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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Werke nicht genügend bezahlen, wenn er ihnen nicht etwas "Schund" mit in den
Kauf giebt!

Aber der nichtcvmpouireude Musiklehrer sollte doch eine Ausnahme machen --
was kaun ihn bewegen, einer Badrczewska, einem Richards den Vorzug zu geben
vor Mvznrt und Haydn? Lediglich wieder sein pecuuiäres Interesse.' Und hier
kommen wir zur dunkelsten Stelle unseres Schattenrisses, einer wirklichen Nachtseite
der Existenz der Musiklehrer, eiuer, die das Licht scheuen muß: Es giebt zwischen
Musiklehrern und Musikalienhändlern gewisse Uebereinkommen,
welche es für erstere zu einem Gegenstande'lebhaften pecuniären In¬
teresses machen, daß die letzteren möglichst viel schlechte Musik ver¬
kaufen. Der Musiklehrer hat beim Musikalienhändler ein Conto, ans dem ihm für
jedes Werk, daß seine Schüler kaufen, ein mäßiger Procentsatz zur Gutschrift
notiert wird; ein dem Schiller angegebenes Zettelchen, auf welchem der Titel
des Stücks und der Name des Lehrers notiert ist, belehrt den Musikalienhändler,
von wem der Auftrag kommt. Eine andere Form ist die, daß der Musiklehrer als
Zwischenglied zwischen Musikalienhändler und Schüler tritt, d. h. selbst die Musi-
kalien mit Rabatt kauft und zum Ordinärpreise an die Schüler weitergiebt.
Wer die Musikalien-Nabattverhältnisse kennt, weiß, daß dabei sowohl sür den
Musikalienhändler (wir meinen den Wiederverkänfer, nicht den Verleger) als
für deu Musiklehrer etwas ganz Erkleckliches herauskommen kaum. Bei soge¬
nannter Ordinärwaare, d. h. bei Werken, deren Preis ohne n (nstto) notiert ist,
steigt der Rabatt von 50 bis 60, ja bis zu 75 Procent, d. h. der Wiederver¬
käufer bezahlt --V2 des Neunwerthes, während schließlich der Schüler den
vollen Preis zahlen muß, sodaß 50 -- 75 Procent aus die Brüder Musikalien¬
händler und Musiklehrer fallen, die sich in den Raub theilen. Die billigen
Klassikerausgaben, welche Nettopreise haben (d. h. auf welche nur bis 33^
Procent Rabatt gegeben wird) haben diesem lukrativen Geschäft einen empfind¬
lichen Stoß versetzt. We"n man Beethovens sämmtliche Sonaten zu demselben
Preise verkaufen muß wie früher eine einzige Sonate und an dein ganzen Bande
noch weniger positiert als früher am einzelnen Hefte, so ist das freilich bitter;
zugleich ist aber damit auch der Schlüssel für die räthselhafte Liebhaberei so
vieler Klavierlehrer für seichteste Modemusik gegeben. Man wird kaum fehl¬
gehen, wenn man annimmt, daß die Klavierlehrer, welche auf Etuden und So¬
naten wenig Werth legen und viel Salonstücke spielen lassen, einen Contract
der bezeichneten Art mit deu Musikalienhändlern eingegangen siud; ein Judicium
bedenklichster Art ist es auch, wenn die Schüler durch den Lehrer immer nach
einer bestimmten Musikalienhandlung gewiesen werden.

Dieses Freibeutershstem unter dem Deckmantel der Kunst ist ein schwerer
Krebsschaden unsrer musikalischen Verhältnisse. Von den Mehrausgäben, welche
den Augehörigen der Schüler dnrch dasselbe erwachsen, so daß sie am Ende die
Stunden viel theurer bezahlen als sie meinen, wollen wir absehen; es wird aber
durch dasselbe eine Generation großgezogen, welcher ganz verkehrte Begriffe von
der Kunst durch den Lehrer überliefert sind und welche daher von einem einseitig
bornierten Standpunkte aus Künstler und Kunstwerke beurtheilt, eine Genera¬
tion von Dilettanten in dem jetzt verrufenen Sinne des Wortes, d. h. Leute,
die ein bischen musicieren, aber schlecht und ohne Verständniß für poetische In¬
tentionen und höhere Flüge des musikalischen Genies. Der Dilettant von
ehedem war ein Musikfreund von guter Bildung, der sich in Mußestunden mit
Gesinnungsgenossen zusammenfand, um in Andacht neue Werke bedeuteuder
Meister zu studiere", zu genießen Und zu bewundern; diese Species wird hente


Werke nicht genügend bezahlen, wenn er ihnen nicht etwas „Schund" mit in den
Kauf giebt!

