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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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künstlerischer und überhaupt geistiger Entwicklung angesehen zu werden pflegt,
schauen wir einigermaßen verwundert auf die Jahrzehnte zurück, in denen der
hochbegabte Aufzeichner dieser "Jugenderinnerungen" seine rühmliche Laufbahn
unter so ganz andern Voraussetzungen begann. Geringschätzig fragt der moderne
Künstler, wenn er wirklich noch die Bedeutung und den Werth Rietschels an¬
erkennt, was denn der vorzügliche Bildhauer an "Daseinsgenuß" gehabt und
an "Capital" erworben habe, und setzt achselzukend hinzu, daß ein Mensch mit
einer solchen Jugend es freilich leicht gehabt habe, bei verhältnißmäßig bescheidnen
Ansprüchen sein übriges Leben in mittlern Verhältnissen hinzubringen und
Werk auf Werk mit immer gleicher, ja mit wachsender Schaffensfreude zu
vollenden.

Glücklicherweise wird an den geistigen Börsen, deren Glieder in diesem
Jargon zu reden Pflegen, über den bleibenden Werth keines Mannes und
keiner Schöpfung bestimmt. Jene großen, gesund gebliebenen Kreise des deutschen
Volkes, welche sich die Freude an der ernsten, ihren Lohn in sich selbst tragenden
Arbeit und einem mäßigen äußern Glücke nicht haben nehmen lassen und sich
den" frechen Hochmuthe der "Streber" gegenüber jetzt endlich wieder auf ihr
gutes Daseinsrecht besinnen, haben immer den Antheil an Lebensschicksalen
wie die Rietschels bewahrt und werden diese "Jugenderinnerungen" erneut will¬
kommen heißen. Wenn neuerdings auch diese Kreise mit einer gewissen Sorge
auf unsichre Existenzanfänge, auf den Entschluß zahlreicher gänzlich mittelloser
zu einer künstlerischen oder wissenschaftlichen Laufbahn Hinblicken, so bewegt sie
dabei eine ganz andere Empfindung als der Wahn, daß der Gelehrte oder
Künstler schlagfertig und imponierend wie ein "Gründer" in die Welt treten
müsse. Es muß ihnen eben mir beifallen, zu wie zahllosen Malen das Halb¬
oder Viertelstalent die Rechte des wirklichen Talentes hente in Anspruch nimmt,
wie vielemal die mäßige Begabung sich das Ziel zu hoch steckt und daran unter¬
geht, in wie unverantwortlicher Weise ein falscher Ehrgeiz und eine unberechtigte
Arbeitsscheu sich dem schlichterer Beruf entziehen, um zum "höheren" zu greifen,
zu dem jeder innere Antrieb und jede Voraussetzung der Leistungsfähigkeit fehlt.
Es ist nicht unberechtigt, wenn im Hinblick hierauf mit dem Zimmermeister
ans Goethes "Egmont" geseufzt wird: "Die brauchen das zum Vorwand, worauf
wir uns auch berufen müssen, und bringen das Land ins Unglück."

Allen diesen Betrachtungen gegenüber sind die "Jugenderinnerungen" Rietschels
eine erbauliche und erquickende Lectüre, nicht blos, weil der Leser das Froh¬
gefühl mit hinwegnimmt, daß dies bescheidene, aber feste Aufwärtsstreben vom
besten Erfolge gekrönt worden, daß es die Lebensgeschichte eines hartgeprüften,
aber wahrhaften Talentes ist, um die es sich hier handelt; vor allem auch,
weil aus dem kleinen Buche alle die Zeichen hervortreten, an denen (wenigstens


künstlerischer und überhaupt geistiger Entwicklung angesehen zu werden pflegt,
schauen wir einigermaßen verwundert auf die Jahrzehnte zurück, in denen der
hochbegabte Aufzeichner dieser „Jugenderinnerungen" seine rühmliche Laufbahn
unter so ganz andern Voraussetzungen begann. Geringschätzig fragt der moderne
Künstler, wenn er wirklich noch die Bedeutung und den Werth Rietschels an¬
erkennt, was denn der vorzügliche Bildhauer an „Daseinsgenuß" gehabt und
an „Capital" erworben habe, und setzt achselzukend hinzu, daß ein Mensch mit
einer solchen Jugend es freilich leicht gehabt habe, bei verhältnißmäßig bescheidnen
Ansprüchen sein übriges Leben in mittlern Verhältnissen hinzubringen und
Werk auf Werk mit immer gleicher, ja mit wachsender Schaffensfreude zu
vollenden.

