Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.solche allgemeine Kassen mit weitgehenden allgemeinen Verpflichtungen eine sach¬ Man kann schon heute feststellen, daß die freie Initiative für die am solche allgemeine Kassen mit weitgehenden allgemeinen Verpflichtungen eine sach¬ Man kann schon heute feststellen, daß die freie Initiative für die am <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147965"/> <p xml:id="ID_864" prev="#ID_863"> solche allgemeine Kassen mit weitgehenden allgemeinen Verpflichtungen eine sach¬<lb/> liche Prüfung aushalten, darüber können wir jetzt noch nicht urtheilen. Zur<lb/> Zeit existieren derartige Organisationen nicht, und wir müssen die vergleichenden<lb/> Grundbedingungen bei Kassen suchen, die, wie die Gewerkvereins- und Knapp¬<lb/> schaftskassen, besondern Verbänden angehören. Jedenfalls ist die Klärung der<lb/> Verhältnisse, die für die Bestimmung der besten organisatorischen Ausstattung<lb/> in Frage kommen, noch nicht so weit vorgeschritten, um die Chancen aller ein¬<lb/> zelnen Formen mit Sicherheit voraussagen, bez. die besten Einzelbestimmungen<lb/> schon jetzt abwägen zu können. Wir müssen uns die Untersuchung erleichtern,<lb/> indem wir zunächst negativ dasjenige ausscheiden, was sich schon bisher bei den<lb/> Kassen sür specielle Zwecke in der Praxis nicht bewährt hat. Alsdann werden<lb/> wir erst in der Lage sein, positive Vorschläge und nicht bloß allgemeine volks¬<lb/> beglückende Meinungen vorbringen zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_865" next="#ID_866"> Man kann schon heute feststellen, daß die freie Initiative für die am<lb/> meisten der Sicherheitskasfen bedürfenden Volksbestandtheile nicht ausreichen<lb/> wird. Sind es doch gerade diejenigen Klassen der Bevölkerung, die der be¬<lb/> sondern Versorgung bedürfen, deren Bedürfnisse auf ein Maß zurückgedrückt<lb/> sind, welches vielfach schon unter dem Niveau des zum rohen Leben aus¬<lb/> reichenden liegt. Die Möglichkeit zum Sparen ist bei ihnen untrennbar ver¬<lb/> bunden mit den härtesten Entbehrungen, und die sittliche Energie, welche zur<lb/> vorsorglicher Aufsichnahme dieser Entbehrungen erfordert wird, geht wahr¬<lb/> scheinlich weit über die durchschnittliche Sittlichkeit nicht nur dieser Klassen,<lb/> sondern des Volkes überhaupt hinaus. Wenn der Tageserwerb des Arbeiters<lb/> immer hinreichte, diesen zu befähigen, alle seine Pflichten und Bedürfnisse zu<lb/> befriedigen, und wenn dem Arbeiterstande im Durchschnitte die Moral inne-<lb/> wohnte, ohne äußerlichen Druck seine Ausgaben auf das Nöthigste zu beschränken<lb/> und den Ueberschuß für spätere Zeiten der Noth aufzusparen, dann existierte<lb/> freilich kein Anlaß, die Versicherungsfrage zu einer allgemeinen socialen zu<lb/> erheben und von Seiten des Staats aufzuwerfen. Theoretisch gesprochen, müßte<lb/> ja eigentlich der Arbeiter aus seinem wirthschaftlich richtig normierten Arbeits¬<lb/> lohn alle seine Bedürfnisse, also auch die eigene Sicherung gegen Erwerbsun¬<lb/> fähigkeit bestreikn. Die Erfahrungen beweisen aber, daß dies praktisch nicht<lb/> möglich ist in Folge der kapitalistischen Productionsweise und des großen all¬<lb/> gemeinen Ganges der Wirthschaft, der zwar aus der Cultur hervorgegangen,<lb/> aber doch unter den Gesetzen des Staates entstanden ist. Existieren doch schon<lb/> freie Versorgungskassen für Invalidität, und welches ist ihr Resultat? Auf<lb/> die unzulängliche Wirksamkeit derselben gestützt, wird immer lauter der Ruf<lb/> nach allgemeinern und womöglich mit dem Zwangsrechte ausgestatteten Or¬<lb/> ganisationen erhoben. Gegen die Uebung staatlichen Zwanges zur Herbei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0318]
