die unfehlbar feinen Sturz herbeiführen werde.

Die abderitischen Häupter waren von diesem Orakelspruche sehr erbaut.
Furchtbare Kriegsrüstungen, die zu dem Zwecke betrieben worden waren,
Athen zu bekämpfen und das schwere Joch seiner Suprematie zu brechen, wurden
rasch eingestellt. Orestes erklärte, daß er im eigentlichen Verstände niemals
gegen den Eintritt in das nationale Wirthschafts- und Hcmdelsgebiet sich aus¬
gesprochen habe. "Aus Patriotismus", so rief er in einer großen Volksversamm¬
lung aus, "habe ich einige Bedenken gegen den Anschluß geäußert und aus
Patriotismus lasse ich diese Bedenken jetzt fallen." Der dunkle Kikirikikas
frohlockte: "Ich und alle erleuchteten Mitglieder des großen Rathes, die wir
,zur Zeit' gegen die Aufhebung der Freihafeustellung uns erklärten, erklären
uns ,zur Zeit° für die Aufhebung." Ein jeder wollte für den Zollanschlnß
gewirkt und geredet haben. Es wurde sogar gefährlich, die Freihafenstellung
noch zu vertheidigen.

Orestes und Kikirikikas eilten nach Athen, um Perikles die freie Entschlie¬
ßung der Abderiten kundzuthun. Hervorragende Mitglieder der Partei be¬
gleiteten sie. Der gefürchtete Donnerer empfing sie ohne Groll; nicht einmal die
gewaltigen Brauen zog er in die Höhe. Er lächelte nur und legte den Ab¬
gesandten Abderas schweigend die Bedingungen, unter denen der Eintritt zu
erfolgen hatte, zur Genehmigung und Unterschrift vor. Die Abderiten hießen


langen Fortschrittsbeinen, und im Osten stieg langsam und majestätisch im pur¬
purnen Gewände Phöbus Apollo am Himmel herauf.

Der weise Beschluß war den Athenern rasch bekannt geworden. Sie
lachten nicht mehr, sie lächelten nur und zuckten mitleidig die Achseln. Auf
Perikles' Rath beschlossen sie, das kleinste ihrer Kriegsschiffe nach Abdera zu
senden, und der Führer desselben erhielt den Auftrag, große Quantitäten Nieß-
wurz einzuladen, um damit das tolle Völkchen zu Verstände zu bringen. Als
aber die Abderiten erfuhren, daß dieses schrecklichste aller Kriegsmittel gegen sie
in Anwendung gebracht werden sollte, ergriff sie eine Furcht sonder gleichen.
Sie eilten in den Latonatempel und flehten die Göttin an um ihren Rath und
Beistand. Diese aber orakelte durch den Mund des Oberpriesters Ephialtes:
Klug sei es, klüger zu sein als Perikles, weiser denn Solon und heldenmütiger
als die Dreihundert von Sparta. Man müsse thun, was Perikles wolle, aber
nicht, weil er es wolle, sondern weil man selbst es wolle und schon ge¬
wollt habe, bevor Perikles es habe wollen können. Handle man klug,
weise und heldenmüthig, so werde man den Athenern und ihrem großen Zwie¬
belkopfe imponieren. Ganz Griechenland werde in der muthigen Unterwerfung
unter den nationalen Willen einen der größten Siege feiern, die jemals das
Reich verherrlicht, Perikles aber dadurch eine schmachvolle diplomatische Nieder¬
lage erleiden, die unfehlbar feinen Sturz herbeiführen werde.

Die abderitischen Häupter waren von diesem Orakelspruche sehr erbaut.
Furchtbare Kriegsrüstungen, die zu dem Zwecke betrieben worden waren,
Athen zu bekämpfen und das schwere Joch seiner Suprematie zu brechen, wurden
rasch eingestellt. Orestes erklärte, daß er im eigentlichen Verstände niemals
gegen den Eintritt in das nationale Wirthschafts- und Hcmdelsgebiet sich aus¬
gesprochen habe. „Aus Patriotismus", so rief er in einer großen Volksversamm¬
lung aus, „habe ich einige Bedenken gegen den Anschluß geäußert und aus
Patriotismus lasse ich diese Bedenken jetzt fallen." Der dunkle Kikirikikas
frohlockte: „Ich und alle erleuchteten Mitglieder des großen Rathes, die wir
,zur Zeit' gegen die Aufhebung der Freihafeustellung uns erklärten, erklären
uns ,zur Zeit° für die Aufhebung." Ein jeder wollte für den Zollanschlnß
gewirkt und geredet haben. Es wurde sogar gefährlich, die Freihafenstellung
noch zu vertheidigen.

Orestes und Kikirikikas eilten nach Athen, um Perikles die freie Entschlie¬
ßung der Abderiten kundzuthun. Hervorragende Mitglieder der Partei be¬
gleiteten sie. Der gefürchtete Donnerer empfing sie ohne Groll; nicht einmal die
gewaltigen Brauen zog er in die Höhe. Er lächelte nur und legte den Ab¬
gesandten Abderas schweigend die Bedingungen, unter denen der Eintritt zu
erfolgen hatte, zur Genehmigung und Unterschrift vor. Die Abderiten hießen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/475>, abgerufen am 29.12.2024.