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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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faßt zu haben, die von da aus westlich und nördlich bis zum Hauptmeridian
und zum Hauptparallelen reichten. Aber schon bei diesen letztgenannten Abthei¬
lungen kann man nicht mehr deutlich sehen, es zeigen sich Schwierigkeiten, die
Eratosthenes nicht überwinden konnte, und über alle weitern Abtheilungen im
Westen und Norden fehlt jede Nachricht außer der Bemerkung, Hipparch sei mit
ihrer Verzeichnung unzufrieden gewesen. Die allgemeine Bezeichnung derselben,
Plinthien oder Sphragiden, würde sich am besten durch unser Flächen oder
Felder wiedergeben lassen. Wie der ganzen Geographie des Eratosthenes, lag
auch dieser Theilung das geometrische Princip zu Grunde. Er führte die ein¬
zelnen Abtheilungen auf geometrische Figuren zurück und suchte sie nach Länge,
Breite und Flächeninhalt zu vermessen. Dieser Vermessung endlich ließ er die
chorographische Beschreibung der Länder folgen. Wie die vorhandenen Bruch¬
stücke derselben zeigen, nahm er dabei auf eigenthümliche Naturerscheinungen,
Producte, Handelsbeziehungen, Ethnographie, socialpolitische Verhältnisse Rück¬
sicht, muß aber im ganzen mehr eine hinreichende Charakteristik, als eine ein¬
gehende Darstellung im Auge gehabt haben. Daß die Beschreibung der west¬
lichen Theile der Oekumene besonders stark gegen die der hellenistischen Gebiete
zurücktreten mußte, ist selbstverständlich.

Wie sich die Zusammengehörigkeit der Dicäarchischen und Eratosthenischen
Geographie am deutlichsten in dem gleichen Eintheilungsprincip zeigt, so ist der
Fortschritt der letztern am schärfsten durch Vergleichung der beiden zu Grunde
liegenden Erdmessungsversuche zu erkennen. Auch die nächste Folgezeit aber
strebte unaufhaltsam weiter und überflügelte ihre Leistung bald nach verschie¬
denen Richtungen hin. Zunächst war es Eratosthenes nicht etwa gelungen, die
Zweifel an der Jnselgestalt der Oekumene zum Schweigen zu bringen, sie
regten sich im Gegentheil stärker als je. Die Berichte der Seefahrer und die
Auffassung dieser Berichte wurde scharf kritisiert und das Uebergewicht des Un-
erwiesenen festgestellt. Man wies darauf hin, daß aus den Flutherscheinungen,
nach deren Gleichmäßigkeit man nunmehr fortschreitend auch die Ungleichmüßig-
keiten constatierte, kein bindender Schluß auf den Zusammenhang des äußern
Meeres gezogen werden könne. Das Gewicht der Partei läßt sich deutlich
daraus erkennen, daß Strabo, der die Erdinsellehre mit Eifer vertheidigt, aus
dem Fluthphünomen nur die Wahrscheinlichkeit ableitet und endlich auch zuge¬
steht, wenn man durchaus die Umschiffbarkeit der unbefahrenen Küstenreste nicht
zugeben wolle, so sei es am Ende gleichgültig, ob man sich dort Wasser oder
unbewohnbares Land denke. Daß man vom Zweifel zu positiven Festsetzungen
fortschritt, zeigt zuletzt die Karte des Ptolemäus, auf welcher der indische Ocean
als Binnenmeer erscheint, das östliche Asien in unbekanntes Festland verläuft,
und der atlantische Ocean im Nordosten von Europa und im Südwesten von


Grenzboten IV. 1380. 69

faßt zu haben, die von da aus westlich und nördlich bis zum Hauptmeridian
und zum Hauptparallelen reichten. Aber schon bei diesen letztgenannten Abthei¬
lungen kann man nicht mehr deutlich sehen, es zeigen sich Schwierigkeiten, die
Eratosthenes nicht überwinden konnte, und über alle weitern Abtheilungen im
Westen und Norden fehlt jede Nachricht außer der Bemerkung, Hipparch sei mit
ihrer Verzeichnung unzufrieden gewesen. Die allgemeine Bezeichnung derselben,
Plinthien oder Sphragiden, würde sich am besten durch unser Flächen oder
Felder wiedergeben lassen. Wie der ganzen Geographie des Eratosthenes, lag
auch dieser Theilung das geometrische Princip zu Grunde. Er führte die ein¬
zelnen Abtheilungen auf geometrische Figuren zurück und suchte sie nach Länge,
Breite und Flächeninhalt zu vermessen. Dieser Vermessung endlich ließ er die
chorographische Beschreibung der Länder folgen. Wie die vorhandenen Bruch¬
stücke derselben zeigen, nahm er dabei auf eigenthümliche Naturerscheinungen,
Producte, Handelsbeziehungen, Ethnographie, socialpolitische Verhältnisse Rück¬
sicht, muß aber im ganzen mehr eine hinreichende Charakteristik, als eine ein¬
gehende Darstellung im Auge gehabt haben. Daß die Beschreibung der west¬
lichen Theile der Oekumene besonders stark gegen die der hellenistischen Gebiete
zurücktreten mußte, ist selbstverständlich.

