Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch sie erkennt das Princip an, daß der Einfluß jeder Volksklasse in dem-
selben Maße steigen müsse, in welchem ihre politische Bildung und Urtheils-
fähigkeit abnimmt, und giebt damit ein sicheres Bollwerk gegen die Aristokratie
der Intelligenz. Indeß die Frankfurter Verfassung hat noch tiefer aus dem
Brunnen der Weisheit jener Theoretiker geschöpft, welche seit dem (üontrat social
nichts gelernt und viel vergessen haben, jener Theoretiker, deren Phantome uns
in sechs Monaten des vorigen Sommers mehr an Blut, Geld und Thränen
gekostet haben als ein dreinnddreißigjähriger Absolutismus." Der Redner charak¬
terisierte dann die Frankfurter Verfassung und erklärte sich zunächst deshalb
gegen sie, weil sie den Stempel der Volkssouveränetät an der Stirne trage,
dann weil sie directe Wahlen mit allgemeinem Stimmrechte anordne, was die
Linke bedeutend verstärken werde, dann, weil Preußen im Staatenhause nicht
genügend vertreten sein solle. "Preußen soll zum Staatenhause 40 Abgeordnete
nach Frankfurt schicken, also einen auf 400000; die Baiern sind schon mehr werth,
da kommt auf 200000 einer, in Weimar auf 120000, in Hessen-Homburg auf
26000, und Liechtenstein, das so viel Einwohner hat als Schöneberg hier vor
dem Halleschen Thore, würde im Staatenhause denselben Einfluß ausüben wie
die Mehrzahl der preußischen Regierungsbezirke mit 400000 und mehr Ein¬
wohnern." Ein weiteres Uebel der Frankfurter Verfassung ist dem Redner die
von ihr verlangte jährliche Bewilligung des Budgets. "Durch diesen Para¬
graphen," sagte er, "ist es in die Hände derjenigen Majorität, die aus dem
Lottospiele dieser directen Wahlen hervorgehen wird, und welche nicht die ge¬
ringste Garantie bietet, daß sie urtheilsfähig oder auch nur vou gutem Willen
sein wird, in die Hände dieser Majorität ist es gelegt, die Staatsmaschine in
jedem Augenblicke zum Stillstande zu bringen, indem sie das Budget nicht wieder
bewilligt und so als Convent die ganze königliche und jede andere Macht im
Staate neutralisiert .... Die Frankfurter Verfassung verlangt ferner von ihrem
zukünftigen Kaiser, daß er ihr das ganze Deutschland schaffe, so, wie es früher
den deutschen Bund gebildet hat .... Es wird also der König, wenn er Kaiser
würde, genöthigt sein, nach Oesterreich u. s. w. deutsche Commissäre zu schicken,
um dort das Zoll- und Münzwesen u. tgi. zu regulieren, die dortigen Armeen
in Eid und Pflicht zu nehmen und zu verbieten, eine österreichische Flotte
anderswo zu halten als in Fiume oder längs der dalmatinischen Küste; denn
Trieft würde ein Reichshafen sein. Es wäre möglich, daß Oesterreich oder ein
Staat wie Baiern sich dem nicht unterwerfen möchte. Dann würde der Kaiser
genöthigt sein, die dortigen Fürsten als Rebellen zu behandeln und etwa an
die Thatkraft der Baiern gegen das Haus Wittelsbach oder an die Thatkraft
der Hannoveraner gegen das Haus der Welsen zu appellieren .... Die Herren
von der äußersten Linken in Frankfurt----verlangen das. Es wird nicht


Auch sie erkennt das Princip an, daß der Einfluß jeder Volksklasse in dem-
selben Maße steigen müsse, in welchem ihre politische Bildung und Urtheils-
fähigkeit abnimmt, und giebt damit ein sicheres Bollwerk gegen die Aristokratie
der Intelligenz. Indeß die Frankfurter Verfassung hat noch tiefer aus dem
Brunnen der Weisheit jener Theoretiker geschöpft, welche seit dem (üontrat social
nichts gelernt und viel vergessen haben, jener Theoretiker, deren Phantome uns
in sechs Monaten des vorigen Sommers mehr an Blut, Geld und Thränen
gekostet haben als ein dreinnddreißigjähriger Absolutismus." Der Redner charak¬
terisierte dann die Frankfurter Verfassung und erklärte sich zunächst deshalb
gegen sie, weil sie den Stempel der Volkssouveränetät an der Stirne trage,
dann weil sie directe Wahlen mit allgemeinem Stimmrechte anordne, was die
Linke bedeutend verstärken werde, dann, weil Preußen im Staatenhause nicht
genügend vertreten sein solle. „Preußen soll zum Staatenhause 40 Abgeordnete
nach Frankfurt schicken, also einen auf 400000; die Baiern sind schon mehr werth,
da kommt auf 200000 einer, in Weimar auf 120000, in Hessen-Homburg auf
