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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Für Langenmantel lohnte es nicht der Mühe, wegen eines so geringen Trans¬
portes selbst anzuziehen. Doch wurde die saubere Gesellschaft in seinem Auf¬
trage und auf seine Kosten von einem Unteroffizier und vier Mann von der
Stadtgarde, außerdem von einem sogenannten Eisenknechte, d. i. einem Gefäng¬
nißwärter, escortirt.

Der kleine Trupp zog ungehindert durch Tirol und langte am Abend des
13. wohlbehalten an seinem Bestimmungsorte an. Die Gefangenen wurden ab¬
geliefert, und bereits am folgenden Morgen befand sich die Begleitmannschaft
wieder auf dein Rückwege. Da ereignete sich plötzlich eine fatale Störung.

Am 25. April wurde in einer außerordentlichen Sitzung des geheimen
Rathes zu Augsburg ein Schreiben der österreichischen Provinzialregierung in
Insbruck vorgelesen, in welchem dieselbe bittere Klage führte, daß der Trans¬
port jener Sträflinge vor sich gegangen sei, ohne daß man zuvor in Insbruck
um Erlaubniß zum Durchmarsch nachgesucht habe. Eines solchen Einbruches
urens,tÄ wann, habe man sich von Seiten der befreundeten Reichsstadt nicht ver¬
sehen. Die rückkehrenden Geleitmannschaften seien daher zu Borgo, an der
Grenze gegen Venedig, arretirt worden, und man frage nun, welche Satis-
faction Augsburg für diese Violierung des österreichischen Gebietes gewähren wolle.

Dies Vorgehen der tirolischen Regierung war ebenso ungerechtfertigt wie
unbillig. Von Seiten Augsburgs war in der Sache vollständig correct ver¬
fahren worden. Der Führer der Escorte, der Unteroffizier Johannes Bernauer,
hatte, wie es bei dergleichen Gelegenheiten üblich war, ein im Namen der Stadt
ausgefertigtes offenes Reqnisitionsschreiben erhalten, worin Zweck und Bestim¬
mung der Expedition umstündlich dargelegt, sowie sämmtliche Behörden der zu
passirenden Länder freundlichst ersucht wurden, den freien Durchzug zu gestatten.
So machte man es in ähnlichen Fällen im ganzen Reich, und von Augsburg
aus waren schon manchmal auf diese Weise Rekruten und Sträflinge durch
Tirol befördert worden, ohne daß es jemand eingefallen wäre, darin etwas Un¬
gebührliches zu erblicken. Auch diesmal hatte man bei Scharnitz, an der öster¬
reichischen Grenze, die kleine Expedition auf Vorweihen jenes Requisitionsschrei¬
bens unbeanstandet ziehen lassen. Wenn die Jnsbrucker Regierung sich auf ein¬
mal beleidigt stellte, so war dies entweder eine büreaukratische Schrulle oder,
was sehr viel wahrscheinlicher ist, etwas Schlimmeres: ein schamloser Erpres¬
sungsversuch. Als solcher wurde die Sache auch in der Reichsstadt von Anfang
an betrachtet, doch wagte man nicht, seiner begreiflichen Entrüstung Ausdruck zu
geben, da es althergebrachte Augsburger Politik war, alles zu vermeiden, was
möglicherweise die guten Beziehungen zum österreichischen Kaiserhause, dessen
mächtigen Schutz man fortwährend so dringend gegen die Umarmungen des
baierischen Nachbarn bedürfte, hätte stören können. In einer langen und über-


Für Langenmantel lohnte es nicht der Mühe, wegen eines so geringen Trans¬
portes selbst anzuziehen. Doch wurde die saubere Gesellschaft in seinem Auf¬
trage und auf seine Kosten von einem Unteroffizier und vier Mann von der
Stadtgarde, außerdem von einem sogenannten Eisenknechte, d. i. einem Gefäng¬
nißwärter, escortirt.

Der kleine Trupp zog ungehindert durch Tirol und langte am Abend des
13. wohlbehalten an seinem Bestimmungsorte an. Die Gefangenen wurden ab¬
geliefert, und bereits am folgenden Morgen befand sich die Begleitmannschaft
wieder auf dein Rückwege. Da ereignete sich plötzlich eine fatale Störung.

Am 25. April wurde in einer außerordentlichen Sitzung des geheimen
Rathes zu Augsburg ein Schreiben der österreichischen Provinzialregierung in
Insbruck vorgelesen, in welchem dieselbe bittere Klage führte, daß der Trans¬
port jener Sträflinge vor sich gegangen sei, ohne daß man zuvor in Insbruck
um Erlaubniß zum Durchmarsch nachgesucht habe. Eines solchen Einbruches
urens,tÄ wann, habe man sich von Seiten der befreundeten Reichsstadt nicht ver¬
sehen. Die rückkehrenden Geleitmannschaften seien daher zu Borgo, an der
Grenze gegen Venedig, arretirt worden, und man frage nun, welche Satis-
faction Augsburg für diese Violierung des österreichischen Gebietes gewähren wolle.

