Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Pfahl Uebergang zur Tagesordnung, da der Landtag zur Entscheidung der
Frage nicht befugt sei. Das Plenum entschied im Sinne des erstem Antrags.

Denn allzu deutlich traten bereits die Folgen der leidigen Verordnung
hervor, nicht nnr in Böhmen, sondern auch in Mähren. Weit über das that¬
sächliche Bedürfniß hinaus drängte sich das Tschechische in die Sprache der
Gerichte ein. Die meisten Bescheide und Erledigungen mußten (und müssen)
zweisprachig herausgegeben werden, die Edicte und Bekanntmachungen des¬
gleichen, da der Richter ja nicht immer die Sprache der Parteien kennen konnte,
und viele, die recht gut deutsch verstanden, unbedingt tschechische Bescheide for¬
derten. Eine vollkommen unnütze und überaus kostspielige Vielschreiberei war
die Folge. Und wie wenig hierbei von der Befriedigung wirklicher Bedürfnisse
die Rede war, beweisen anmuthige Vorfälle u. a. beim Kreisgerichte Olmütz.
Bei einer Verhandlung wollte der Vorsitzende, ein Tscheche, den Vertreter des
Privatklägers zwingen, tschechisch zu sprechen, dieser lehnte das ab. Bei einer
andern Verhandlung erklärte der Vertheidiger eines tschechischen Angeklagten
gleichfalls gegenüber der Aufforderung des Vorsitzenden, tschechisch zu reden, er
werde sich nur der deutschen Sprache bedienen und hoffe dadurch seinem Clienten
mehr zu nützen, als mit einer tschechischen Rede.

Aber nicht bloß dies. Wer die Tschechen kannte, mußte sofort befürchten,
daß die Aprilverordnung ihre Ansprüche keineswegs befriedigen, sondern nur
steigern werde. Wir sehen dabei ab von so kindischen Demonstrationen, wie sie
den tschechischen Studenten Prags zum Spotte der Welt längst geläufig sind.
Ernster ist anderes. Schon in den Berathungen über die deutsch-böhmischen
Petitionen bezeichnete die tschechische Minorität des Landtagsausschusses es als
eine gerechte Forderung ihrer Nationalität, daß die innere Dienstsprache der
böhmischen Behörden die tschechische werde und setzten damit den ersten Para¬
graphen des tschechischen Memorandums wieder auf die Tagesordnung. Wo
sich irgend eine Handhabe bot, erhoben die tschechischen Blätter Beschwerde über
die bisherige Verwaltung. So beklagte sich (im Juli) der ?okrok darüber,
daß im Bezirke Trautenau, wo doch allein in der Stadt ein Drittel der Ein¬
wohner Tschechen seien, bisher der Bescheid auf tschechische Eingaben verzögert
oder in so schlechtem Tschechisch abgefaßt worden sei, daß niemand es verstanden
habe, und forderte deshalb für die Stellung des dortigen Bezirkshauptmanns
"eine geeignete Persönlichkeit", natürlich einen Tschechen. Und doch sind von
den 60000 Einwohnern des dortigen Bezirks höchstens 10000 tschechischer
Abkunft, viele von ihnen obendrein des Deutschen vollkommen mächtig, ja ge¬
zwungen es zu sein, denn die sehr bedeutende Industrie Trautenaus ist aus¬
schließlich in deutschen Händen. Weit entfernt von solchen Erwägungen sich be¬
stimmen zu lassen, erklärte der ?viel'ok anfangs September, die tschechischen


Pfahl Uebergang zur Tagesordnung, da der Landtag zur Entscheidung der
Frage nicht befugt sei. Das Plenum entschied im Sinne des erstem Antrags.

Denn allzu deutlich traten bereits die Folgen der leidigen Verordnung
hervor, nicht nnr in Böhmen, sondern auch in Mähren. Weit über das that¬
sächliche Bedürfniß hinaus drängte sich das Tschechische in die Sprache der
Gerichte ein. Die meisten Bescheide und Erledigungen mußten (und müssen)
zweisprachig herausgegeben werden, die Edicte und Bekanntmachungen des¬
gleichen, da der Richter ja nicht immer die Sprache der Parteien kennen konnte,
und viele, die recht gut deutsch verstanden, unbedingt tschechische Bescheide for¬
derten. Eine vollkommen unnütze und überaus kostspielige Vielschreiberei war
die Folge. Und wie wenig hierbei von der Befriedigung wirklicher Bedürfnisse
die Rede war, beweisen anmuthige Vorfälle u. a. beim Kreisgerichte Olmütz.
Bei einer Verhandlung wollte der Vorsitzende, ein Tscheche, den Vertreter des
Privatklägers zwingen, tschechisch zu sprechen, dieser lehnte das ab. Bei einer
andern Verhandlung erklärte der Vertheidiger eines tschechischen Angeklagten
gleichfalls gegenüber der Aufforderung des Vorsitzenden, tschechisch zu reden, er
werde sich nur der deutschen Sprache bedienen und hoffe dadurch seinem Clienten
mehr zu nützen, als mit einer tschechischen Rede.