26000, und Liechtenstein, das so viel Einwohner hat als Schöneberg hier vor
dem Halleschen Thore, würde im Staatenhause denselben Einfluß ausüben wie
die Mehrzahl der preußischen Regierungsbezirke mit 400000 und mehr Ein¬
wohnern." Ein weiteres Uebel der Frankfurter Verfassung ist dem Redner die
von ihr verlangte jährliche Bewilligung des Budgets. „Durch diesen Para¬
graphen," sagte er, „ist es in die Hände derjenigen Majorität, die aus dem
Lottospiele dieser directen Wahlen hervorgehen wird, und welche nicht die ge¬
ringste Garantie bietet, daß sie urtheilsfähig oder auch nur vou gutem Willen
sein wird, in die Hände dieser Majorität ist es gelegt, die Staatsmaschine in
jedem Augenblicke zum Stillstande zu bringen, indem sie das Budget nicht wieder
bewilligt und so als Convent die ganze königliche und jede andere Macht im
Staate neutralisiert .... Die Frankfurter Verfassung verlangt ferner von ihrem
zukünftigen Kaiser, daß er ihr das ganze Deutschland schaffe, so, wie es früher
den deutschen Bund gebildet hat .... Es wird also der König, wenn er Kaiser
würde, genöthigt sein, nach Oesterreich u. s. w. deutsche Commissäre zu schicken,
um dort das Zoll- und Münzwesen u. tgi. zu regulieren, die dortigen Armeen
in Eid und Pflicht zu nehmen und zu verbieten, eine österreichische Flotte
anderswo zu halten als in Fiume oder längs der dalmatinischen Küste; denn
Trieft würde ein Reichshafen sein. Es wäre möglich, daß Oesterreich oder ein
Staat wie Baiern sich dem nicht unterwerfen möchte. Dann würde der Kaiser
genöthigt sein, die dortigen Fürsten als Rebellen zu behandeln und etwa an
die Thatkraft der Baiern gegen das Haus Wittelsbach oder an die Thatkraft
der Hannoveraner gegen das Haus der Welsen zu appellieren .... Die Herren
von der äußersten Linken in Frankfurt----verlangen das. Es wird nicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148049"/>
          <p xml:id="ID_1075" prev="#ID_1074" next="#ID_1076"> Auch sie erkennt das Princip an, daß der Einfluß jeder Volksklasse in dem-<lb/>
selben Maße steigen müsse, in welchem ihre politische Bildung und Urtheils-<lb/>
fähigkeit abnimmt, und giebt damit ein sicheres Bollwerk gegen die Aristokratie<lb/>
der Intelligenz. Indeß die Frankfurter Verfassung hat noch tiefer aus dem<lb/>
Brunnen der Weisheit jener Theoretiker geschöpft, welche seit dem (üontrat social<lb/>
nichts gelernt und viel vergessen haben, jener Theoretiker, deren Phantome uns<lb/>
in sechs Monaten des vorigen Sommers mehr an Blut, Geld und Thränen<lb/>
gekostet haben als ein dreinnddreißigjähriger Absolutismus." Der Redner charak¬<lb/>
terisierte dann die Frankfurter Verfassung und erklärte sich zunächst deshalb<lb/>
gegen sie, weil sie den Stempel der Volkssouveränetät an der Stirne trage,<lb/>
dann weil sie directe Wahlen mit allgemeinem Stimmrechte anordne, was die<lb/>
Linke bedeutend verstärken werde, dann, weil Preußen im Staatenhause nicht<lb/>
genügend vertreten sein solle. &#x201E;Preußen soll zum Staatenhause 40 Abgeordnete<lb/>
nach Frankfurt schicken, also einen auf 400000; die Baiern sind schon mehr werth,<lb/>
da kommt auf 200000 einer, in Weimar auf 120000, in Hessen-Homburg auf<lb/>
26000, und Liechtenstein, das so viel Einwohner hat als Schöneberg hier vor<lb/>
dem Halleschen Thore, würde im Staatenhause denselben Einfluß ausüben wie<lb/>
die Mehrzahl der preußischen Regierungsbezirke mit 400000 und mehr Ein¬<lb/>
wohnern." Ein weiteres Uebel der Frankfurter Verfassung ist dem Redner die<lb/>
von ihr verlangte jährliche Bewilligung des Budgets. &#x201E;Durch diesen Para¬<lb/>
graphen," sagte er, &#x201E;ist es in die Hände derjenigen Majorität, die aus dem<lb/>
Lottospiele dieser directen Wahlen hervorgehen wird, und welche nicht die ge¬<lb/>
ringste Garantie bietet, daß sie urtheilsfähig oder auch nur vou gutem Willen<lb/>
sein wird, in die Hände dieser Majorität ist es gelegt, die Staatsmaschine in<lb/>
jedem Augenblicke zum Stillstande zu bringen, indem sie das Budget nicht wieder<lb/>
bewilligt und so als Convent die ganze königliche und jede andere Macht im<lb/>
Staate neutralisiert .... Die Frankfurter Verfassung verlangt ferner von ihrem<lb/>
