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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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und nicht minder die Kirche. Recht wirksam kann das gegebene Wort nur dann
sein, wenn die, welche es geben, mich ein lebhaftes Bewußtsein davon haben,
daß sie mit diesem Worte auch ihre ganze Person zum Pfande gesetzt haben nud
zwar ihre Person in allen ihren eigentlich persönlichem Beziehungen, wie in ihren
Beziehungen zur menschlichen Gemeinschaft, d. h. in ihrer Ehre, ebenso auch in
denen zum Reiche Gottes, d. h. in ihrer Seligkeit, wie denn auch der Eid selbst
keine audere Bedeutung hat, als daß die Person durch ihn in diesen ihren Be¬
ziehungen sich selbst zum Pfande setzt. Aber sollte es nicht wirklich, so weit
es noch nicht der Fall ist, immer mehr erreicht werden können, daß dies Be¬
wußtsein unser Volk durchdringe, wenn die erziehenden Instanzen nur ihre Schul¬
digkeit thun und bewußter Weiße auf dies Ziel hinarbeiten? Wenn der Staat
sich mit Bestimmtheit auf diesen Boden stellt und es dnrch seine Einrichtungen
kund thut, daß ihm das gegebene Wort den höchsten und unbedingten Werth
hat, wenn er von seinen Bürgern nichts anderes verlangt als ihr ehrliches
Wort, sollte dadurch nicht am ehesten es zu erlangen sein, daß nun auch der Sinn,
dein das gegebene Wort heilig ist, immer weiter in allen Volkskreisen um sich
griffe? In der That dürfte gerade dadurch der Sinu für unbedingte Wahrhaftigkeit
um so sichrer gefördert werden, weil ja dadurch der Schein wegfiele, als ob
Wahrhaftigkeit etwas Außerordentliches sei und nicht vielmehr die Regel bilden
müßte. Denn dieser Schein wird gar zu leicht gerade durch den Eid erzeugt.
Weil der Staat diese so ganz besonderen und außerordentlichen Veranstaltungen
trifft, wenn es ihm darauf ankommt, die Menschen an Wahrheit und Pflicht¬
treue zu binden, so erregt das gewissermaßen von selbst die Meinung, als ob
ohne diese Veranstaltungen, also ohne daß ein Eid geschworen wird, es mit dein
Worte nud seiner Wahrheit und Treue nicht allzugenau zu nehmen sei, als ob
man, wenn man nicht geschworen hat, auch wohl die Unwahrheit reden und
sein Wort brechen könne. Vielleicht ist es nicht zu viel gesagt, wenn mau be¬
hauptet, in der Untreue, der man freilich oft genug im Volke begegnet, und
zwar in solchen Kreisen, aus dem die Mehrzahl der wegen Meineid bestraften
kommen, ist zum Theil der Eid mit schuld, der bei jeder Gelegenheit seitens
der Obrigkeit von den Menschen gefordert wird, sobald diese in der Lage ist,
sich der Treue ihres Wortes versichern zu müssen. Was Regel sein sollte, wird
da zu etwas Außerordentlichen gemacht; was Wunder, wenn da die Regel auf¬
hört, der ordentliche Regulator im Leben zu fein? Mache man die Treue des
Wortes wieder zur allgemeinen und deßhalb auch zur gemeinen Regel, dadurch
daß man dem Worte als solchem traut auch von Seiten der Obrigkeit, so lauge
der, der es giebt, vertrauenswürdig ist, und daß nun die Untreue, die Lüge,
die Verletzung des gegebenen Wortes bestraft mit den ernstlichsten Strafen,
sobald sie sich irgend wie hervorwagt, daß man schon den Versuch, die Obrig-


und nicht minder die Kirche. Recht wirksam kann das gegebene Wort nur dann
sein, wenn die, welche es geben, mich ein lebhaftes Bewußtsein davon haben,
daß sie mit diesem Worte auch ihre ganze Person zum Pfande gesetzt haben nud
zwar ihre Person in allen ihren eigentlich persönlichem Beziehungen, wie in ihren
Beziehungen zur menschlichen Gemeinschaft, d. h. in ihrer Ehre, ebenso auch in
denen zum Reiche Gottes, d. h. in ihrer Seligkeit, wie denn auch der Eid selbst
keine audere Bedeutung hat, als daß die Person durch ihn in diesen ihren Be¬
ziehungen sich selbst zum Pfande setzt. Aber sollte es nicht wirklich, so weit
es noch nicht der Fall ist, immer mehr erreicht werden können, daß dies Be¬
wußtsein unser Volk durchdringe, wenn die erziehenden Instanzen nur ihre Schul¬
digkeit thun und bewußter Weiße auf dies Ziel hinarbeiten? Wenn der Staat
sich mit Bestimmtheit auf diesen Boden stellt und es dnrch seine Einrichtungen
kund thut, daß ihm das gegebene Wort den höchsten und unbedingten Werth
hat, wenn er von seinen Bürgern nichts anderes verlangt als ihr ehrliches
Wort, sollte dadurch nicht am ehesten es zu erlangen sein, daß nun auch der Sinn,
dein das gegebene Wort heilig ist, immer weiter in allen Volkskreisen um sich
griffe? In der That dürfte gerade dadurch der Sinu für unbedingte Wahrhaftigkeit
um so sichrer gefördert werden, weil ja dadurch der Schein wegfiele, als ob
Wahrhaftigkeit etwas Außerordentliches sei und nicht vielmehr die Regel bilden
müßte. Denn dieser Schein wird gar zu leicht gerade durch den Eid erzeugt.
