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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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schen Ansprüchen auftreten, heraus, sie berufen sich ans die Unfähigkeit "hervor¬
ragender" Vertreter der idealistischen Kunstanschauung, sie nehmen die Miene
an, eben nur von diesen Repräsentanten zu wissen, oder versichern wenigstens
dem verehrten Publikum, daß sie mit sorgfältiger Auswahl zu Werke gegan¬
gen seien.

Vor etliche" Wochen lief eine sehr charakteristische Notiz durch die Zei¬
tungen. In München hatte ein Autor von patriotischen Dramen, welche der
Verfasser selbst als "Tugendstücke" bezeichnete, die Hoftheaterintendanz wegen
Begünstigung der "Machwerke" des "berüchtigten Dramenfabrikanten Wilbrandt"
und Nichtberücksichtigung seiner eignen patriotisch-tugendhaften Dichtungen zu
verklagen versucht. Die große Mehrzahl der Zeitungen berichtete über den Fall
in einem hier fast unvermeidlichen humoristischen Tone. Ohne die bewußten
Patriotischen Dichtungen zu kennen, durfte man annehmen, daß es sich um ganz
unzulängliche, wenn noch so wohlgemeinte Versuche handle. Kein Mensch von
einiger Leistungsfähigkeit und einigermaßen gesundem Selbstgefühl würde ein
solches Pathos der Eitelkeit entfaltet haben, wie sich in der bewußten Klage
kundgab. Keiner, der einige Kenntniß von unsern literarisch-artistischen Zu¬
ständen hat, könnte des Glaubens leben, daß auf diesem Wege selbst für ein
wirkliches Talent Gerechtigkeit zu erlangen sei. So weit also haben die Zei¬
tungen natürlich Recht, welche die ganze Angelegenheit als einen guten Scherz
behandeln. Wenn hie und da der Versuch gemacht wird, der Sache eine ernste
Seite abzugewinnen, so darf das sicher nicht in dem Sinne geschehen, daß ohne
weiteres angenommen wird, der durch die Münchner Jntendanzentscheidung "ge¬
schädigte" sei ein Mann von Begabung, und an seinen Tugendstücken würden
Bühne und Literatur einen Gewinn gemacht haben. Wem es ernsthaft darum
M thun ist, das Gute und innerlich Vortreffliche in der Literatur der Gegen¬
wart hervorzuheben, der darf nicht damit anfangen, daß er an Leistungen seiner
eignen Richtung den kürzesten und biegsamsten Maßstab legt, sondern er muß
hier die allerstrengsten Forderungen stellen und aufrecht erhalten. Gute Leute
und schlechte Musikanten können uns nicht helfen; was wir brauchen, sind gute
Leute und -- gute Musikanten! Der Hauptmann und Dichter mit den mehrer¬
wähnten Tugenddramen wird schwerlich zu ihnen gehören, und man darf sich
von vornherein gegen ihn und gleichgestimmte Dramatiker verwahren, zugleich
aber protestieren, daß von den Lobrednern der L'Arronge und Hugo Bürger
die Parole ausgegeben werde, daß alle Stücke von ernsteren Gehalt und höherm
Schwung vom Schlage derjenigen seien, für welche die ästhetische Anerkennung
vor dem Münchner Amtsgericht gesucht wurde. Setzen wir gleich hinzu, daß,
so wunderlich und albern der Versuch war, vor dem Richter die Ungerechtig¬
keiten theatralischer Preiscommissionen auszugleichen, daraus noch lange nicht


schen Ansprüchen auftreten, heraus, sie berufen sich ans die Unfähigkeit „hervor¬
ragender" Vertreter der idealistischen Kunstanschauung, sie nehmen die Miene
an, eben nur von diesen Repräsentanten zu wissen, oder versichern wenigstens
dem verehrten Publikum, daß sie mit sorgfältiger Auswahl zu Werke gegan¬
gen seien.

Vor etliche» Wochen lief eine sehr charakteristische Notiz durch die Zei¬
tungen. In München hatte ein Autor von patriotischen Dramen, welche der
Verfasser selbst als „Tugendstücke" bezeichnete, die Hoftheaterintendanz wegen
Begünstigung der „Machwerke" des „berüchtigten Dramenfabrikanten Wilbrandt"
und Nichtberücksichtigung seiner eignen patriotisch-tugendhaften Dichtungen zu
verklagen versucht. Die große Mehrzahl der Zeitungen berichtete über den Fall
in einem hier fast unvermeidlichen humoristischen Tone. Ohne die bewußten
Patriotischen Dichtungen zu kennen, durfte man annehmen, daß es sich um ganz
unzulängliche, wenn noch so wohlgemeinte Versuche handle. Kein Mensch von
einiger Leistungsfähigkeit und einigermaßen gesundem Selbstgefühl würde ein
solches Pathos der Eitelkeit entfaltet haben, wie sich in der bewußten Klage
kundgab. Keiner, der einige Kenntniß von unsern literarisch-artistischen Zu¬
ständen hat, könnte des Glaubens leben, daß auf diesem Wege selbst für ein
wirkliches Talent Gerechtigkeit zu erlangen sei. So weit also haben die Zei¬
tungen natürlich Recht, welche die ganze Angelegenheit als einen guten Scherz
behandeln. Wenn hie und da der Versuch gemacht wird, der Sache eine ernste
Seite abzugewinnen, so darf das sicher nicht in dem Sinne geschehen, daß ohne
weiteres angenommen wird, der durch die Münchner Jntendanzentscheidung „ge¬
schädigte" sei ein Mann von Begabung, und an seinen Tugendstücken würden
Bühne und Literatur einen Gewinn gemacht haben. Wem es ernsthaft darum
M thun ist, das Gute und innerlich Vortreffliche in der Literatur der Gegen¬
wart hervorzuheben, der darf nicht damit anfangen, daß er an Leistungen seiner
eignen Richtung den kürzesten und biegsamsten Maßstab legt, sondern er muß
hier die allerstrengsten Forderungen stellen und aufrecht erhalten. Gute Leute
und schlechte Musikanten können uns nicht helfen; was wir brauchen, sind gute
Leute und — gute Musikanten! Der Hauptmann und Dichter mit den mehrer¬
wähnten Tugenddramen wird schwerlich zu ihnen gehören, und man darf sich
von vornherein gegen ihn und gleichgestimmte Dramatiker verwahren, zugleich
aber protestieren, daß von den Lobrednern der L'Arronge und Hugo Bürger
die Parole ausgegeben werde, daß alle Stücke von ernsteren Gehalt und höherm
Schwung vom Schlage derjenigen seien, für welche die ästhetische Anerkennung
vor dem Münchner Amtsgericht gesucht wurde. Setzen wir gleich hinzu, daß,
so wunderlich und albern der Versuch war, vor dem Richter die Ungerechtig¬
keiten theatralischer Preiscommissionen auszugleichen, daraus noch lange nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/243>, abgerufen am 28.12.2024.