Aber der nichtcvmpouireude Musiklehrer sollte doch eine Ausnahme machen —
was kaun ihn bewegen, einer Badrczewska, einem Richards den Vorzug zu geben
vor Mvznrt und Haydn? Lediglich wieder sein pecuuiäres Interesse.' Und hier
kommen wir zur dunkelsten Stelle unseres Schattenrisses, einer wirklichen Nachtseite
der Existenz der Musiklehrer, eiuer, die das Licht scheuen muß: Es giebt zwischen
Musiklehrern und Musikalienhändlern gewisse Uebereinkommen,
welche es für erstere zu einem Gegenstande'lebhaften pecuniären In¬
teresses machen, daß die letzteren möglichst viel schlechte Musik ver¬
kaufen. Der Musiklehrer hat beim Musikalienhändler ein Conto, ans dem ihm für
jedes Werk, daß seine Schüler kaufen, ein mäßiger Procentsatz zur Gutschrift
notiert wird; ein dem Schiller angegebenes Zettelchen, auf welchem der Titel
des Stücks und der Name des Lehrers notiert ist, belehrt den Musikalienhändler,
von wem der Auftrag kommt. Eine andere Form ist die, daß der Musiklehrer als
Zwischenglied zwischen Musikalienhändler und Schüler tritt, d. h. selbst die Musi-
kalien mit Rabatt kauft und zum Ordinärpreise an die Schüler weitergiebt.
Wer die Musikalien-Nabattverhältnisse kennt, weiß, daß dabei sowohl sür den
Musikalienhändler (wir meinen den Wiederverkänfer, nicht den Verleger) als
für deu Musiklehrer etwas ganz Erkleckliches herauskommen kaum. Bei soge¬
nannter Ordinärwaare, d. h. bei Werken, deren Preis ohne n (nstto) notiert ist,
steigt der Rabatt von 50 bis 60, ja bis zu 75 Procent, d. h. der Wiederver¬
käufer bezahlt —V2 des Neunwerthes, während schließlich der Schüler den
vollen Preis zahlen muß, sodaß 50 — 75 Procent aus die Brüder Musikalien¬
händler und Musiklehrer fallen, die sich in den Raub theilen. Die billigen
Klassikerausgaben, welche Nettopreise haben (d. h. auf welche nur bis 33^
Procent Rabatt gegeben wird) haben diesem lukrativen Geschäft einen empfind¬
lichen Stoß versetzt. We»n man Beethovens sämmtliche Sonaten zu demselben
Preise verkaufen muß wie früher eine einzige Sonate und an dein ganzen Bande
noch weniger positiert als früher am einzelnen Hefte, so ist das freilich bitter;
zugleich ist aber damit auch der Schlüssel für die räthselhafte Liebhaberei so
vieler Klavierlehrer für seichteste Modemusik gegeben. Man wird kaum fehl¬
gehen, wenn man annimmt, daß die Klavierlehrer, welche auf Etuden und So¬
naten wenig Werth legen und viel Salonstücke spielen lassen, einen Contract
der bezeichneten Art mit deu Musikalienhändlern eingegangen siud; ein Judicium
bedenklichster Art ist es auch, wenn die Schüler durch den Lehrer immer nach
einer bestimmten Musikalienhandlung gewiesen werden.

Dieses Freibeutershstem unter dem Deckmantel der Kunst ist ein schwerer
Krebsschaden unsrer musikalischen Verhältnisse. Von den Mehrausgäben, welche
den Augehörigen der Schüler dnrch dasselbe erwachsen, so daß sie am Ende die
Stunden viel theurer bezahlen als sie meinen, wollen wir absehen; es wird aber
durch dasselbe eine Generation großgezogen, welcher ganz verkehrte Begriffe von
der Kunst durch den Lehrer überliefert sind und welche daher von einem einseitig
bornierten Standpunkte aus Künstler und Kunstwerke beurtheilt, eine Genera¬
tion von Dilettanten in dem jetzt verrufenen Sinne des Wortes, d. h. Leute,
die ein bischen musicieren, aber schlecht und ohne Verständniß für poetische In¬
tentionen und höhere Flüge des musikalischen Genies. Der Dilettant von
ehedem war ein Musikfreund von guter Bildung, der sich in Mußestunden mit
Gesinnungsgenossen zusammenfand, um in Andacht neue Werke bedeuteuder
Meister zu studiere«, zu genießen Und zu bewundern; diese Species wird hente