Dies Vorgehen der tirolischen Regierung war ebenso ungerechtfertigt wie
unbillig. Von Seiten Augsburgs war in der Sache vollständig correct ver¬
fahren worden. Der Führer der Escorte, der Unteroffizier Johannes Bernauer,
hatte, wie es bei dergleichen Gelegenheiten üblich war, ein im Namen der Stadt
ausgefertigtes offenes Reqnisitionsschreiben erhalten, worin Zweck und Bestim¬
mung der Expedition umstündlich dargelegt, sowie sämmtliche Behörden der zu
passirenden Länder freundlichst ersucht wurden, den freien Durchzug zu gestatten.
So machte man es in ähnlichen Fällen im ganzen Reich, und von Augsburg
aus waren schon manchmal auf diese Weise Rekruten und Sträflinge durch
Tirol befördert worden, ohne daß es jemand eingefallen wäre, darin etwas Un¬
gebührliches zu erblicken. Auch diesmal hatte man bei Scharnitz, an der öster¬
reichischen Grenze, die kleine Expedition auf Vorweihen jenes Requisitionsschrei¬
bens unbeanstandet ziehen lassen. Wenn die Jnsbrucker Regierung sich auf ein¬
mal beleidigt stellte, so war dies entweder eine büreaukratische Schrulle oder,
was sehr viel wahrscheinlicher ist, etwas Schlimmeres: ein schamloser Erpres¬
sungsversuch. Als solcher wurde die Sache auch in der Reichsstadt von Anfang
an betrachtet, doch wagte man nicht, seiner begreiflichen Entrüstung Ausdruck zu
geben, da es althergebrachte Augsburger Politik war, alles zu vermeiden, was
möglicherweise die guten Beziehungen zum österreichischen Kaiserhause, dessen
mächtigen Schutz man fortwährend so dringend gegen die Umarmungen des
baierischen Nachbarn bedürfte, hätte stören können. In einer langen und über-


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[0011] Für Langenmantel lohnte es nicht der Mühe, wegen eines so geringen Trans¬ portes selbst anzuziehen. Doch wurde die saubere Gesellschaft in seinem Auf¬ trage und auf seine Kosten von einem Unteroffizier und vier Mann von der Stadtgarde, außerdem von einem sogenannten Eisenknechte, d. i. einem Gefäng¬ nißwärter, escortirt. Der kleine Trupp zog ungehindert durch Tirol und langte am Abend des 13. wohlbehalten an seinem Bestimmungsorte an. Die Gefangenen wurden ab¬ geliefert, und bereits am folgenden Morgen befand sich die Begleitmannschaft wieder auf dein Rückwege. Da ereignete sich plötzlich eine fatale Störung. Am 25. April wurde in einer außerordentlichen Sitzung des geheimen Rathes zu Augsburg ein Schreiben der österreichischen Provinzialregierung in Insbruck vorgelesen, in welchem dieselbe bittere Klage führte, daß der Trans¬ port jener Sträflinge vor sich gegangen sei, ohne daß man zuvor in Insbruck um Erlaubniß zum Durchmarsch nachgesucht habe. Eines solchen Einbruches urens,tÄ wann, habe man sich von Seiten der befreundeten Reichsstadt nicht ver¬ sehen. Die rückkehrenden Geleitmannschaften seien daher zu Borgo, an der Grenze gegen Venedig, arretirt worden, und man frage nun, welche Satis- faction Augsburg für diese Violierung des österreichischen Gebietes gewähren wolle. Dies Vorgehen der tirolischen Regierung war ebenso ungerechtfertigt wie unbillig. Von Seiten Augsburgs war in der Sache vollständig correct ver¬ fahren worden. Der Führer der Escorte, der Unteroffizier Johannes Bernauer, hatte, wie es bei dergleichen Gelegenheiten üblich war, ein im Namen der Stadt ausgefertigtes offenes Reqnisitionsschreiben erhalten, worin Zweck und Bestim¬ mung der Expedition umstündlich dargelegt, sowie sämmtliche Behörden der zu passirenden Länder freundlichst ersucht wurden, den freien Durchzug zu gestatten. So machte man es in ähnlichen Fällen im ganzen Reich, und von Augsburg aus waren schon manchmal auf diese Weise Rekruten und Sträflinge durch Tirol befördert worden, ohne daß es jemand eingefallen wäre, darin etwas Un¬ gebührliches zu erblicken. Auch diesmal hatte man bei Scharnitz, an der öster¬ reichischen Grenze, die kleine Expedition auf Vorweihen jenes Requisitionsschrei¬ bens unbeanstandet ziehen lassen. Wenn die Jnsbrucker Regierung sich auf ein¬ mal beleidigt stellte, so war dies entweder eine büreaukratische Schrulle oder, was sehr viel wahrscheinlicher ist, etwas Schlimmeres: ein schamloser Erpres¬ sungsversuch. Als solcher wurde die Sache auch in der Reichsstadt von Anfang an betrachtet, doch wagte man nicht, seiner begreiflichen Entrüstung Ausdruck zu geben, da es althergebrachte Augsburger Politik war, alles zu vermeiden, was möglicherweise die guten Beziehungen zum österreichischen Kaiserhause, dessen mächtigen Schutz man fortwährend so dringend gegen die Umarmungen des baierischen Nachbarn bedürfte, hätte stören können. In einer langen und über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/11>, abgerufen am 28.12.2024.