solche allgemeine Kassen mit weitgehenden allgemeinen Verpflichtungen eine sach¬
liche Prüfung aushalten, darüber können wir jetzt noch nicht urtheilen. Zur
Zeit existieren derartige Organisationen nicht, und wir müssen die vergleichenden
Grundbedingungen bei Kassen suchen, die, wie die Gewerkvereins- und Knapp¬
schaftskassen, besondern Verbänden angehören. Jedenfalls ist die Klärung der
Verhältnisse, die für die Bestimmung der besten organisatorischen Ausstattung
in Frage kommen, noch nicht so weit vorgeschritten, um die Chancen aller ein¬
zelnen Formen mit Sicherheit voraussagen, bez. die besten Einzelbestimmungen
schon jetzt abwägen zu können. Wir müssen uns die Untersuchung erleichtern,
indem wir zunächst negativ dasjenige ausscheiden, was sich schon bisher bei den
Kassen sür specielle Zwecke in der Praxis nicht bewährt hat. Alsdann werden
wir erst in der Lage sein, positive Vorschläge und nicht bloß allgemeine volks¬
beglückende Meinungen vorbringen zu können.
Man kann schon heute feststellen, daß die freie Initiative für die am
meisten der Sicherheitskasfen bedürfenden Volksbestandtheile nicht ausreichen
wird. Sind es doch gerade diejenigen Klassen der Bevölkerung, die der be¬
sondern Versorgung bedürfen, deren Bedürfnisse auf ein Maß zurückgedrückt
sind, welches vielfach schon unter dem Niveau des zum rohen Leben aus¬
reichenden liegt. Die Möglichkeit zum Sparen ist bei ihnen untrennbar ver¬
bunden mit den härtesten Entbehrungen, und die sittliche Energie, welche zur
vorsorglicher Aufsichnahme dieser Entbehrungen erfordert wird, geht wahr¬
scheinlich weit über die durchschnittliche Sittlichkeit nicht nur dieser Klassen,
sondern des Volkes überhaupt hinaus. Wenn der Tageserwerb des Arbeiters
immer hinreichte, diesen zu befähigen, alle seine Pflichten und Bedürfnisse zu
befriedigen, und wenn dem Arbeiterstande im Durchschnitte die Moral inne-
wohnte, ohne äußerlichen Druck seine Ausgaben auf das Nöthigste zu beschränken
und den Ueberschuß für spätere Zeiten der Noth aufzusparen, dann existierte
freilich kein Anlaß, die Versicherungsfrage zu einer allgemeinen socialen zu
erheben und von Seiten des Staats aufzuwerfen. Theoretisch gesprochen, müßte
ja eigentlich der Arbeiter aus seinem wirthschaftlich richtig normierten Arbeits¬
lohn alle seine Bedürfnisse, also auch die eigene Sicherung gegen Erwerbsun¬
fähigkeit bestreikn. Die Erfahrungen beweisen aber, daß dies praktisch nicht
möglich ist in Folge der kapitalistischen Productionsweise und des großen all¬
gemeinen Ganges der Wirthschaft, der zwar aus der Cultur hervorgegangen,
aber doch unter den Gesetzen des Staates entstanden ist. Existieren doch schon
freie Versorgungskassen für Invalidität, und welches ist ihr Resultat? Auf
die unzulängliche Wirksamkeit derselben gestützt, wird immer lauter der Ruf
nach allgemeinern und womöglich mit dem Zwangsrechte ausgestatteten Or¬
ganisationen erhoben. Gegen die Uebung staatlichen Zwanges zur Herbei-
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