zukünftigen Kaiser, daß er ihr das ganze Deutschland schaffe, so, wie es früher<lb/>
den deutschen Bund gebildet hat .... Es wird also der König, wenn er Kaiser<lb/>
würde, genöthigt sein, nach Oesterreich u. s. w. deutsche Commissäre zu schicken,<lb/>
um dort das Zoll- und Münzwesen u. tgi. zu regulieren, die dortigen Armeen<lb/>
in Eid und Pflicht zu nehmen und zu verbieten, eine österreichische Flotte<lb/>
anderswo zu halten als in Fiume oder längs der dalmatinischen Küste; denn<lb/>
Trieft würde ein Reichshafen sein. Es wäre möglich, daß Oesterreich oder ein<lb/>
Staat wie Baiern sich dem nicht unterwerfen möchte. Dann würde der Kaiser<lb/>
genöthigt sein, die dortigen Fürsten als Rebellen zu behandeln und etwa an<lb/>
die Thatkraft der Baiern gegen das Haus Wittelsbach oder an die Thatkraft<lb/>
der Hannoveraner gegen das Haus der Welsen zu appellieren .... Die Herren<lb/>
von der äußersten Linken in Frankfurt----verlangen das. Es wird nicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0402] Auch sie erkennt das Princip an, daß der Einfluß jeder Volksklasse in dem- selben Maße steigen müsse, in welchem ihre politische Bildung und Urtheils- fähigkeit abnimmt, und giebt damit ein sicheres Bollwerk gegen die Aristokratie der Intelligenz. Indeß die Frankfurter Verfassung hat noch tiefer aus dem Brunnen der Weisheit jener Theoretiker geschöpft, welche seit dem (üontrat social nichts gelernt und viel vergessen haben, jener Theoretiker, deren Phantome uns in sechs Monaten des vorigen Sommers mehr an Blut, Geld und Thränen gekostet haben als ein dreinnddreißigjähriger Absolutismus." Der Redner charak¬ terisierte dann die Frankfurter Verfassung und erklärte sich zunächst deshalb gegen sie, weil sie den Stempel der Volkssouveränetät an der Stirne trage, dann weil sie directe Wahlen mit allgemeinem Stimmrechte anordne, was die Linke bedeutend verstärken werde, dann, weil Preußen im Staatenhause nicht genügend vertreten sein solle. „Preußen soll zum Staatenhause 40 Abgeordnete nach Frankfurt schicken, also einen auf 400000; die Baiern sind schon mehr werth, da kommt auf 200000 einer, in Weimar auf 120000, in Hessen-Homburg auf 26000, und Liechtenstein, das so viel Einwohner hat als Schöneberg hier vor dem Halleschen Thore, würde im Staatenhause denselben Einfluß ausüben wie die Mehrzahl der preußischen Regierungsbezirke mit 400000 und mehr Ein¬ wohnern." Ein weiteres Uebel der Frankfurter Verfassung ist dem Redner die von ihr verlangte jährliche Bewilligung des Budgets. „Durch diesen Para¬ graphen," sagte er, „ist es in die Hände derjenigen Majorität, die aus dem Lottospiele dieser directen Wahlen hervorgehen wird, und welche nicht die ge¬ ringste Garantie bietet, daß sie urtheilsfähig oder auch nur vou gutem Willen sein wird, in die Hände dieser Majorität ist es gelegt, die Staatsmaschine in jedem Augenblicke zum Stillstande zu bringen, indem sie das Budget nicht wieder bewilligt und so als Convent die ganze königliche und jede andere Macht im Staate neutralisiert .... Die Frankfurter Verfassung verlangt ferner von ihrem zukünftigen Kaiser, daß er ihr das ganze Deutschland schaffe, so, wie es früher den deutschen Bund gebildet hat .... Es wird also der König, wenn er Kaiser würde, genöthigt sein, nach Oesterreich u. s. w. deutsche Commissäre zu schicken, um dort das Zoll- und Münzwesen u. tgi. zu regulieren, die dortigen Armeen in Eid und Pflicht zu nehmen und zu verbieten, eine österreichische Flotte anderswo zu halten als in Fiume oder längs der dalmatinischen Küste; denn Trieft würde ein Reichshafen sein. Es wäre möglich, daß Oesterreich oder ein Staat wie Baiern sich dem nicht unterwerfen möchte. Dann würde der Kaiser genöthigt sein, die dortigen Fürsten als Rebellen zu behandeln und etwa an die Thatkraft der Baiern gegen das Haus Wittelsbach oder an die Thatkraft der Hannoveraner gegen das Haus der Welsen zu appellieren .... Die Herren von der äußersten Linken in Frankfurt----verlangen das. Es wird nicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/402
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/402>, abgerufen am 29.12.2024.