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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Denn solcher Widerspruch wirkt auf das Volk sittlich verwirrend, daher un¬
sittlich. Die jüdische Moral aber, aus einer langen Leidensgeschichte und aus
der langen Nährung mit deu ätzenden Stoffen talmudistischer Weisheit erwachsen,
steht im Widerspruch zu der Volksmoral der Massen. Es widerspricht unsrer
Volksmoral, daß es einem Stamme von Gott soll verboten sein, mit uns aus
einer Schüssel zu essen, daß dieser Stamm sich einem Haupttheil unsrer Arbeit
entzieht, daß er nach seinem Gesetz und seiner Gewohnheit der ruhigen Seßhaf¬
tigkeit widerstrebt, daß dieser verachtete Stamm sich für den künftigen Herrscher
der Welt ansieht und heute eine bedeutende Herrschaft des Geistes und des
Geldes ausübt. Wenn man genau nachsieht, was der litthauische Bauer im
Grunde seines Herzens meint, so wird man finden, daß er, so gewohnheitsmäßig
er des jüdischen Händlers bedarf, doch das Volk Israel wie eine Art von
Steuererhebern betrachtet, denen er von seinem Schweiß und Mühen den Zins
giebt. Denn dem Bauern, der großen Masse der Volker, ist Arbeit vor allem
körperliche Arbeit, und von dieser hält sich der Jude möglichst fern.

Man hat in Europa und so auch in Rußland wiederholte Versuche ge¬
macht, um Juden zu Landbauern zu erziehen, bis jetzt aber vergeblich. In
Polen-Litthauen findet man nicht selten jüdische Landleute, meist als Pächter,
selten als Eigenthümer und eben so selten als einfache Arbeiter. Das letztere
hat seinen guten Grund mindestens gleich sehr in den Anlagen wie in Ge¬
schichte und äußerer Stellung der Juden. Der geistige Aristokrat kann seine
Verstandeskräfte natürlich weit besser ausnutzen durch Arbeit, die Verstand er¬
heischt, als hinter dem Pfluge. Handel ist und bleibt die Nährmutter Israels,
und es ist wiederum falsch, wenn man behauptet, der Jude sei blos deshalb
Handelsmann, weil man ihm Jahrhunderte lang allen andern Erwerb gewaltsam
genommen habe. Die Wahrheit ist, daß seine natürlichen Anlagen ihn zum
Händler machen und gemacht haben. Es mag eine Zeit gewesen sein, wo der
Jude Ackerbauer, Krieger, Staatsmann war. Aber die Zeiten des Judas Mak-
kabäus und des Bar Kochba liegen weit hinter uns. Zudem hat man ihm
auch in frühern Jahrhunderten in Wirklichkeit nicht immer gehindert, productiv,
unmittelbar productiv, also beispielsweise Ackerbauer zu werden. Und wäre es
auch so gewesen, so stünden wir nur zum dritten Mal bei jenem Widerstreit,
dessen eine Seite der warme Verfechter seines Volkes, Karl Emil Franzos, in
die Sentenz zusammenfaßt: "Jedes Volk hat die Juden, welche es verdient."
Eine geistreiche Sentenz, aber auch nur eine Sentenz, nicht mehr. Franzos
haßt die Polen als die alten Bedrücker seines Stammes und seiner Leidens-
genossen, der Ruthenen. Das verarge ich ihm nicht; seine Sentenz ist eine
scharfe Lanzenspitze gegen das Polenthum. Aber praktisch hat seine Sentenz
doch nur geringen Werth für denjenigen, welcher mit Besonnenheit nach einem


Denn solcher Widerspruch wirkt auf das Volk sittlich verwirrend, daher un¬
sittlich. Die jüdische Moral aber, aus einer langen Leidensgeschichte und aus
der langen Nährung mit deu ätzenden Stoffen talmudistischer Weisheit erwachsen,
steht im Widerspruch zu der Volksmoral der Massen. Es widerspricht unsrer
Volksmoral, daß es einem Stamme von Gott soll verboten sein, mit uns aus
einer Schüssel zu essen, daß dieser Stamm sich einem Haupttheil unsrer Arbeit
entzieht, daß er nach seinem Gesetz und seiner Gewohnheit der ruhigen Seßhaf¬
tigkeit widerstrebt, daß dieser verachtete Stamm sich für den künftigen Herrscher
der Welt ansieht und heute eine bedeutende Herrschaft des Geistes und des
Geldes ausübt. Wenn man genau nachsieht, was der litthauische Bauer im
Grunde seines Herzens meint, so wird man finden, daß er, so gewohnheitsmäßig
er des jüdischen Händlers bedarf, doch das Volk Israel wie eine Art von
Steuererhebern betrachtet, denen er von seinem Schweiß und Mühen den Zins
giebt. Denn dem Bauern, der großen Masse der Volker, ist Arbeit vor allem
körperliche Arbeit, und von dieser hält sich der Jude möglichst fern.

