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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Vergnügen" etwas Unterricht auf dein Instrumente erhalten haben. Wie das
ausfüllt, mag man sich denken. Dein Verfasser dieser Zeilen wurden Schiller
zugeführt, die nach zweijährigem Unterricht bei "einer Dame" noch nicht einmal
unterscheiden konnten, obs "hinauf oder herunter ging" und keine Note kannte",
obgleich sie einiges Talent hatten. Was aber diesen "Damen" zu Schülern ver¬
hilft, ist die ganz verkehrte Voraussetzung der Eltern, daß man für den ersten
Anfang noch nicht einen theuren Lehrer, einen "Herrn Musikdirector" oder der¬
gleichen nöthig habe. Sie vergessen, daß von diesen Stunden zu einer Mark
drei vielleicht noch nicht so viel werth sind, als von einem tüchtigen Lehrer eine
einzige Stunde zu drei Mark. Gerade der erste Unterricht ist ja von aller¬
höchster Bedeutung für die Entwicklung des Talents und des Strebens. Es
ist darüber schou 'so viel -geschrieben worden, daß die Eltern ja auch allmählich
anfangen, sich um die musikalische Vorbildung der Klavierlehrer oder Lehrerinnen
zu bekümmern, denen sie ihre Kinder anvertrauen, und in Folge dessen ist es
für diese wieder von Wichtigkeit geworden, sich auf ein namhaftes Institut oder
einen berühmten Lehrer berufen zu können. "Schülerin des Leipziger Konser¬
vatoriums", "Schülerin von Kullak" u. s. w. sind jetzt Devisen geworden, unter
denen sich die Damen schnell und glücklich einführen, gleichviel, wie weit sich
in Leipzig oder bei Kullak gebracht haben. Man kann ihnen doch nicht gut
das Zeugniß abfordern, dessen Auskunft überdies nur ein mangelhaftes Bild
von dem künstlerischen Können der Betreffenden geben würde. Das Leipziger
Konservatorium hat einen schnell wechselnden Bestand von mehreren hundert,
die Knllaksche Akademie von über tausend Schülern. Daß das nicht alles em-
Pfehlenswerthe Lehrer werden, ist selbstverständlich, und so ist es mit allen
Musikschulen.

Gewiß ist es begreiflich, daß junge Mädchen sich den Unterricht im Klavier¬
spiel als eine schöne Aufgabe und einen angenehmen Beruf denken; daß sie sich
in letzter Beziehung stark täuschen, sehen sie bald genug ein, und daß sie der
schönen Aufgabe nicht gewachsen sind, bemerke,: vielleicht die Angehörigen ihrer
Pfleglinge eher als sie selber. Die Folge ist ein häufiger Wechsel der Lehr¬
kräfte, der auf die Entwicklung der Schüler verwirrend und hemmend wirken
muß. Leider sind ja selbst die kleinsten Städte so mit Musiklehrern und Musik-
lehrerinnen überschwemmt, daß man für den Fall des Wechsels nie in Verlegen¬
heit kommt, lllld es sind sogar oft genug unter den Verwandten und Bekannten
mehrere mustklehrende Individuen, denen aus begreiflicher Rücksicht die Schüler
zugeführt werden. Natürlich hat der kein Recht zur Klage, der aus falscher
Sparsamkeit oder gesellschaftlichen Rücksichten seine Kinder einem dieser halb¬
gebildeter Lehrer zuführt; man darf getrost behaupten, daß es überall auch gute
oder doch passable Lehrer giebt, die wenigstens selber mnsiknlisch sind und solide
musikalische Elementarkenntnisse haben. Der Unterricht eines älteren Orchester¬
musikers ist auf alle Fälle dem einer selbst ohne rhythmisches Gefühl und
ohne harmonisches Verständniß fehlerhaft dilettirenden Dame vorzuziehen. Die
leibst nur halbgebildeter Lehrerinnen sind hinsichtlich der Lehrmethode völlig
unselbständig und genöthigt, sich an eine sogenannte "Klavierschule" anzuklam¬
mern; unfähig, eine verständige Allswahl des darin gebotenen Materials zu
treffen und je nach der Anlage des Schülers Sprunge zu machen, lassen sie
denselben sich durch den ganzen Ballast meist sehr mittelmäßig gesetzter Musik
durcharbeiten. Des Schülers Lust zur Musik erlahmt bei diesem pedantischen
mnerlei gar bald, und er kommt nur langsam vorwärts. So vergehen Jahre,
die Klavierschule ist noch immer nicht absolviert, und außer einigen Salonstücken


