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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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lungen unter den Linden anfüllen sehn. Nur fehlt in Deutschland jener über¬
sättigende Reichthum, der im Stande wäre, die Sucht und Lüsternheit auf diesem
Gebiete in so ausgedehntem Maße zu Tage treten zu lassen wie in England.
Wir sind zu arm, um so "intensiv" sein zu können.

Für Leute, welche auf die Zeichen der Zeit achten gelernt haben, hat sich
übrigens eine solche Antiquariats-Hauffe in England schon vor Jahr und Tag
angekündigt. Sie mag etwa mit den literarischen Ausgrabungen eines Henry
Leigh Hunt Hand in Hand gegangen sein. Dieser selbe Leigh Hunt, dessen
Namensvettern wir auch uuter den Malern finden, die dem Präraphaelitis-
mus die Thüren öffneten, schrieb ein Buch NöliZlon ok tus los,re --- auf
deutsch einfach Naturreligion --, dessen Erscheinen mit dem der Uebersetzung
des Lessingschen "Nathan" durch einen Deutschen Namens Reich, der diese Arbeit
auf Veranlassung des bekannten Montefiori unternahm, zusammenfiel. Ja man
geht wohl nicht irre, diese Schule bis auf den ältern Bulwer zurückzuführen,
dessen "Eugen Aram" der Ouida als Musterheld ihrer Zeitromane vorschwe¬
ben mag.

Am hervorragendsten treten die Symptome der Hyperaesthesie in der Malerei
zu Tage, und es ist auf diesem Gebiete nicht schwer, die jetzige Richtung auf
bestimmte Väter zurückzuführen: wir erkennen sie in den Präraphaeliten oder
den Repräsentanten einer soi-äisÄur Renaissance in England. Ihre Nachtreter
nennen sich jetzt, da phonetischer Wohllaut den Adepten ein oberstes Gesetz ist,
rsnasesQös*). Die ursprünglichen Stifter des Präraphaelitismus waren indessen
zwei verdienstvolle Maler, die freilich auch schon das System der gegenseitigen
Bewunderung erfunden hatten und in Mr. Ruskin einen Beräucherer fanden.
Die beiden Maler, welchen sich der genannte Rosetti zugesellte, waren Holman
Hunt und der Porträtist Millais, die gegen den Hausmannsstil eines De-Wynt,
die leere Coloristik eines Turner und die Prosa eines David Cox Front machten
und neben wüthender Opposition auch große Anerkennung fanden. Sie gingen
alle über die Grenzen Englands hinaus. Hunt z. B. ist Orientmaler. Sie
erweiterten den Zweck der Kunst, indem sie den Zweck obenan stellten und die
Behandlung naiv gestalteten. Sie malten eine Ophelia am Bach, die Auffindung
des Heilands, einen ehrlich tragischen Hugenottentod. Ihre Schüler illustrierten
Mr. Anthony Trollopes Parabeln (welche weniger bekannt sind als sie es ver¬
dienen) und leisteten Holzschnitte zu Thackerays Werken. Aber schon diese
Brüderschaft, die also nach "Umfassung" strebte, und an den antiken Idealen



*) Aehnlich wie Lord Lytton, als er, aus Indien zurückkehrend, auf seinem Gute
seine Pächter begrüßte, nicht von seiner Policy sprach, sondern von seiner Polity, was der
Sx"otg,lor sarkastischer Weise ausbeutete.

lungen unter den Linden anfüllen sehn. Nur fehlt in Deutschland jener über¬
sättigende Reichthum, der im Stande wäre, die Sucht und Lüsternheit auf diesem
Gebiete in so ausgedehntem Maße zu Tage treten zu lassen wie in England.
Wir sind zu arm, um so „intensiv" sein zu können.

Für Leute, welche auf die Zeichen der Zeit achten gelernt haben, hat sich
übrigens eine solche Antiquariats-Hauffe in England schon vor Jahr und Tag
angekündigt. Sie mag etwa mit den literarischen Ausgrabungen eines Henry
Leigh Hunt Hand in Hand gegangen sein. Dieser selbe Leigh Hunt, dessen
Namensvettern wir auch uuter den Malern finden, die dem Präraphaelitis-
mus die Thüren öffneten, schrieb ein Buch NöliZlon ok tus los,re —- auf
deutsch einfach Naturreligion —, dessen Erscheinen mit dem der Uebersetzung
des Lessingschen „Nathan" durch einen Deutschen Namens Reich, der diese Arbeit
auf Veranlassung des bekannten Montefiori unternahm, zusammenfiel. Ja man
geht wohl nicht irre, diese Schule bis auf den ältern Bulwer zurückzuführen,
dessen „Eugen Aram" der Ouida als Musterheld ihrer Zeitromane vorschwe¬
ben mag.

