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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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confisciert, der es wie die früher eingezognen Lehen an englische und schottische
Ansiedler vergab. Die Iren haben dieses Verfahren und sein Ergebniß immer
als ein schreiendes Unrecht betrachtet, zumal da jene neuen Herren des Grundes
und Bodens und ihre Nachkommen dem Landvolke, das nun von ihnen pachten
mußte, häufig drückende Bedingungen auferlegten und, wenn diese nicht erfüllt
wurden, die Pächter unbarmherzig von Haus und Hof vertrieben. Das irische
Volk fand es ungerecht, Grundherren, deren Familien durch Gewaltthat Stücke
irischen Bodens erlangt hatten und noch dazu meist nicht darauf lebten, son¬
dern ihre Einnahmen außerhalb des Landes verzehrten, Pacht entrichten zu sollen,
und wenn jemand nach solcher Ansicht handelte oder aus andern Ursachen den
Termin der Pachtzahlung versäumte und dann von der Pachtung entfernt wurde,
fo rächten geheime Verbindungen dies durch Ermordung des Grundbesitzers oder
dessen, der in seinem Auftrage die Exmission vollzogen hatte.

Von Zeit zu Zeit wurden diese agrarischen Morde und andere mit dem
Pachtsystem zusammenhängenden Verbrechen geradezu epidemisch. Vor etwa
zwölf Jahren kamen im Laufe weniger Monate nicht weniger als sieben solcher
Morde vor. Dann wurde es stiller davon. Gegenwärtig aber, wo die "Land-
liga" mit ihren Versammlungen die Gemüther der westlichen Theile Irlands
in unaufhörlicher Aufregung erhält, um durch Einschüchterung die Grundbesitzer
zum Aufgeben ihrer Pachtansprüche zu bewegen, hat fast jede Woche von solchen
und ähnlichen Missethaten, von Todesandrohungen, Eigenthnmsbeschädigungen und
dergl. zu erzählen, und in manchen Gegenden übt die mit der offen auftretenden
Liga im Einklange handelnde geheime Fehme der KibbonwsQ ein förmliches
Schreckensregiment, dem sich jedermann unterwirft. Gesetz und Polizei sind in
den meisten Fällen ohnmächtig, da die Verbrecher äußerst selten verrathen werden,
und da sich, wenn man ihrer einmal habhaft wird, in der Regel keine Zeugen
zu ihrer Ueberführung finden. Selbst in vergleichsweise ruhigen Jahren reichte
also das verfassungsmäßige Verfahren nicht immer zum Schutze der bedrohten
Grundherren und Verwalter hin, und so war man zu beständigen Aushebungen
der Habeas-Corpus-Acte, d. h. zur Erklärung des Belagerungszustandes ge¬
zwungen. So stand es zuletzt unter Beaconsfield, und wenn Gladstone von
jener Maßregel zurückgekommen ist, so ist die Folge eine sofortige Verschlimme¬
rung der Zustände gewesen.

Seit einigen Wochen kann man fast sagen, die agrarischen Morde seien
an der Tagesordnung. Noch war die Nachricht von der Unthat nicht verhallt,
bei der Lord Mountmorres, keiner der ärgsten Landherren Irlands, von Meuchel¬
mördern mit sechs Kugeln erschossen worden, als in Nord-Kerry ein Mordver¬
such gegen den Großgrundbesitzer Stoughton stattfand, der sich geweigert, seinen
Pächtern wie im vorigen Jahre einen großen Theil ihrer Pachtgelder zu erlassen.


confisciert, der es wie die früher eingezognen Lehen an englische und schottische
Ansiedler vergab. Die Iren haben dieses Verfahren und sein Ergebniß immer
als ein schreiendes Unrecht betrachtet, zumal da jene neuen Herren des Grundes
und Bodens und ihre Nachkommen dem Landvolke, das nun von ihnen pachten
mußte, häufig drückende Bedingungen auferlegten und, wenn diese nicht erfüllt
wurden, die Pächter unbarmherzig von Haus und Hof vertrieben. Das irische
Volk fand es ungerecht, Grundherren, deren Familien durch Gewaltthat Stücke
irischen Bodens erlangt hatten und noch dazu meist nicht darauf lebten, son¬
dern ihre Einnahmen außerhalb des Landes verzehrten, Pacht entrichten zu sollen,
und wenn jemand nach solcher Ansicht handelte oder aus andern Ursachen den
Termin der Pachtzahlung versäumte und dann von der Pachtung entfernt wurde,
fo rächten geheime Verbindungen dies durch Ermordung des Grundbesitzers oder
dessen, der in seinem Auftrage die Exmission vollzogen hatte.

