Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.Nachdem er sich 1867 ein eigenes Atelier gegründet, schuf er in unterbroche¬ Weit charakteristischer als diese großen Compositionen, von denen sich die Nachdem er sich 1867 ein eigenes Atelier gegründet, schuf er in unterbroche¬ Weit charakteristischer als diese großen Compositionen, von denen sich die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148025"/> <p xml:id="ID_1021"> Nachdem er sich 1867 ein eigenes Atelier gegründet, schuf er in unterbroche¬<lb/> ner Folge Genre- und Historienbilder, auf welchen das ethnographische Element<lb/> mit besonderer Schürfe betont war. Seine erste größere Composition, die<lb/> „Türkenschlacht vor Wien" oder vielmehr der Einbruch der Polen unter Johann<lb/> Sobiesky in das türkische Lager, zeigte ganz die charakteristischen Eigenthümlich¬<lb/> keiten seines Meisters: eine Fülle kleiner Figuren, die sich zu einzelnen Gruppen<lb/> zusammengeschlossen über das ganze Gemälde ausdehnen, alle höchst flott und<lb/> lebendig, wenn auch nicht ganz correct gezeichnet, viel Leben und dramatische<lb/> Bewegung, aber keinen dominierenden Mittelpunkt, welcher dem unruhigen Durch¬<lb/> einander einen festen Halt verliehe. Dieselben Bedenken kann man auch gegen<lb/> eine nicht minder figurenreiche, sechs Jahre später (1878) gemalte Composition<lb/> „Tartarenkampf", eine Episode aus den Raubzügen der Tartaren nach Polen<lb/> im Jahre 1624, geltend machen. Auch hier fehlt es den zahlreichen Gruppen<lb/> von Ueberfallenden und Ueberfallenen, von Angreifern und Flüchtenden, von<lb/> Menschen und Pferden, von Männern und Frauen, von Wagen und Geräth-<lb/> schaften an Einheit, aber der feine graue Gesammttvn, aus welchem sich mir<lb/> wenig scharf markierte Einzeltöne hervorheben, giebt dem furchtbaren Wirrwarr<lb/> von durch einander stürzenden Menschen- und Thierfiguren wenigstens für die<lb/> rein sinnliche Wahrnehmung durch das Auge einen gewissen Halt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1022"> Weit charakteristischer als diese großen Compositionen, von denen sich die<lb/> erstere im Besitz der Erzherzogin Gisela voll Oesterreich, die andere in der<lb/> Berliner Nationalgalerie befindet, sind die kleinern Genrebilder militärischen und<lb/> bürgerlichen Charakters wie die „Polnische Cavallerie auf dem Streifzuge",<lb/> „Flotte Einquartierung", der „Ulan im Dorfe", das „Kosakenlager", „Dorfstraße<lb/> in der Ukraine," „Pferdemarkt in einem podolischen Dorfe" u. a. in. Alle diese<lb/> Bilder erfüllt ein schwermüthiger Zug: es ist, als hätte der polnische Patriot<lb/> seinen ganzen Kummer über das politische Geschick seiner Heimat und seine volle<lb/> Mißstimmung über die dortigen Zustände hineingemalt. Mit Absicht wählt er<lb/> die trostlosesten Steppen, die verkommensten Dörfer, die armseligsten Bauern<lb/> aus, als wollte er den Unterdrückern sagen: Seht, das habt ihr aus einem<lb/> der edelsten Volksstämme der Welt gemacht! Und im Gegensatze zu dieser elen¬<lb/> den, verkümmerten Gegenwart schildert er mit glühender Beredtsamkeit die Helden¬<lb/> thaten der Vorfahren, seinen Landsleuten als Lehre und Beispiel. Diese Ten¬<lb/> denz, schon durch das Colorit ihr politisches Mißvergnügen auszudrücken, erfüllt<lb/> fast alle Mitglieder der polnischen Künstlercolonie in München, zu der neuer¬<lb/> dings auch einige Damen getreten sind. Die polnischen Bilder sehen aus, als<lb/> hätten sie sämmtlich Trauer angelegt. Selbst die Sonne darf auf diesen Bil¬<lb/> dern nicht scheinen: auch der Himmel muß sich durch einen grauen Flor ver¬<lb/> hängen lassen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0378]
