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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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die Männer hier ein Herz im Leibe, so würden sie ihr Gewehr nehmen und
den König erschießen." Häufig hörte man von ihm die Aeußerung: "Der König
ist bloß eine Maschine zum Unterschreiben." Bei der Versteigerung der Kirchen-
stühle schrie er: "Sehet da, für die ehrlichen Leute (die Ultramontanen) treibt
man die Preise hinauf, für die Canaille (die Anhänger des vom Staate ver¬
kündeten Schulgesetzes) unterläßt mau es." Aehnliche Brandreden hallten durch
ganz Belgien wieder.

Ganz besonders deutlich aber tritt die Tendenz und Thätigkeit der vou
Rom geleiteten Geistlichkeit in der Geschichte der polnischen Aufstände hervor,
die in dem letzten halben Jahrhunderte die Losreißung der ehemals polnischen
Provinzen von der Verbindung mit dem schismatischen Rußland und dem von
einer protestantischen Dynastie regierten Preußen bezweckten. Sehr lehrreich ist
in dieser Beziehung die soeben erschienene Schrift Emil Knorrs, die, ans
vorzüglich guten Quellen schöpfend, sich allerdings mehr den Zweck setzt, zu
zeigen, wie die rothe Internationale, die Socialdemokratie in diesen Wirren und
Kämpfen ihre Lehre, der Umsturz der Throne sei die Bestimmung der Völker,
zu verwirklichen versucht hat, zugleich aber auch eine Fülle von Beweisen bringt,
daß die schwarze Internationale, der ultramontane Klerus, dabei mit jenen
Staatsfeinden Hand in Hand gegangen ist. Mau betrachte folgende Beispiele,
und man wird darüber keinen Augenblick in Zweifel sein können.*)

In der vor dem Aufstande von 1846 erlassenen Instruction, die Mieros-
lawski zur Organisation der Regierung und des Heeres des neuen Polen er¬
ließ, heißt es: "Der Ortspfarrer verbleibt, sofern er nicht zum Kreiseommissär
gewählt worden ist, bei der letzten Reserve. Die jüngern Geistlichen gehen mit
der activen Armee des ersten und zweiten Aufgebotes als Priester ins Feld."

In der Nacht vom 21. zum 22. Februar 1846 wurde ein Pulses gegen
Preußisch-Stargardt versucht. Unter der Vorspiegelung, die dortigen Prote¬
stanten beabsichtigten die Katholiken zu ermorden und würden in derselben Ab¬
sicht auch die umliegenden Dörfer heimsuchen, war es dem Pfarradministrator
Lobodzki gelungen, eine Anzahl polnischer Leute mit allerlei Waffen gegen den
genannten Ort in Bewegung zu setzen. Aber trotz der Ansprache des Geist¬
lichen: "Leute, ihr geht einem gottseliger Werke entgegen. Ihr sollt kämpfen
für die Religion und das Vaterland. Ihr werdet dafür durch Land belohnt
werden. Wie ihr, rüsten sich zu derselben Minute überall eure polnischen
Brüder," trotz seiner Segenspendung und der Drohung: "Wer heute nicht frei¬
willig mitgeht, der bekommt morgen eine Kugel durch den Kopf," weigerte" sich



Die polnischen Aufstände seit 18-!0 in ihrem Zusammenhange mit den inter^
nationalen Umstnrzbestrebnngen. Unter Benutzung archivalischer Quellen von Emil Knorr,
Major, Berlin, Mittler Ä Sohn, 1880.

die Männer hier ein Herz im Leibe, so würden sie ihr Gewehr nehmen und
den König erschießen." Häufig hörte man von ihm die Aeußerung: „Der König
ist bloß eine Maschine zum Unterschreiben." Bei der Versteigerung der Kirchen-
stühle schrie er: „Sehet da, für die ehrlichen Leute (die Ultramontanen) treibt
man die Preise hinauf, für die Canaille (die Anhänger des vom Staate ver¬
kündeten Schulgesetzes) unterläßt mau es." Aehnliche Brandreden hallten durch
ganz Belgien wieder.

Ganz besonders deutlich aber tritt die Tendenz und Thätigkeit der vou
Rom geleiteten Geistlichkeit in der Geschichte der polnischen Aufstände hervor,
die in dem letzten halben Jahrhunderte die Losreißung der ehemals polnischen
Provinzen von der Verbindung mit dem schismatischen Rußland und dem von
einer protestantischen Dynastie regierten Preußen bezweckten. Sehr lehrreich ist
in dieser Beziehung die soeben erschienene Schrift Emil Knorrs, die, ans
vorzüglich guten Quellen schöpfend, sich allerdings mehr den Zweck setzt, zu
zeigen, wie die rothe Internationale, die Socialdemokratie in diesen Wirren und
Kämpfen ihre Lehre, der Umsturz der Throne sei die Bestimmung der Völker,
zu verwirklichen versucht hat, zugleich aber auch eine Fülle von Beweisen bringt,
daß die schwarze Internationale, der ultramontane Klerus, dabei mit jenen
Staatsfeinden Hand in Hand gegangen ist. Mau betrachte folgende Beispiele,
und man wird darüber keinen Augenblick in Zweifel sein können.*)

In der vor dem Aufstande von 1846 erlassenen Instruction, die Mieros-
lawski zur Organisation der Regierung und des Heeres des neuen Polen er¬
ließ, heißt es: „Der Ortspfarrer verbleibt, sofern er nicht zum Kreiseommissär
gewählt worden ist, bei der letzten Reserve. Die jüngern Geistlichen gehen mit
der activen Armee des ersten und zweiten Aufgebotes als Priester ins Feld."

In der Nacht vom 21. zum 22. Februar 1846 wurde ein Pulses gegen
Preußisch-Stargardt versucht. Unter der Vorspiegelung, die dortigen Prote¬
stanten beabsichtigten die Katholiken zu ermorden und würden in derselben Ab¬
sicht auch die umliegenden Dörfer heimsuchen, war es dem Pfarradministrator
Lobodzki gelungen, eine Anzahl polnischer Leute mit allerlei Waffen gegen den
genannten Ort in Bewegung zu setzen. Aber trotz der Ansprache des Geist¬
lichen: „Leute, ihr geht einem gottseliger Werke entgegen. Ihr sollt kämpfen
für die Religion und das Vaterland. Ihr werdet dafür durch Land belohnt
werden. Wie ihr, rüsten sich zu derselben Minute überall eure polnischen
Brüder," trotz seiner Segenspendung und der Drohung: „Wer heute nicht frei¬
willig mitgeht, der bekommt morgen eine Kugel durch den Kopf," weigerte» sich



Die polnischen Aufstände seit 18-!0 in ihrem Zusammenhange mit den inter^
nationalen Umstnrzbestrebnngen. Unter Benutzung archivalischer Quellen von Emil Knorr,
Major, Berlin, Mittler Ä Sohn, 1880.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/339>, abgerufen am 28.12.2024.