Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.und Uebertreibung der Antisemitenliga darf nicht unsere Waffe sein. Wir müssen Treitschke, dessen moralischer Muth uns allen ein leuchtendes Beispiel ist, und Uebertreibung der Antisemitenliga darf nicht unsere Waffe sein. Wir müssen Treitschke, dessen moralischer Muth uns allen ein leuchtendes Beispiel ist, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148077"/> <p xml:id="ID_1136" prev="#ID_1135"> und Uebertreibung der Antisemitenliga darf nicht unsere Waffe sein. Wir müssen<lb/> damit anfangen, unsere Bildung zu der Einsicht zu vertiefen, daß Nationalität<lb/> im geistigen Sinne nur möglich ist, wo Religion, Moral, Staat, Wissenschaft<lb/> und Kunst nur Zweige eines Stammes sind. Volksthümlich kann diese höchste<lb/> Bildung nur werden durch den innigsten Bund, den die tiefste deutsche Wissen¬<lb/> schaft mit der evangelischen Kirche schließt. Dieser Bund kann nicht erstrebt<lb/> werden, so lange Herr Stöcker und seine Freunde die evangelische Kirche ter¬<lb/> rorisieren. Wenn wir erst die deutsche evangelische Kirche haben, dann werden<lb/> wir auch den evangelischen Staat erhalten, der seine autoritativen Stellungen<lb/> nur den Gliedern seiner Kirche einräumt, und dessen Schulen von der Religion<lb/> durchdrungen sind in allen Zweigen des Unterrichts. Einstweilen könnten wir<lb/> die erste Forderung der Antisemitenpetition verwirklichen, nicht als Maßregel<lb/> gegen die Juden, aber als Zeichen der Ehre, die wir unserm nationalen Bürger¬<lb/> rechte erweisen, wenn wir die Naturalisation nicht an die Erlegung von einer<lb/> Mark und 25 Pf,, sondern an die schweren Bedingungen aller großen Völker<lb/> knüpfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1137" next="#ID_1138"> Treitschke, dessen moralischer Muth uns allen ein leuchtendes Beispiel ist,<lb/> hat doch in dieser Frage, in der er auf sein erstes Wort einen unklaren Wieder¬<lb/> hall vernommen, die rechte Stellung nicht gefunden. Der intellectuelle Muth<lb/> reicht bei ihm nicht so weit wie der moralische. Er hat vor den Forderungen<lb/> der Autisemitenpetition Kehrt gemacht, gerade wie Stöcker, anstatt die Noth¬<lb/> wendigkeit ihrer Verwirklichung wenigstens in der Ferne zu sehen, und hat eben¬<lb/> falls wie Stöcker sich vor dem Geßlerhut der absurden Theorie des modernen<lb/> Staatsbürgerrechts verbeugt. Dies sührt ihn in seiner neuesten Erklärung auf<lb/> eine Lösung der Judenfrage, welch gleich abstoßend ist für den Christen, für den<lb/> Deutschen und für den Juden, die ihres Namens edle Eigenschaften kennen.<lb/> „Die Juden sollen Deutsche werden, sich schlicht und recht als Deutsche fühlen"<lb/> und danach wohl auch ethnisch mit den Deutschen zusammenschmelzen. Da<lb/> müßten sie doch wohl das Christenthum annehmen und ihr ethnischer Typus<lb/> müßte in den Deutschen ausgehen. In seiner ersten Aeußerung über den Gegen¬<lb/> stand hatte sich Treitschke mit Recht gegen das Unwesen einer deutsch-jüdischen<lb/> Cultur oder Amateur ausgesprochen. Denkt man sich einen Juden, der den<lb/> Vorzug genießt, sich die tiefsten Schätze deutscher Bildung angeeignet zu haben,<lb/> so müßte er als echter zarter Mensch doch vor dem Verschwinden der ethnischen<lb/> Nationalität des Judenthums zurückschaudern. Die rechte Lösung der Judenfrage<lb/> ist nur die, welche zugleich den Deutschen und den Juden in seinem heiligsten<lb/> Gefühle befriedigt. Die Juden mögen uns social gleichgestellt bleiben, aber sie<lb/> mögen, sofern nicht innere Ueberzeugung den Einzelnen zum Christenthums führt,<lb/> auch die religiös nationale Gemeinschaft pflegen, aus der sie ihr sittliches Leben</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0430]