Nachdem er sich 1867 ein eigenes Atelier gegründet, schuf er in unterbroche¬
ner Folge Genre- und Historienbilder, auf welchen das ethnographische Element
mit besonderer Schürfe betont war. Seine erste größere Composition, die
„Türkenschlacht vor Wien" oder vielmehr der Einbruch der Polen unter Johann
Sobiesky in das türkische Lager, zeigte ganz die charakteristischen Eigenthümlich¬
keiten seines Meisters: eine Fülle kleiner Figuren, die sich zu einzelnen Gruppen
zusammengeschlossen über das ganze Gemälde ausdehnen, alle höchst flott und
lebendig, wenn auch nicht ganz correct gezeichnet, viel Leben und dramatische
Bewegung, aber keinen dominierenden Mittelpunkt, welcher dem unruhigen Durch¬
einander einen festen Halt verliehe. Dieselben Bedenken kann man auch gegen
eine nicht minder figurenreiche, sechs Jahre später (1878) gemalte Composition
„Tartarenkampf", eine Episode aus den Raubzügen der Tartaren nach Polen
im Jahre 1624, geltend machen. Auch hier fehlt es den zahlreichen Gruppen
von Ueberfallenden und Ueberfallenen, von Angreifern und Flüchtenden, von
Menschen und Pferden, von Männern und Frauen, von Wagen und Geräth-
schaften an Einheit, aber der feine graue Gesammttvn, aus welchem sich mir
wenig scharf markierte Einzeltöne hervorheben, giebt dem furchtbaren Wirrwarr
von durch einander stürzenden Menschen- und Thierfiguren wenigstens für die
rein sinnliche Wahrnehmung durch das Auge einen gewissen Halt.
Weit charakteristischer als diese großen Compositionen, von denen sich die
erstere im Besitz der Erzherzogin Gisela voll Oesterreich, die andere in der
Berliner Nationalgalerie befindet, sind die kleinern Genrebilder militärischen und
bürgerlichen Charakters wie die „Polnische Cavallerie auf dem Streifzuge",
„Flotte Einquartierung", der „Ulan im Dorfe", das „Kosakenlager", „Dorfstraße
in der Ukraine," „Pferdemarkt in einem podolischen Dorfe" u. a. in. Alle diese
Bilder erfüllt ein schwermüthiger Zug: es ist, als hätte der polnische Patriot
seinen ganzen Kummer über das politische Geschick seiner Heimat und seine volle
Mißstimmung über die dortigen Zustände hineingemalt. Mit Absicht wählt er
die trostlosesten Steppen, die verkommensten Dörfer, die armseligsten Bauern
aus, als wollte er den Unterdrückern sagen: Seht, das habt ihr aus einem
der edelsten Volksstämme der Welt gemacht! Und im Gegensatze zu dieser elen¬
den, verkümmerten Gegenwart schildert er mit glühender Beredtsamkeit die Helden¬
thaten der Vorfahren, seinen Landsleuten als Lehre und Beispiel. Diese Ten¬
denz, schon durch das Colorit ihr politisches Mißvergnügen auszudrücken, erfüllt
fast alle Mitglieder der polnischen Künstlercolonie in München, zu der neuer¬
dings auch einige Damen getreten sind. Die polnischen Bilder sehen aus, als
hätten sie sämmtlich Trauer angelegt. Selbst die Sonne darf auf diesen Bil¬
dern nicht scheinen: auch der Himmel muß sich durch einen grauen Flor ver¬
hängen lassen.
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