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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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sein. Endlich würde ja das Abschreckungsmittel der Strafe, welches jetzt manch
rohes Gemüth zurückhalte" mag, seinen Eid zu verletzen, in voller Wirksamkeit
bestehen bleiben. Sollte man da nicht doch von einem solchen Verfahren die
gleichen moralischen Erfolge erwarten dürfen wie jetzt vom Eide, besonders
sobald es erst in das Bewußtsein des Volkes übergegangen wäre, daß ein so
gegebenes Wort auch religiös betrachtet ganz dieselbe Bedeutung habe wie der
Eid? Man sollte denken, es wäre dies in der That der gewiesene Weg, den
die Gesetzgebung einzuschlagen hätte, einmal weil auf diesem Wege wirklich die
Aufgabe gelöst würde, um die sichs handelt, nämlich eine einheitliche und für
alle gemeinsame Form zu finde", durch welche die Menschen an die Wahrheit
ihres Wortes gebunden würden, ohne dabei mit den Besonderheiten des reli¬
giösen Bewußtseins bei den Einen oder den Anderen in Conflict zu kommen,
sondern weil auch der Staat bei einem solchen Verfahren sich genau innerhalb
seiner Grenzen hielte und seine Mitglieder bei dem zu fassen suchte, was ihnen
als den Gliedern der bürgerlichen Gemeinschaft zugehört, bei ihrer bürgerlichen
Ehrenhaftigkeit, bei ihrem moralischen Bewußtsein, wie es in seine Sphäre fallt.
Durch deu Eid, den er vorschreibt, greift der Staat in ein Gebiet hinein, das
ihm als solchem nicht eigen ist, in das Gebiet des religiösen Lebens, auf dem
er nicht im Stande und competent ist, Gesetze und Vorschriften hinsichtlich der
Bethätigung desselben zu geben, wie sich denn hier auch zeigt, daß er sofort
mit dem religiösen Bewußtsein rechts und links in Conflict geräth, sobald er
sich beikommen läßt, eine einheitliche Formel sür den Eid aufzustellen. Was
dagegen in sein Gebiet gehört, recht eigentlich in sein Gebiet, das ist die mora¬
lische Sphäre, in welcher er selbst sein Leben hat, die Ehre und Ehrenhaftigkeit
seiner Bürger, die Wahrhaftigkeit und Treue derselben, die nicht bloß religiöse
Tugenden, die auch bürgerliche Pflichten siud. Dort bietet sich das Funda¬
ment dar, aus welches der Staat sich stützen muß, indem er es einestheils
voraussetzt und fordert und anderenteils, wenn sich zeigen sollte, daß es fehlt,
mit seinen Strafen belegt, das ihm aber auch wirklich ein Allgemeines dar¬
bietet, welches über die mannigfaltigen religiösen Richtungen hinübergreife und
das nicht leicht jemand verleugnen wird, der nicht ganz in seinem Innern
verwahrlost ist.

Allerdings ist nun eins nicht zu verkeimen und außer Acht zu lassen: Die
Anwendung der Verpflichtung auf das bloße ernst gegebene Wort müßte im
öffentlichen Leben zur Voraussetzung haben, daß die Bedeutung des also ge¬
gebenen Wortes auch eine im Volke erkannte und anerkannte sei und daß Wahr¬
haftigkeit und Treue auch wirklich so weit verbreitet wäre, um auf diesen Grund
sich stützen zu können. Da hätten denn freilich die erziehende" Mächte im Volks¬
leben eine große Aufgabe zu vollbringen, wie das Elternhaus, so auch die Schule


sein. Endlich würde ja das Abschreckungsmittel der Strafe, welches jetzt manch
rohes Gemüth zurückhalte» mag, seinen Eid zu verletzen, in voller Wirksamkeit
bestehen bleiben. Sollte man da nicht doch von einem solchen Verfahren die
gleichen moralischen Erfolge erwarten dürfen wie jetzt vom Eide, besonders
sobald es erst in das Bewußtsein des Volkes übergegangen wäre, daß ein so
gegebenes Wort auch religiös betrachtet ganz dieselbe Bedeutung habe wie der
Eid? Man sollte denken, es wäre dies in der That der gewiesene Weg, den
die Gesetzgebung einzuschlagen hätte, einmal weil auf diesem Wege wirklich die
Aufgabe gelöst würde, um die sichs handelt, nämlich eine einheitliche und für
alle gemeinsame Form zu finde», durch welche die Menschen an die Wahrheit
ihres Wortes gebunden würden, ohne dabei mit den Besonderheiten des reli¬
giösen Bewußtseins bei den Einen oder den Anderen in Conflict zu kommen,
sondern weil auch der Staat bei einem solchen Verfahren sich genau innerhalb
seiner Grenzen hielte und seine Mitglieder bei dem zu fassen suchte, was ihnen
als den Gliedern der bürgerlichen Gemeinschaft zugehört, bei ihrer bürgerlichen
Ehrenhaftigkeit, bei ihrem moralischen Bewußtsein, wie es in seine Sphäre fallt.
Durch deu Eid, den er vorschreibt, greift der Staat in ein Gebiet hinein, das
ihm als solchem nicht eigen ist, in das Gebiet des religiösen Lebens, auf dem
er nicht im Stande und competent ist, Gesetze und Vorschriften hinsichtlich der
Bethätigung desselben zu geben, wie sich denn hier auch zeigt, daß er sofort
mit dem religiösen Bewußtsein rechts und links in Conflict geräth, sobald er
sich beikommen läßt, eine einheitliche Formel sür den Eid aufzustellen. Was
dagegen in sein Gebiet gehört, recht eigentlich in sein Gebiet, das ist die mora¬
lische Sphäre, in welcher er selbst sein Leben hat, die Ehre und Ehrenhaftigkeit
seiner Bürger, die Wahrhaftigkeit und Treue derselben, die nicht bloß religiöse
Tugenden, die auch bürgerliche Pflichten siud. Dort bietet sich das Funda¬
ment dar, aus welches der Staat sich stützen muß, indem er es einestheils
voraussetzt und fordert und anderenteils, wenn sich zeigen sollte, daß es fehlt,
mit seinen Strafen belegt, das ihm aber auch wirklich ein Allgemeines dar¬
bietet, welches über die mannigfaltigen religiösen Richtungen hinübergreife und
das nicht leicht jemand verleugnen wird, der nicht ganz in seinem Innern
verwahrlost ist.

Allerdings ist nun eins nicht zu verkeimen und außer Acht zu lassen: Die
Anwendung der Verpflichtung auf das bloße ernst gegebene Wort müßte im
öffentlichen Leben zur Voraussetzung haben, daß die Bedeutung des also ge¬
gebenen Wortes auch eine im Volke erkannte und anerkannte sei und daß Wahr¬
haftigkeit und Treue auch wirklich so weit verbreitet wäre, um auf diesen Grund
sich stützen zu können. Da hätten denn freilich die erziehende« Mächte im Volks¬
leben eine große Aufgabe zu vollbringen, wie das Elternhaus, so auch die Schule


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/116>, abgerufen am 28.12.2024.