Aber nicht bloß dies. Wer die Tschechen kannte, mußte sofort befürchten,
daß die Aprilverordnung ihre Ansprüche keineswegs befriedigen, sondern nur
steigern werde. Wir sehen dabei ab von so kindischen Demonstrationen, wie sie
den tschechischen Studenten Prags zum Spotte der Welt längst geläufig sind.
Ernster ist anderes. Schon in den Berathungen über die deutsch-böhmischen
Petitionen bezeichnete die tschechische Minorität des Landtagsausschusses es als
eine gerechte Forderung ihrer Nationalität, daß die innere Dienstsprache der
böhmischen Behörden die tschechische werde und setzten damit den ersten Para¬
graphen des tschechischen Memorandums wieder auf die Tagesordnung. Wo
sich irgend eine Handhabe bot, erhoben die tschechischen Blätter Beschwerde über
die bisherige Verwaltung. So beklagte sich (im Juli) der ?okrok darüber,
daß im Bezirke Trautenau, wo doch allein in der Stadt ein Drittel der Ein¬
wohner Tschechen seien, bisher der Bescheid auf tschechische Eingaben verzögert
oder in so schlechtem Tschechisch abgefaßt worden sei, daß niemand es verstanden
habe, und forderte deshalb für die Stellung des dortigen Bezirkshauptmanns
„eine geeignete Persönlichkeit", natürlich einen Tschechen. Und doch sind von
den 60000 Einwohnern des dortigen Bezirks höchstens 10000 tschechischer
Abkunft, viele von ihnen obendrein des Deutschen vollkommen mächtig, ja ge¬
zwungen es zu sein, denn die sehr bedeutende Industrie Trautenaus ist aus¬
schließlich in deutschen Händen. Weit entfernt von solchen Erwägungen sich be¬
stimmen zu lassen, erklärte der ?viel'ok anfangs September, die tschechischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148091"/>
          <p xml:id="ID_1180" prev="#ID_1179"> Pfahl Uebergang zur Tagesordnung, da der Landtag zur Entscheidung der<lb/>
Frage nicht befugt sei. Das Plenum entschied im Sinne des erstem Antrags.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1181"> Denn allzu deutlich traten bereits die Folgen der leidigen Verordnung<lb/>
hervor, nicht nnr in Böhmen, sondern auch in Mähren. Weit über das that¬<lb/>
sächliche Bedürfniß hinaus drängte sich das Tschechische in die Sprache der<lb/>
Gerichte ein. Die meisten Bescheide und Erledigungen mußten (und müssen)<lb/>
zweisprachig herausgegeben werden, die Edicte und Bekanntmachungen des¬<lb/>
gleichen, da der Richter ja nicht immer die Sprache der Parteien kennen konnte,<lb/>
und viele, die recht gut deutsch verstanden, unbedingt tschechische Bescheide for¬<lb/>
derten. Eine vollkommen unnütze und überaus kostspielige Vielschreiberei war<lb/>
die Folge. Und wie wenig hierbei von der Befriedigung wirklicher Bedürfnisse<lb/>
die Rede war, beweisen anmuthige Vorfälle u. a. beim Kreisgerichte Olmütz.<lb/>
Bei einer Verhandlung wollte der Vorsitzende, ein Tscheche, den Vertreter des<lb/>
Privatklägers zwingen, tschechisch zu sprechen, dieser lehnte das ab. Bei einer<lb/>
andern Verhandlung erklärte der Vertheidiger eines tschechischen Angeklagten<lb/>
gleichfalls gegenüber der Aufforderung des Vorsitzenden, tschechisch zu reden, er<lb/>
werde sich nur der deutschen Sprache bedienen und hoffe dadurch seinem Clienten<lb/>
mehr zu nützen, als mit einer tschechischen Rede.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1182" next="#ID_1183"> Aber nicht bloß dies. Wer die Tschechen kannte, mußte sofort befürchten,<lb/>
daß die Aprilverordnung ihre Ansprüche keineswegs befriedigen, sondern nur<lb/>
steigern werde. Wir sehen dabei ab von so kindischen Demonstrationen, wie sie<lb/>
den tschechischen Studenten Prags zum Spotte der Welt längst geläufig sind.<lb/>
Ernster ist anderes. Schon in den Berathungen über die deutsch-böhmischen<lb/>
Petitionen bezeichnete die tschechische Minorität des Landtagsausschusses es als<lb/>
eine gerechte Forderung ihrer Nationalität, daß die innere Dienstsprache der<lb/>
böhmischen Behörden die tschechische werde und setzten damit den ersten Para¬<lb/>
graphen des tschechischen Memorandums wieder auf die Tagesordnung. Wo<lb/>
sich irgend eine Handhabe bot, erhoben die tschechischen Blätter Beschwerde über<lb/>