Am hervorragendsten treten die Symptome der Hyperaesthesie in der Malerei
zu Tage, und es ist auf diesem Gebiete nicht schwer, die jetzige Richtung auf
bestimmte Väter zurückzuführen: wir erkennen sie in den Präraphaeliten oder
den Repräsentanten einer soi-äisÄur Renaissance in England. Ihre Nachtreter
nennen sich jetzt, da phonetischer Wohllaut den Adepten ein oberstes Gesetz ist,
rsnasesQös*). Die ursprünglichen Stifter des Präraphaelitismus waren indessen
zwei verdienstvolle Maler, die freilich auch schon das System der gegenseitigen
Bewunderung erfunden hatten und in Mr. Ruskin einen Beräucherer fanden.
Die beiden Maler, welchen sich der genannte Rosetti zugesellte, waren Holman
Hunt und der Porträtist Millais, die gegen den Hausmannsstil eines De-Wynt,
die leere Coloristik eines Turner und die Prosa eines David Cox Front machten
und neben wüthender Opposition auch große Anerkennung fanden. Sie gingen
alle über die Grenzen Englands hinaus. Hunt z. B. ist Orientmaler. Sie
erweiterten den Zweck der Kunst, indem sie den Zweck obenan stellten und die
Behandlung naiv gestalteten. Sie malten eine Ophelia am Bach, die Auffindung
des Heilands, einen ehrlich tragischen Hugenottentod. Ihre Schüler illustrierten
Mr. Anthony Trollopes Parabeln (welche weniger bekannt sind als sie es ver¬
dienen) und leisteten Holzschnitte zu Thackerays Werken. Aber schon diese
Brüderschaft, die also nach „Umfassung" strebte, und an den antiken Idealen



*) Aehnlich wie Lord Lytton, als er, aus Indien zurückkehrend, auf seinem Gute
seine Pächter begrüßte, nicht von seiner Policy sprach, sondern von seiner Polity, was der
Sx«otg,lor sarkastischer Weise ausbeutete.
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[0284] lungen unter den Linden anfüllen sehn. Nur fehlt in Deutschland jener über¬ sättigende Reichthum, der im Stande wäre, die Sucht und Lüsternheit auf diesem Gebiete in so ausgedehntem Maße zu Tage treten zu lassen wie in England. Wir sind zu arm, um so „intensiv" sein zu können. Für Leute, welche auf die Zeichen der Zeit achten gelernt haben, hat sich übrigens eine solche Antiquariats-Hauffe in England schon vor Jahr und Tag angekündigt. Sie mag etwa mit den literarischen Ausgrabungen eines Henry Leigh Hunt Hand in Hand gegangen sein. Dieser selbe Leigh Hunt, dessen Namensvettern wir auch uuter den Malern finden, die dem Präraphaelitis- mus die Thüren öffneten, schrieb ein Buch NöliZlon ok tus los,re —- auf deutsch einfach Naturreligion —, dessen Erscheinen mit dem der Uebersetzung des Lessingschen „Nathan" durch einen Deutschen Namens Reich, der diese Arbeit auf Veranlassung des bekannten Montefiori unternahm, zusammenfiel. Ja man geht wohl nicht irre, diese Schule bis auf den ältern Bulwer zurückzuführen, dessen „Eugen Aram" der Ouida als Musterheld ihrer Zeitromane vorschwe¬ ben mag. Am hervorragendsten treten die Symptome der Hyperaesthesie in der Malerei zu Tage, und es ist auf diesem Gebiete nicht schwer, die jetzige Richtung auf bestimmte Väter zurückzuführen: wir erkennen sie in den Präraphaeliten oder den Repräsentanten einer soi-äisÄur Renaissance in England. Ihre Nachtreter nennen sich jetzt, da phonetischer Wohllaut den Adepten ein oberstes Gesetz ist, rsnasesQös*). Die ursprünglichen Stifter des Präraphaelitismus waren indessen zwei verdienstvolle Maler, die freilich auch schon das System der gegenseitigen Bewunderung erfunden hatten und in Mr. Ruskin einen Beräucherer fanden. Die beiden Maler, welchen sich der genannte Rosetti zugesellte, waren Holman Hunt und der Porträtist Millais, die gegen den Hausmannsstil eines De-Wynt, die leere Coloristik eines Turner und die Prosa eines David Cox Front machten und neben wüthender Opposition auch große Anerkennung fanden. Sie gingen alle über die Grenzen Englands hinaus. Hunt z. B. ist Orientmaler. Sie erweiterten den Zweck der Kunst, indem sie den Zweck obenan stellten und die Behandlung naiv gestalteten. Sie malten eine Ophelia am Bach, die Auffindung des Heilands, einen ehrlich tragischen Hugenottentod. Ihre Schüler illustrierten Mr. Anthony Trollopes Parabeln (welche weniger bekannt sind als sie es ver¬ dienen) und leisteten Holzschnitte zu Thackerays Werken. Aber schon diese Brüderschaft, die also nach „Umfassung" strebte, und an den antiken Idealen *) Aehnlich wie Lord Lytton, als er, aus Indien zurückkehrend, auf seinem Gute seine Pächter begrüßte, nicht von seiner Policy sprach, sondern von seiner Polity, was der Sx«otg,lor sarkastischer Weise ausbeutete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/284>, abgerufen am 29.12.2024.