Von Zeit zu Zeit wurden diese agrarischen Morde und andere mit dem
Pachtsystem zusammenhängenden Verbrechen geradezu epidemisch. Vor etwa
zwölf Jahren kamen im Laufe weniger Monate nicht weniger als sieben solcher
Morde vor. Dann wurde es stiller davon. Gegenwärtig aber, wo die „Land-
liga" mit ihren Versammlungen die Gemüther der westlichen Theile Irlands
in unaufhörlicher Aufregung erhält, um durch Einschüchterung die Grundbesitzer
zum Aufgeben ihrer Pachtansprüche zu bewegen, hat fast jede Woche von solchen
und ähnlichen Missethaten, von Todesandrohungen, Eigenthnmsbeschädigungen und
dergl. zu erzählen, und in manchen Gegenden übt die mit der offen auftretenden
Liga im Einklange handelnde geheime Fehme der KibbonwsQ ein förmliches
Schreckensregiment, dem sich jedermann unterwirft. Gesetz und Polizei sind in
den meisten Fällen ohnmächtig, da die Verbrecher äußerst selten verrathen werden,
und da sich, wenn man ihrer einmal habhaft wird, in der Regel keine Zeugen
zu ihrer Ueberführung finden. Selbst in vergleichsweise ruhigen Jahren reichte
also das verfassungsmäßige Verfahren nicht immer zum Schutze der bedrohten
Grundherren und Verwalter hin, und so war man zu beständigen Aushebungen
der Habeas-Corpus-Acte, d. h. zur Erklärung des Belagerungszustandes ge¬
zwungen. So stand es zuletzt unter Beaconsfield, und wenn Gladstone von
jener Maßregel zurückgekommen ist, so ist die Folge eine sofortige Verschlimme¬
rung der Zustände gewesen.

Seit einigen Wochen kann man fast sagen, die agrarischen Morde seien
an der Tagesordnung. Noch war die Nachricht von der Unthat nicht verhallt,
bei der Lord Mountmorres, keiner der ärgsten Landherren Irlands, von Meuchel¬
mördern mit sechs Kugeln erschossen worden, als in Nord-Kerry ein Mordver¬
such gegen den Großgrundbesitzer Stoughton stattfand, der sich geweigert, seinen
Pächtern wie im vorigen Jahre einen großen Theil ihrer Pachtgelder zu erlassen.


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[0254] confisciert, der es wie die früher eingezognen Lehen an englische und schottische Ansiedler vergab. Die Iren haben dieses Verfahren und sein Ergebniß immer als ein schreiendes Unrecht betrachtet, zumal da jene neuen Herren des Grundes und Bodens und ihre Nachkommen dem Landvolke, das nun von ihnen pachten mußte, häufig drückende Bedingungen auferlegten und, wenn diese nicht erfüllt wurden, die Pächter unbarmherzig von Haus und Hof vertrieben. Das irische Volk fand es ungerecht, Grundherren, deren Familien durch Gewaltthat Stücke irischen Bodens erlangt hatten und noch dazu meist nicht darauf lebten, son¬ dern ihre Einnahmen außerhalb des Landes verzehrten, Pacht entrichten zu sollen, und wenn jemand nach solcher Ansicht handelte oder aus andern Ursachen den Termin der Pachtzahlung versäumte und dann von der Pachtung entfernt wurde, fo rächten geheime Verbindungen dies durch Ermordung des Grundbesitzers oder dessen, der in seinem Auftrage die Exmission vollzogen hatte. Von Zeit zu Zeit wurden diese agrarischen Morde und andere mit dem Pachtsystem zusammenhängenden Verbrechen geradezu epidemisch. Vor etwa zwölf Jahren kamen im Laufe weniger Monate nicht weniger als sieben solcher Morde vor. Dann wurde es stiller davon. Gegenwärtig aber, wo die „Land- liga" mit ihren Versammlungen die Gemüther der westlichen Theile Irlands in unaufhörlicher Aufregung erhält, um durch Einschüchterung die Grundbesitzer zum Aufgeben ihrer Pachtansprüche zu bewegen, hat fast jede Woche von solchen und ähnlichen Missethaten, von Todesandrohungen, Eigenthnmsbeschädigungen und dergl. zu erzählen, und in manchen Gegenden übt die mit der offen auftretenden Liga im Einklange handelnde geheime Fehme der KibbonwsQ ein förmliches Schreckensregiment, dem sich jedermann unterwirft. Gesetz und Polizei sind in den meisten Fällen ohnmächtig, da die Verbrecher äußerst selten verrathen werden, und da sich, wenn man ihrer einmal habhaft wird, in der Regel keine Zeugen zu ihrer Ueberführung finden. Selbst in vergleichsweise ruhigen Jahren reichte also das verfassungsmäßige Verfahren nicht immer zum Schutze der bedrohten Grundherren und Verwalter hin, und so war man zu beständigen Aushebungen der Habeas-Corpus-Acte, d. h. zur Erklärung des Belagerungszustandes ge¬ zwungen. So stand es zuletzt unter Beaconsfield, und wenn Gladstone von jener Maßregel zurückgekommen ist, so ist die Folge eine sofortige Verschlimme¬ rung der Zustände gewesen. Seit einigen Wochen kann man fast sagen, die agrarischen Morde seien an der Tagesordnung. Noch war die Nachricht von der Unthat nicht verhallt, bei der Lord Mountmorres, keiner der ärgsten Landherren Irlands, von Meuchel¬ mördern mit sechs Kugeln erschossen worden, als in Nord-Kerry ein Mordver¬ such gegen den Großgrundbesitzer Stoughton stattfand, der sich geweigert, seinen Pächtern wie im vorigen Jahre einen großen Theil ihrer Pachtgelder zu erlassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/254>, abgerufen am 28.12.2024.