die bisherige Verwaltung. So beklagte sich (im Juli) der ?okrok darüber,<lb/>
daß im Bezirke Trautenau, wo doch allein in der Stadt ein Drittel der Ein¬<lb/>
wohner Tschechen seien, bisher der Bescheid auf tschechische Eingaben verzögert<lb/>
oder in so schlechtem Tschechisch abgefaßt worden sei, daß niemand es verstanden<lb/>
habe, und forderte deshalb für die Stellung des dortigen Bezirkshauptmanns<lb/>
&#x201E;eine geeignete Persönlichkeit", natürlich einen Tschechen. Und doch sind von<lb/>
den 60000 Einwohnern des dortigen Bezirks höchstens 10000 tschechischer<lb/>
Abkunft, viele von ihnen obendrein des Deutschen vollkommen mächtig, ja ge¬<lb/>
zwungen es zu sein, denn die sehr bedeutende Industrie Trautenaus ist aus¬<lb/>
schließlich in deutschen Händen. Weit entfernt von solchen Erwägungen sich be¬<lb/>
stimmen zu lassen, erklärte der ?viel'ok anfangs September, die tschechischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0444] Pfahl Uebergang zur Tagesordnung, da der Landtag zur Entscheidung der Frage nicht befugt sei. Das Plenum entschied im Sinne des erstem Antrags. Denn allzu deutlich traten bereits die Folgen der leidigen Verordnung hervor, nicht nnr in Böhmen, sondern auch in Mähren. Weit über das that¬ sächliche Bedürfniß hinaus drängte sich das Tschechische in die Sprache der Gerichte ein. Die meisten Bescheide und Erledigungen mußten (und müssen) zweisprachig herausgegeben werden, die Edicte und Bekanntmachungen des¬ gleichen, da der Richter ja nicht immer die Sprache der Parteien kennen konnte, und viele, die recht gut deutsch verstanden, unbedingt tschechische Bescheide for¬ derten. Eine vollkommen unnütze und überaus kostspielige Vielschreiberei war die Folge. Und wie wenig hierbei von der Befriedigung wirklicher Bedürfnisse die Rede war, beweisen anmuthige Vorfälle u. a. beim Kreisgerichte Olmütz. Bei einer Verhandlung wollte der Vorsitzende, ein Tscheche, den Vertreter des Privatklägers zwingen, tschechisch zu sprechen, dieser lehnte das ab. Bei einer andern Verhandlung erklärte der Vertheidiger eines tschechischen Angeklagten gleichfalls gegenüber der Aufforderung des Vorsitzenden, tschechisch zu reden, er werde sich nur der deutschen Sprache bedienen und hoffe dadurch seinem Clienten mehr zu nützen, als mit einer tschechischen Rede. Aber nicht bloß dies. Wer die Tschechen kannte, mußte sofort befürchten, daß die Aprilverordnung ihre Ansprüche keineswegs befriedigen, sondern nur steigern werde. Wir sehen dabei ab von so kindischen Demonstrationen, wie sie den tschechischen Studenten Prags zum Spotte der Welt längst geläufig sind. Ernster ist anderes. Schon in den Berathungen über die deutsch-böhmischen Petitionen bezeichnete die tschechische Minorität des Landtagsausschusses es als eine gerechte Forderung ihrer Nationalität, daß die innere Dienstsprache der böhmischen Behörden die tschechische werde und setzten damit den ersten Para¬ graphen des tschechischen Memorandums wieder auf die Tagesordnung. Wo sich irgend eine Handhabe bot, erhoben die tschechischen Blätter Beschwerde über die bisherige Verwaltung. So beklagte sich (im Juli) der ?okrok darüber, daß im Bezirke Trautenau, wo doch allein in der Stadt ein Drittel der Ein¬ wohner Tschechen seien, bisher der Bescheid auf tschechische Eingaben verzögert oder in so schlechtem Tschechisch abgefaßt worden sei, daß niemand es verstanden habe, und forderte deshalb für die Stellung des dortigen Bezirkshauptmanns „eine geeignete Persönlichkeit", natürlich einen Tschechen. Und doch sind von den 60000 Einwohnern des dortigen Bezirks höchstens 10000 tschechischer Abkunft, viele von ihnen obendrein des Deutschen vollkommen mächtig, ja ge¬ zwungen es zu sein, denn die sehr bedeutende Industrie Trautenaus ist aus¬ schließlich in deutschen Händen. Weit entfernt von solchen Erwägungen sich be¬ stimmen zu lassen, erklärte der ?viel'ok anfangs September, die tschechischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/444
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/444>, abgerufen am 29.12.2024.