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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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mich, und dann wird meine Stunde erschienen sein. So hat er sich in die
Stellung eines Schöpfers und Zerstörers von Ministerien hineingelebt. Ob
den unteren Mächten gegenüber, die, wenn er einmal zur Gewalt gelangte, wahr¬
scheinlich bald auch ihn beseitigen und seine Erbschaft antreten würden, und die
sich jetzt schon mit Eifer gegen ihn regen, jemals die Zeit kommen wird, in
welcher er mit seinem Anspruch offen hervortreten und den Präsidenteustuhl der
Republik besteigen könnte, den er bisher zu verschmähen schien, ist noch nicht zu
sage". Gewiß aber ist, daß er kein Amt annehmen wird, welches ihm nicht
die unbedingte, ungetheilte und unbestrittene Gewalt des Dictators verleiht.

Daß ein derartiger Charakter nicht in das parlamentarische System, ge¬
schweige denn in eine wahre und echte Republik paßt, liegt auf der Hand. Mau
kaun es keinen gesunden Zustand nennen, wenn das Wesen der Gewalt nicht
in der Hand derer ist, die nur dem Titel nach ihre Trüger sind, aber in Wahr¬
heit nur ihre Last und ihre Verantwortung tragen. In Frankreich folgen sich,
seitdem Gambetta maßgebenden Einfluß erlangt hat, die Ministerwechsel mit
unnatürlicher Schnelligkeit, und manches läßt befürchten, daß man dort vom
Schlüsse der Aera der Krisen noch weit entfernt ist. Kein Cabinet vermag sich
lange zu halten, und bald wird kein Mann von Werth und Würde sich noch
dazu hergeben wollen, als bloßes Werkzeug für den Ehrgeiz eines anderen zu
dienen und sich zu eompromittieren, um bei der ersten besten Gelegenheit bei
Seite geschoben zu werden. Nicht uneben bezeichnete eine französische Zeitung
die jetzigen Zustände mit den Worten: 1^68 oaxg-oitÜL IrrösxoQLÄdlßs s"z "a-
vtiont clsrriürs los iQczaxaoitös rüsponsMes. Kann ein solches Verhältniß,
welches den elementarsten Grundsätzen des Parlamentarismus schnurstracks zu¬
widerläuft, lange Bestand haben? Wir möchten daran zweifeln, da die Fran¬
zosen eifersüchtiger als andere Völker das Prestige ihrer leitenden Politiker
überwachen. Gambetta könnte sich mit seiner immer wiederkehrenden Weigerung,
durch Uebernahme eines verantwortlichen Amtes in den Vordergrund zu treten,
doch möglicherweise verrechnen. Er will sich nicht als leitender Minister ab¬
nutzen, aber es könnte geschehen, daß er sich als Macher und Beseitiger von
Ministern abnntzte, es könnte kommen, daß die öffentliche Meinung den bereits
zahlreichen Stimmen Recht gäbe, die ihn der Unfähigkeit und Feigheit beschul¬
digen, wenn er fortfährt, Minister zu stürzen, ohne deren Platz einzunehmen
und den Beweis zu führen, daß er es bester machen kann als die Beseitigten.

Setzen wir aber den Fall, daß dies nicht geschieht, und daß Gambettas
Streben mit der Zeit an sein Ziel gelangt. Müssen wir davon unbedingt in
auswärtigen Fragen Unheil erwarten? Haben wir in einer Präsidentur Gam¬
bettas den Beginn des Revanchekrieges gegen Deutschland zu fürchten? Man¬
cherlei spricht dafür, und wir werden wohlthun, uns so einzurichten, als ob diese


mich, und dann wird meine Stunde erschienen sein. So hat er sich in die
Stellung eines Schöpfers und Zerstörers von Ministerien hineingelebt. Ob
den unteren Mächten gegenüber, die, wenn er einmal zur Gewalt gelangte, wahr¬
scheinlich bald auch ihn beseitigen und seine Erbschaft antreten würden, und die
sich jetzt schon mit Eifer gegen ihn regen, jemals die Zeit kommen wird, in
welcher er mit seinem Anspruch offen hervortreten und den Präsidenteustuhl der
Republik besteigen könnte, den er bisher zu verschmähen schien, ist noch nicht zu
sage». Gewiß aber ist, daß er kein Amt annehmen wird, welches ihm nicht
die unbedingte, ungetheilte und unbestrittene Gewalt des Dictators verleiht.

Daß ein derartiger Charakter nicht in das parlamentarische System, ge¬
schweige denn in eine wahre und echte Republik paßt, liegt auf der Hand. Mau
kaun es keinen gesunden Zustand nennen, wenn das Wesen der Gewalt nicht
in der Hand derer ist, die nur dem Titel nach ihre Trüger sind, aber in Wahr¬
heit nur ihre Last und ihre Verantwortung tragen. In Frankreich folgen sich,
seitdem Gambetta maßgebenden Einfluß erlangt hat, die Ministerwechsel mit
unnatürlicher Schnelligkeit, und manches läßt befürchten, daß man dort vom
Schlüsse der Aera der Krisen noch weit entfernt ist. Kein Cabinet vermag sich
lange zu halten, und bald wird kein Mann von Werth und Würde sich noch
dazu hergeben wollen, als bloßes Werkzeug für den Ehrgeiz eines anderen zu
dienen und sich zu eompromittieren, um bei der ersten besten Gelegenheit bei
Seite geschoben zu werden. Nicht uneben bezeichnete eine französische Zeitung
die jetzigen Zustände mit den Worten: 1^68 oaxg-oitÜL IrrösxoQLÄdlßs s«z «a-
vtiont clsrriürs los iQczaxaoitös rüsponsMes. Kann ein solches Verhältniß,
welches den elementarsten Grundsätzen des Parlamentarismus schnurstracks zu¬
widerläuft, lange Bestand haben? Wir möchten daran zweifeln, da die Fran¬
zosen eifersüchtiger als andere Völker das Prestige ihrer leitenden Politiker
überwachen. Gambetta könnte sich mit seiner immer wiederkehrenden Weigerung,
durch Uebernahme eines verantwortlichen Amtes in den Vordergrund zu treten,
doch möglicherweise verrechnen. Er will sich nicht als leitender Minister ab¬
nutzen, aber es könnte geschehen, daß er sich als Macher und Beseitiger von
Ministern abnntzte, es könnte kommen, daß die öffentliche Meinung den bereits
zahlreichen Stimmen Recht gäbe, die ihn der Unfähigkeit und Feigheit beschul¬
digen, wenn er fortfährt, Minister zu stürzen, ohne deren Platz einzunehmen
und den Beweis zu führen, daß er es bester machen kann als die Beseitigten.

Setzen wir aber den Fall, daß dies nicht geschieht, und daß Gambettas
Streben mit der Zeit an sein Ziel gelangt. Müssen wir davon unbedingt in
auswärtigen Fragen Unheil erwarten? Haben wir in einer Präsidentur Gam¬
bettas den Beginn des Revanchekrieges gegen Deutschland zu fürchten? Man¬
cherlei spricht dafür, und wir werden wohlthun, uns so einzurichten, als ob diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/131>, abgerufen am 28.12.2024.