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[0127] Werke nicht genügend bezahlen, wenn er ihnen nicht etwas „Schund" mit in den Kauf giebt! Aber der nichtcvmpouireude Musiklehrer sollte doch eine Ausnahme machen — was kaun ihn bewegen, einer Badrczewska, einem Richards den Vorzug zu geben vor Mvznrt und Haydn? Lediglich wieder sein pecuuiäres Interesse.' Und hier kommen wir zur dunkelsten Stelle unseres Schattenrisses, einer wirklichen Nachtseite der Existenz der Musiklehrer, eiuer, die das Licht scheuen muß: Es giebt zwischen Musiklehrern und Musikalienhändlern gewisse Uebereinkommen, welche es für erstere zu einem Gegenstande'lebhaften pecuniären In¬ teresses machen, daß die letzteren möglichst viel schlechte Musik ver¬ kaufen. Der Musiklehrer hat beim Musikalienhändler ein Conto, ans dem ihm für jedes Werk, daß seine Schüler kaufen, ein mäßiger Procentsatz zur Gutschrift notiert wird; ein dem Schiller angegebenes Zettelchen, auf welchem der Titel des Stücks und der Name des Lehrers notiert ist, belehrt den Musikalienhändler, von wem der Auftrag kommt. Eine andere Form ist die, daß der Musiklehrer als Zwischenglied zwischen Musikalienhändler und Schüler tritt, d. h. selbst die Musi- kalien mit Rabatt kauft und zum Ordinärpreise an die Schüler weitergiebt. Wer die Musikalien-Nabattverhältnisse kennt, weiß, daß dabei sowohl sür den Musikalienhändler (wir meinen den Wiederverkänfer, nicht den Verleger) als für deu Musiklehrer etwas ganz Erkleckliches herauskommen kaum. Bei soge¬ nannter Ordinärwaare, d. h. bei Werken, deren Preis ohne n (nstto) notiert ist, steigt der Rabatt von 50 bis 60, ja bis zu 75 Procent, d. h. der Wiederver¬ käufer bezahlt —V2 des Neunwerthes, während schließlich der Schüler den vollen Preis zahlen muß, sodaß 50 — 75 Procent aus die Brüder Musikalien¬ händler und Musiklehrer fallen, die sich in den Raub theilen. Die billigen Klassikerausgaben, welche Nettopreise haben (d. h. auf welche nur bis 33^ Procent Rabatt gegeben wird) haben diesem lukrativen Geschäft einen empfind¬ lichen Stoß versetzt. We»n man Beethovens sämmtliche Sonaten zu demselben Preise verkaufen muß wie früher eine einzige Sonate und an dein ganzen Bande noch weniger positiert als früher am einzelnen Hefte, so ist das freilich bitter; zugleich ist aber damit auch der Schlüssel für die räthselhafte Liebhaberei so vieler Klavierlehrer für seichteste Modemusik gegeben. Man wird kaum fehl¬ gehen, wenn man annimmt, daß die Klavierlehrer, welche auf Etuden und So¬ naten wenig Werth legen und viel Salonstücke spielen lassen, einen Contract der bezeichneten Art mit deu Musikalienhändlern eingegangen siud; ein Judicium bedenklichster Art ist es auch, wenn die Schüler durch den Lehrer immer nach einer bestimmten Musikalienhandlung gewiesen werden. Dieses Freibeutershstem unter dem Deckmantel der Kunst ist ein schwerer Krebsschaden unsrer musikalischen Verhältnisse. Von den Mehrausgäben, welche den Augehörigen der Schüler dnrch dasselbe erwachsen, so daß sie am Ende die Stunden viel theurer bezahlen als sie meinen, wollen wir absehen; es wird aber durch dasselbe eine Generation großgezogen, welcher ganz verkehrte Begriffe von der Kunst durch den Lehrer überliefert sind und welche daher von einem einseitig bornierten Standpunkte aus Künstler und Kunstwerke beurtheilt, eine Genera¬ tion von Dilettanten in dem jetzt verrufenen Sinne des Wortes, d. h. Leute, die ein bischen musicieren, aber schlecht und ohne Verständniß für poetische In¬ tentionen und höhere Flüge des musikalischen Genies. Der Dilettant von ehedem war ein Musikfreund von guter Bildung, der sich in Mußestunden mit Gesinnungsgenossen zusammenfand, um in Andacht neue Werke bedeuteuder Meister zu studiere«, zu genießen Und zu bewundern; diese Species wird hente

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/127>, abgerufen am 28.12.2024.