Man hat in Europa und so auch in Rußland wiederholte Versuche ge¬
macht, um Juden zu Landbauern zu erziehen, bis jetzt aber vergeblich. In
Polen-Litthauen findet man nicht selten jüdische Landleute, meist als Pächter,
selten als Eigenthümer und eben so selten als einfache Arbeiter. Das letztere
hat seinen guten Grund mindestens gleich sehr in den Anlagen wie in Ge¬
schichte und äußerer Stellung der Juden. Der geistige Aristokrat kann seine
Verstandeskräfte natürlich weit besser ausnutzen durch Arbeit, die Verstand er¬
heischt, als hinter dem Pfluge. Handel ist und bleibt die Nährmutter Israels,
und es ist wiederum falsch, wenn man behauptet, der Jude sei blos deshalb
Handelsmann, weil man ihm Jahrhunderte lang allen andern Erwerb gewaltsam
genommen habe. Die Wahrheit ist, daß seine natürlichen Anlagen ihn zum
Händler machen und gemacht haben. Es mag eine Zeit gewesen sein, wo der
Jude Ackerbauer, Krieger, Staatsmann war. Aber die Zeiten des Judas Mak-
kabäus und des Bar Kochba liegen weit hinter uns. Zudem hat man ihm
auch in frühern Jahrhunderten in Wirklichkeit nicht immer gehindert, productiv,
unmittelbar productiv, also beispielsweise Ackerbauer zu werden. Und wäre es
auch so gewesen, so stünden wir nur zum dritten Mal bei jenem Widerstreit,
dessen eine Seite der warme Verfechter seines Volkes, Karl Emil Franzos, in
die Sentenz zusammenfaßt: „Jedes Volk hat die Juden, welche es verdient."
Eine geistreiche Sentenz, aber auch nur eine Sentenz, nicht mehr. Franzos
haßt die Polen als die alten Bedrücker seines Stammes und seiner Leidens-
genossen, der Ruthenen. Das verarge ich ihm nicht; seine Sentenz ist eine
scharfe Lanzenspitze gegen das Polenthum. Aber praktisch hat seine Sentenz
doch nur geringen Werth für denjenigen, welcher mit Besonnenheit nach einem


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[0220] Denn solcher Widerspruch wirkt auf das Volk sittlich verwirrend, daher un¬ sittlich. Die jüdische Moral aber, aus einer langen Leidensgeschichte und aus der langen Nährung mit deu ätzenden Stoffen talmudistischer Weisheit erwachsen, steht im Widerspruch zu der Volksmoral der Massen. Es widerspricht unsrer Volksmoral, daß es einem Stamme von Gott soll verboten sein, mit uns aus einer Schüssel zu essen, daß dieser Stamm sich einem Haupttheil unsrer Arbeit entzieht, daß er nach seinem Gesetz und seiner Gewohnheit der ruhigen Seßhaf¬ tigkeit widerstrebt, daß dieser verachtete Stamm sich für den künftigen Herrscher der Welt ansieht und heute eine bedeutende Herrschaft des Geistes und des Geldes ausübt. Wenn man genau nachsieht, was der litthauische Bauer im Grunde seines Herzens meint, so wird man finden, daß er, so gewohnheitsmäßig er des jüdischen Händlers bedarf, doch das Volk Israel wie eine Art von Steuererhebern betrachtet, denen er von seinem Schweiß und Mühen den Zins giebt. Denn dem Bauern, der großen Masse der Volker, ist Arbeit vor allem körperliche Arbeit, und von dieser hält sich der Jude möglichst fern. Man hat in Europa und so auch in Rußland wiederholte Versuche ge¬ macht, um Juden zu Landbauern zu erziehen, bis jetzt aber vergeblich. In Polen-Litthauen findet man nicht selten jüdische Landleute, meist als Pächter, selten als Eigenthümer und eben so selten als einfache Arbeiter. Das letztere hat seinen guten Grund mindestens gleich sehr in den Anlagen wie in Ge¬ schichte und äußerer Stellung der Juden. Der geistige Aristokrat kann seine Verstandeskräfte natürlich weit besser ausnutzen durch Arbeit, die Verstand er¬ heischt, als hinter dem Pfluge. Handel ist und bleibt die Nährmutter Israels, und es ist wiederum falsch, wenn man behauptet, der Jude sei blos deshalb Handelsmann, weil man ihm Jahrhunderte lang allen andern Erwerb gewaltsam genommen habe. Die Wahrheit ist, daß seine natürlichen Anlagen ihn zum Händler machen und gemacht haben. Es mag eine Zeit gewesen sein, wo der Jude Ackerbauer, Krieger, Staatsmann war. Aber die Zeiten des Judas Mak- kabäus und des Bar Kochba liegen weit hinter uns. Zudem hat man ihm auch in frühern Jahrhunderten in Wirklichkeit nicht immer gehindert, productiv, unmittelbar productiv, also beispielsweise Ackerbauer zu werden. Und wäre es auch so gewesen, so stünden wir nur zum dritten Mal bei jenem Widerstreit, dessen eine Seite der warme Verfechter seines Volkes, Karl Emil Franzos, in die Sentenz zusammenfaßt: „Jedes Volk hat die Juden, welche es verdient." Eine geistreiche Sentenz, aber auch nur eine Sentenz, nicht mehr. Franzos haßt die Polen als die alten Bedrücker seines Stammes und seiner Leidens- genossen, der Ruthenen. Das verarge ich ihm nicht; seine Sentenz ist eine scharfe Lanzenspitze gegen das Polenthum. Aber praktisch hat seine Sentenz doch nur geringen Werth für denjenigen, welcher mit Besonnenheit nach einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/220>, abgerufen am 28.12.2024.