und Uebertreibung der Antisemitenliga darf nicht unsere Waffe sein. Wir müssen
damit anfangen, unsere Bildung zu der Einsicht zu vertiefen, daß Nationalität
im geistigen Sinne nur möglich ist, wo Religion, Moral, Staat, Wissenschaft
und Kunst nur Zweige eines Stammes sind. Volksthümlich kann diese höchste
Bildung nur werden durch den innigsten Bund, den die tiefste deutsche Wissen¬
schaft mit der evangelischen Kirche schließt. Dieser Bund kann nicht erstrebt
werden, so lange Herr Stöcker und seine Freunde die evangelische Kirche ter¬
rorisieren. Wenn wir erst die deutsche evangelische Kirche haben, dann werden
wir auch den evangelischen Staat erhalten, der seine autoritativen Stellungen
nur den Gliedern seiner Kirche einräumt, und dessen Schulen von der Religion
durchdrungen sind in allen Zweigen des Unterrichts. Einstweilen könnten wir
die erste Forderung der Antisemitenpetition verwirklichen, nicht als Maßregel
gegen die Juden, aber als Zeichen der Ehre, die wir unserm nationalen Bürger¬
rechte erweisen, wenn wir die Naturalisation nicht an die Erlegung von einer
Mark und 25 Pf,, sondern an die schweren Bedingungen aller großen Völker
knüpfen.
Treitschke, dessen moralischer Muth uns allen ein leuchtendes Beispiel ist,
hat doch in dieser Frage, in der er auf sein erstes Wort einen unklaren Wieder¬
hall vernommen, die rechte Stellung nicht gefunden. Der intellectuelle Muth
reicht bei ihm nicht so weit wie der moralische. Er hat vor den Forderungen
der Autisemitenpetition Kehrt gemacht, gerade wie Stöcker, anstatt die Noth¬
wendigkeit ihrer Verwirklichung wenigstens in der Ferne zu sehen, und hat eben¬
falls wie Stöcker sich vor dem Geßlerhut der absurden Theorie des modernen
Staatsbürgerrechts verbeugt. Dies sührt ihn in seiner neuesten Erklärung auf
eine Lösung der Judenfrage, welch gleich abstoßend ist für den Christen, für den
Deutschen und für den Juden, die ihres Namens edle Eigenschaften kennen.
„Die Juden sollen Deutsche werden, sich schlicht und recht als Deutsche fühlen"
und danach wohl auch ethnisch mit den Deutschen zusammenschmelzen. Da
müßten sie doch wohl das Christenthum annehmen und ihr ethnischer Typus
müßte in den Deutschen ausgehen. In seiner ersten Aeußerung über den Gegen¬
stand hatte sich Treitschke mit Recht gegen das Unwesen einer deutsch-jüdischen
Cultur oder Amateur ausgesprochen. Denkt man sich einen Juden, der den
Vorzug genießt, sich die tiefsten Schätze deutscher Bildung angeeignet zu haben,
so müßte er als echter zarter Mensch doch vor dem Verschwinden der ethnischen
Nationalität des Judenthums zurückschaudern. Die rechte Lösung der Judenfrage
ist nur die, welche zugleich den Deutschen und den Juden in seinem heiligsten
Gefühle befriedigt. Die Juden mögen uns social gleichgestellt bleiben, aber sie
mögen, sofern nicht innere Ueberzeugung den Einzelnen zum Christenthums führt,
auch die religiös nationale Gemeinschaft pflegen, aus der sie ihr sittliches Leben
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