Weil der Staat diese so ganz besonderen und außerordentlichen Veranstaltungen
trifft, wenn es ihm darauf ankommt, die Menschen an Wahrheit und Pflicht¬
treue zu binden, so erregt das gewissermaßen von selbst die Meinung, als ob
ohne diese Veranstaltungen, also ohne daß ein Eid geschworen wird, es mit dein
Worte nud seiner Wahrheit und Treue nicht allzugenau zu nehmen sei, als ob
man, wenn man nicht geschworen hat, auch wohl die Unwahrheit reden und
sein Wort brechen könne. Vielleicht ist es nicht zu viel gesagt, wenn mau be¬
hauptet, in der Untreue, der man freilich oft genug im Volke begegnet, und
zwar in solchen Kreisen, aus dem die Mehrzahl der wegen Meineid bestraften
kommen, ist zum Theil der Eid mit schuld, der bei jeder Gelegenheit seitens
der Obrigkeit von den Menschen gefordert wird, sobald diese in der Lage ist,
sich der Treue ihres Wortes versichern zu müssen. Was Regel sein sollte, wird
da zu etwas Außerordentlichen gemacht; was Wunder, wenn da die Regel auf¬
hört, der ordentliche Regulator im Leben zu fein? Mache man die Treue des
Wortes wieder zur allgemeinen und deßhalb auch zur gemeinen Regel, dadurch
daß man dem Worte als solchem traut auch von Seiten der Obrigkeit, so lauge
der, der es giebt, vertrauenswürdig ist, und daß nun die Untreue, die Lüge,
die Verletzung des gegebenen Wortes bestraft mit den ernstlichsten Strafen,
sobald sie sich irgend wie hervorwagt, daß man schon den Versuch, die Obrig-


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[0117] und nicht minder die Kirche. Recht wirksam kann das gegebene Wort nur dann sein, wenn die, welche es geben, mich ein lebhaftes Bewußtsein davon haben, daß sie mit diesem Worte auch ihre ganze Person zum Pfande gesetzt haben nud zwar ihre Person in allen ihren eigentlich persönlichem Beziehungen, wie in ihren Beziehungen zur menschlichen Gemeinschaft, d. h. in ihrer Ehre, ebenso auch in denen zum Reiche Gottes, d. h. in ihrer Seligkeit, wie denn auch der Eid selbst keine audere Bedeutung hat, als daß die Person durch ihn in diesen ihren Be¬ ziehungen sich selbst zum Pfande setzt. Aber sollte es nicht wirklich, so weit es noch nicht der Fall ist, immer mehr erreicht werden können, daß dies Be¬ wußtsein unser Volk durchdringe, wenn die erziehenden Instanzen nur ihre Schul¬ digkeit thun und bewußter Weiße auf dies Ziel hinarbeiten? Wenn der Staat sich mit Bestimmtheit auf diesen Boden stellt und es dnrch seine Einrichtungen kund thut, daß ihm das gegebene Wort den höchsten und unbedingten Werth hat, wenn er von seinen Bürgern nichts anderes verlangt als ihr ehrliches Wort, sollte dadurch nicht am ehesten es zu erlangen sein, daß nun auch der Sinn, dein das gegebene Wort heilig ist, immer weiter in allen Volkskreisen um sich griffe? In der That dürfte gerade dadurch der Sinu für unbedingte Wahrhaftigkeit um so sichrer gefördert werden, weil ja dadurch der Schein wegfiele, als ob Wahrhaftigkeit etwas Außerordentliches sei und nicht vielmehr die Regel bilden müßte. Denn dieser Schein wird gar zu leicht gerade durch den Eid erzeugt. Weil der Staat diese so ganz besonderen und außerordentlichen Veranstaltungen trifft, wenn es ihm darauf ankommt, die Menschen an Wahrheit und Pflicht¬ treue zu binden, so erregt das gewissermaßen von selbst die Meinung, als ob ohne diese Veranstaltungen, also ohne daß ein Eid geschworen wird, es mit dein Worte nud seiner Wahrheit und Treue nicht allzugenau zu nehmen sei, als ob man, wenn man nicht geschworen hat, auch wohl die Unwahrheit reden und sein Wort brechen könne. Vielleicht ist es nicht zu viel gesagt, wenn mau be¬ hauptet, in der Untreue, der man freilich oft genug im Volke begegnet, und zwar in solchen Kreisen, aus dem die Mehrzahl der wegen Meineid bestraften kommen, ist zum Theil der Eid mit schuld, der bei jeder Gelegenheit seitens der Obrigkeit von den Menschen gefordert wird, sobald diese in der Lage ist, sich der Treue ihres Wortes versichern zu müssen. Was Regel sein sollte, wird da zu etwas Außerordentlichen gemacht; was Wunder, wenn da die Regel auf¬ hört, der ordentliche Regulator im Leben zu fein? Mache man die Treue des Wortes wieder zur allgemeinen und deßhalb auch zur gemeinen Regel, dadurch daß man dem Worte als solchem traut auch von Seiten der Obrigkeit, so lauge der, der es giebt, vertrauenswürdig ist, und daß nun die Untreue, die Lüge, die Verletzung des gegebenen Wortes bestraft mit den ernstlichsten Strafen, sobald sie sich irgend wie hervorwagt, daß man schon den Versuch, die Obrig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/117>, abgerufen am 28.12.2024.