Vergnügen" etwas Unterricht auf dein Instrumente erhalten haben. Wie das
ausfüllt, mag man sich denken. Dein Verfasser dieser Zeilen wurden Schiller
zugeführt, die nach zweijährigem Unterricht bei „einer Dame" noch nicht einmal
unterscheiden konnten, obs „hinauf oder herunter ging" und keine Note kannte»,
obgleich sie einiges Talent hatten. Was aber diesen „Damen" zu Schülern ver¬
hilft, ist die ganz verkehrte Voraussetzung der Eltern, daß man für den ersten
Anfang noch nicht einen theuren Lehrer, einen „Herrn Musikdirector" oder der¬
gleichen nöthig habe. Sie vergessen, daß von diesen Stunden zu einer Mark
drei vielleicht noch nicht so viel werth sind, als von einem tüchtigen Lehrer eine
einzige Stunde zu drei Mark. Gerade der erste Unterricht ist ja von aller¬
höchster Bedeutung für die Entwicklung des Talents und des Strebens. Es
ist darüber schou 'so viel -geschrieben worden, daß die Eltern ja auch allmählich
anfangen, sich um die musikalische Vorbildung der Klavierlehrer oder Lehrerinnen
zu bekümmern, denen sie ihre Kinder anvertrauen, und in Folge dessen ist es
für diese wieder von Wichtigkeit geworden, sich auf ein namhaftes Institut oder
einen berühmten Lehrer berufen zu können. „Schülerin des Leipziger Konser¬
vatoriums", „Schülerin von Kullak" u. s. w. sind jetzt Devisen geworden, unter
denen sich die Damen schnell und glücklich einführen, gleichviel, wie weit sich
in Leipzig oder bei Kullak gebracht haben. Man kann ihnen doch nicht gut
das Zeugniß abfordern, dessen Auskunft überdies nur ein mangelhaftes Bild
von dem künstlerischen Können der Betreffenden geben würde. Das Leipziger
Konservatorium hat einen schnell wechselnden Bestand von mehreren hundert,
die Knllaksche Akademie von über tausend Schülern. Daß das nicht alles em-
Pfehlenswerthe Lehrer werden, ist selbstverständlich, und so ist es mit allen
Musikschulen.

Gewiß ist es begreiflich, daß junge Mädchen sich den Unterricht im Klavier¬
spiel als eine schöne Aufgabe und einen angenehmen Beruf denken; daß sie sich
in letzter Beziehung stark täuschen, sehen sie bald genug ein, und daß sie der
schönen Aufgabe nicht gewachsen sind, bemerke,: vielleicht die Angehörigen ihrer
Pfleglinge eher als sie selber. Die Folge ist ein häufiger Wechsel der Lehr¬
kräfte, der auf die Entwicklung der Schüler verwirrend und hemmend wirken
muß. Leider sind ja selbst die kleinsten Städte so mit Musiklehrern und Musik-
lehrerinnen überschwemmt, daß man für den Fall des Wechsels nie in Verlegen¬
heit kommt, lllld es sind sogar oft genug unter den Verwandten und Bekannten
mehrere mustklehrende Individuen, denen aus begreiflicher Rücksicht die Schüler
zugeführt werden. Natürlich hat der kein Recht zur Klage, der aus falscher
Sparsamkeit oder gesellschaftlichen Rücksichten seine Kinder einem dieser halb¬
gebildeter Lehrer zuführt; man darf getrost behaupten, daß es überall auch gute
oder doch passable Lehrer giebt, die wenigstens selber mnsiknlisch sind und solide
musikalische Elementarkenntnisse haben. Der Unterricht eines älteren Orchester¬
musikers ist auf alle Fälle dem einer selbst ohne rhythmisches Gefühl und
ohne harmonisches Verständniß fehlerhaft dilettirenden Dame vorzuziehen. Die
leibst nur halbgebildeter Lehrerinnen sind hinsichtlich der Lehrmethode völlig
unselbständig und genöthigt, sich an eine sogenannte „Klavierschule" anzuklam¬
mern; unfähig, eine verständige Allswahl des darin gebotenen Materials zu
treffen und je nach der Anlage des Schülers Sprunge zu machen, lassen sie
denselben sich durch den ganzen Ballast meist sehr mittelmäßig gesetzter Musik
durcharbeiten. Des Schülers Lust zur Musik erlahmt bei diesem pedantischen
mnerlei gar bald, und er kommt nur langsam vorwärts. So vergehen Jahre,
die Klavierschule ist noch immer nicht absolviert, und außer einigen Salonstücken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/125>, abgerufen am 28.12.2024.