Glücklicherweise wird an den geistigen Börsen, deren Glieder in diesem
Jargon zu reden Pflegen, über den bleibenden Werth keines Mannes und
keiner Schöpfung bestimmt. Jene großen, gesund gebliebenen Kreise des deutschen
Volkes, welche sich die Freude an der ernsten, ihren Lohn in sich selbst tragenden
Arbeit und einem mäßigen äußern Glücke nicht haben nehmen lassen und sich
den« frechen Hochmuthe der „Streber" gegenüber jetzt endlich wieder auf ihr
gutes Daseinsrecht besinnen, haben immer den Antheil an Lebensschicksalen
wie die Rietschels bewahrt und werden diese „Jugenderinnerungen" erneut will¬
kommen heißen. Wenn neuerdings auch diese Kreise mit einer gewissen Sorge
auf unsichre Existenzanfänge, auf den Entschluß zahlreicher gänzlich mittelloser
zu einer künstlerischen oder wissenschaftlichen Laufbahn Hinblicken, so bewegt sie
dabei eine ganz andere Empfindung als der Wahn, daß der Gelehrte oder
Künstler schlagfertig und imponierend wie ein „Gründer" in die Welt treten
müsse. Es muß ihnen eben mir beifallen, zu wie zahllosen Malen das Halb¬
oder Viertelstalent die Rechte des wirklichen Talentes hente in Anspruch nimmt,
wie vielemal die mäßige Begabung sich das Ziel zu hoch steckt und daran unter¬
geht, in wie unverantwortlicher Weise ein falscher Ehrgeiz und eine unberechtigte
Arbeitsscheu sich dem schlichterer Beruf entziehen, um zum „höheren" zu greifen,
zu dem jeder innere Antrieb und jede Voraussetzung der Leistungsfähigkeit fehlt.
Es ist nicht unberechtigt, wenn im Hinblick hierauf mit dem Zimmermeister
ans Goethes „Egmont" geseufzt wird: „Die brauchen das zum Vorwand, worauf
wir uns auch berufen müssen, und bringen das Land ins Unglück."

Allen diesen Betrachtungen gegenüber sind die „Jugenderinnerungen" Rietschels
eine erbauliche und erquickende Lectüre, nicht blos, weil der Leser das Froh¬
gefühl mit hinwegnimmt, daß dies bescheidene, aber feste Aufwärtsstreben vom
besten Erfolge gekrönt worden, daß es die Lebensgeschichte eines hartgeprüften,
aber wahrhaften Talentes ist, um die es sich hier handelt; vor allem auch,
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[0368] künstlerischer und überhaupt geistiger Entwicklung angesehen zu werden pflegt, schauen wir einigermaßen verwundert auf die Jahrzehnte zurück, in denen der hochbegabte Aufzeichner dieser „Jugenderinnerungen" seine rühmliche Laufbahn unter so ganz andern Voraussetzungen begann. Geringschätzig fragt der moderne Künstler, wenn er wirklich noch die Bedeutung und den Werth Rietschels an¬ erkennt, was denn der vorzügliche Bildhauer an „Daseinsgenuß" gehabt und an „Capital" erworben habe, und setzt achselzukend hinzu, daß ein Mensch mit einer solchen Jugend es freilich leicht gehabt habe, bei verhältnißmäßig bescheidnen Ansprüchen sein übriges Leben in mittlern Verhältnissen hinzubringen und Werk auf Werk mit immer gleicher, ja mit wachsender Schaffensfreude zu vollenden. Glücklicherweise wird an den geistigen Börsen, deren Glieder in diesem Jargon zu reden Pflegen, über den bleibenden Werth keines Mannes und keiner Schöpfung bestimmt. Jene großen, gesund gebliebenen Kreise des deutschen Volkes, welche sich die Freude an der ernsten, ihren Lohn in sich selbst tragenden Arbeit und einem mäßigen äußern Glücke nicht haben nehmen lassen und sich den« frechen Hochmuthe der „Streber" gegenüber jetzt endlich wieder auf ihr gutes Daseinsrecht besinnen, haben immer den Antheil an Lebensschicksalen wie die Rietschels bewahrt und werden diese „Jugenderinnerungen" erneut will¬ kommen heißen. Wenn neuerdings auch diese Kreise mit einer gewissen Sorge auf unsichre Existenzanfänge, auf den Entschluß zahlreicher gänzlich mittelloser zu einer künstlerischen oder wissenschaftlichen Laufbahn Hinblicken, so bewegt sie dabei eine ganz andere Empfindung als der Wahn, daß der Gelehrte oder Künstler schlagfertig und imponierend wie ein „Gründer" in die Welt treten müsse. Es muß ihnen eben mir beifallen, zu wie zahllosen Malen das Halb¬ oder Viertelstalent die Rechte des wirklichen Talentes hente in Anspruch nimmt, wie vielemal die mäßige Begabung sich das Ziel zu hoch steckt und daran unter¬ geht, in wie unverantwortlicher Weise ein falscher Ehrgeiz und eine unberechtigte Arbeitsscheu sich dem schlichterer Beruf entziehen, um zum „höheren" zu greifen, zu dem jeder innere Antrieb und jede Voraussetzung der Leistungsfähigkeit fehlt. Es ist nicht unberechtigt, wenn im Hinblick hierauf mit dem Zimmermeister ans Goethes „Egmont" geseufzt wird: „Die brauchen das zum Vorwand, worauf wir uns auch berufen müssen, und bringen das Land ins Unglück." Allen diesen Betrachtungen gegenüber sind die „Jugenderinnerungen" Rietschels eine erbauliche und erquickende Lectüre, nicht blos, weil der Leser das Froh¬ gefühl mit hinwegnimmt, daß dies bescheidene, aber feste Aufwärtsstreben vom besten Erfolge gekrönt worden, daß es die Lebensgeschichte eines hartgeprüften, aber wahrhaften Talentes ist, um die es sich hier handelt; vor allem auch, weil aus dem kleinen Buche alle die Zeichen hervortreten, an denen (wenigstens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/368>, abgerufen am 28.12.2024.