Wie sich die Zusammengehörigkeit der Dicäarchischen und Eratosthenischen
Geographie am deutlichsten in dem gleichen Eintheilungsprincip zeigt, so ist der
Fortschritt der letztern am schärfsten durch Vergleichung der beiden zu Grunde
liegenden Erdmessungsversuche zu erkennen. Auch die nächste Folgezeit aber
strebte unaufhaltsam weiter und überflügelte ihre Leistung bald nach verschie¬
denen Richtungen hin. Zunächst war es Eratosthenes nicht etwa gelungen, die
Zweifel an der Jnselgestalt der Oekumene zum Schweigen zu bringen, sie
regten sich im Gegentheil stärker als je. Die Berichte der Seefahrer und die
Auffassung dieser Berichte wurde scharf kritisiert und das Uebergewicht des Un-
erwiesenen festgestellt. Man wies darauf hin, daß aus den Flutherscheinungen,
nach deren Gleichmäßigkeit man nunmehr fortschreitend auch die Ungleichmüßig-
keiten constatierte, kein bindender Schluß auf den Zusammenhang des äußern
Meeres gezogen werden könne. Das Gewicht der Partei läßt sich deutlich
daraus erkennen, daß Strabo, der die Erdinsellehre mit Eifer vertheidigt, aus
dem Fluthphünomen nur die Wahrscheinlichkeit ableitet und endlich auch zuge¬
steht, wenn man durchaus die Umschiffbarkeit der unbefahrenen Küstenreste nicht
zugeben wolle, so sei es am Ende gleichgültig, ob man sich dort Wasser oder
unbewohnbares Land denke. Daß man vom Zweifel zu positiven Festsetzungen
fortschritt, zeigt zuletzt die Karte des Ptolemäus, auf welcher der indische Ocean
als Binnenmeer erscheint, das östliche Asien in unbekanntes Festland verläuft,
und der atlantische Ocean im Nordosten von Europa und im Südwesten von


Grenzboten IV. 1380. 69
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[0457] faßt zu haben, die von da aus westlich und nördlich bis zum Hauptmeridian und zum Hauptparallelen reichten. Aber schon bei diesen letztgenannten Abthei¬ lungen kann man nicht mehr deutlich sehen, es zeigen sich Schwierigkeiten, die Eratosthenes nicht überwinden konnte, und über alle weitern Abtheilungen im Westen und Norden fehlt jede Nachricht außer der Bemerkung, Hipparch sei mit ihrer Verzeichnung unzufrieden gewesen. Die allgemeine Bezeichnung derselben, Plinthien oder Sphragiden, würde sich am besten durch unser Flächen oder Felder wiedergeben lassen. Wie der ganzen Geographie des Eratosthenes, lag auch dieser Theilung das geometrische Princip zu Grunde. Er führte die ein¬ zelnen Abtheilungen auf geometrische Figuren zurück und suchte sie nach Länge, Breite und Flächeninhalt zu vermessen. Dieser Vermessung endlich ließ er die chorographische Beschreibung der Länder folgen. Wie die vorhandenen Bruch¬ stücke derselben zeigen, nahm er dabei auf eigenthümliche Naturerscheinungen, Producte, Handelsbeziehungen, Ethnographie, socialpolitische Verhältnisse Rück¬ sicht, muß aber im ganzen mehr eine hinreichende Charakteristik, als eine ein¬ gehende Darstellung im Auge gehabt haben. Daß die Beschreibung der west¬ lichen Theile der Oekumene besonders stark gegen die der hellenistischen Gebiete zurücktreten mußte, ist selbstverständlich. Wie sich die Zusammengehörigkeit der Dicäarchischen und Eratosthenischen Geographie am deutlichsten in dem gleichen Eintheilungsprincip zeigt, so ist der Fortschritt der letztern am schärfsten durch Vergleichung der beiden zu Grunde liegenden Erdmessungsversuche zu erkennen. Auch die nächste Folgezeit aber strebte unaufhaltsam weiter und überflügelte ihre Leistung bald nach verschie¬ denen Richtungen hin. Zunächst war es Eratosthenes nicht etwa gelungen, die Zweifel an der Jnselgestalt der Oekumene zum Schweigen zu bringen, sie regten sich im Gegentheil stärker als je. Die Berichte der Seefahrer und die Auffassung dieser Berichte wurde scharf kritisiert und das Uebergewicht des Un- erwiesenen festgestellt. Man wies darauf hin, daß aus den Flutherscheinungen, nach deren Gleichmäßigkeit man nunmehr fortschreitend auch die Ungleichmüßig- keiten constatierte, kein bindender Schluß auf den Zusammenhang des äußern Meeres gezogen werden könne. Das Gewicht der Partei läßt sich deutlich daraus erkennen, daß Strabo, der die Erdinsellehre mit Eifer vertheidigt, aus dem Fluthphünomen nur die Wahrscheinlichkeit ableitet und endlich auch zuge¬ steht, wenn man durchaus die Umschiffbarkeit der unbefahrenen Küstenreste nicht zugeben wolle, so sei es am Ende gleichgültig, ob man sich dort Wasser oder unbewohnbares Land denke. Daß man vom Zweifel zu positiven Festsetzungen fortschritt, zeigt zuletzt die Karte des Ptolemäus, auf welcher der indische Ocean als Binnenmeer erscheint, das östliche Asien in unbekanntes Festland verläuft, und der atlantische Ocean im Nordosten von Europa und im Südwesten von Grenzboten IV. 1380. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/457>, abgerufen am 29.12.2024.