Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

sich verleiten lassen könne, künstliche mit einem Anstrich von Gelehrsamkeit ver¬
sehene Feldzugsentwürfe anzunehmen," selbst einen Kriegsplan an Friedrich
Wilhelm geschickt. Aber der Entwurf, der die größte Schnelligkeit in der Be¬
wegung vorschlug, wurde als zu natnrwüchsig und einfach abgelehnt. Was
solle ein Plan, hieß es, der die Combination ablehne, auf welcher doch nach
den Regeln der Strategie jeder militärische Erfolg beruhe? Die Verzögerung
des allgemeinen Vorgehens, welche durch die Berathungen bewirkt wurde, reizte
Blüchers und Gneisenans Geduld uicht wenig. Nach Eilmärschen lag man
jetzt unthätig.

In diese Zeit des Wartens fällt die Episode des Aufstandes der Sachsen
in Lüttich. Durch die Theilung des Königreiches war das landschaftliche Ge¬
fühl in Sachsen schonungslos verletzt worden. Der Haß gegen Preußen wurde
durch deu Umstand, daß der König vou Sachsen in der Hoffnung, irgend welche
Vortheile zu erreichen, die Ratification des Friedensvertrags mit Preußen ver¬
zögerte, noch mehr angefacht. Das an der Grenze stehende Heer aber blieb
durch die Erwartung der endlichen Theilung in peinlichster Schwebe und machte
schließlich seiner Unzufriedenheit in einem Aufruhr Luft, der, im Angesicht des
nationalen Feindes, Gneisenaus patriotische wie militärische Gefühle aufs tiefste
verletzen mußte. Dies spricht sich in einer ganzen Reihe von Briefen aus. Die
Schuld schiebt er den sächsischen Offizieren zu. Er hatte ihnen selbst das An¬
erbieten gemacht, sie sollten mit ihren Truppen nach Frankreich abziehen, "denn
ich sehe Sie lieber als offene Feinde uns gegenüber, denn als falsche Freunde
in unserer Mitte." Sie hatten dagegen protestiert und ihre Treue versichert,
während schon ihre Leute, von ihnen aufgereizt, sich zum Tumulte sammelten.
Ein Glück, "daß die sächsischen Offiziere so feigherzig waren, nicht offen und
vest vor der Front ihrer Leute zu erscheinen, sondern nur heimlich zu eonspi-
rieren und somit einen rechtfertigen Widerstand in ein gemeines Complott ver¬
wandelten."

Da erschien plötzlich Napoleon mit seinen besten Truppen und schob sich
Zwischen Wellington und die preußische Armee ein. Nach außen hoffte er von
einem Siege in Belgien nicht weniger als die Sprengung der großen Koalition
selbst, im Innern hätte die Conscription die nöthige Energie erhalten, die
Gegner wären entmuthigt, die Gleichgiltigen gespornt, die Freunde gestärkt und
begeistert worden.

Gneisenau war der erste, welcher die Gefahr erkannte. In der Nacht vom
14. zum 15. Juni, also wenige Stunden vor der Schlacht bei Ligny, gab er den
Befehl zur Comentrierung. Der Kampf fiel bekanntlich ungünstig sür die Preußen
aus. Bülow war uicht zur rechten Zeit gekommen, von den drei übrigbleiben¬
den Corps wurden nicht einmal alle Truppen für den Kampf verwendet. Vor


sich verleiten lassen könne, künstliche mit einem Anstrich von Gelehrsamkeit ver¬
sehene Feldzugsentwürfe anzunehmen," selbst einen Kriegsplan an Friedrich
Wilhelm geschickt. Aber der Entwurf, der die größte Schnelligkeit in der Be¬
wegung vorschlug, wurde als zu natnrwüchsig und einfach abgelehnt. Was
solle ein Plan, hieß es, der die Combination ablehne, auf welcher doch nach
den Regeln der Strategie jeder militärische Erfolg beruhe? Die Verzögerung
des allgemeinen Vorgehens, welche durch die Berathungen bewirkt wurde, reizte
Blüchers und Gneisenans Geduld uicht wenig. Nach Eilmärschen lag man
jetzt unthätig.

In diese Zeit des Wartens fällt die Episode des Aufstandes der Sachsen
in Lüttich. Durch die Theilung des Königreiches war das landschaftliche Ge¬
fühl in Sachsen schonungslos verletzt worden. Der Haß gegen Preußen wurde
durch deu Umstand, daß der König vou Sachsen in der Hoffnung, irgend welche
Vortheile zu erreichen, die Ratification des Friedensvertrags mit Preußen ver¬
zögerte, noch mehr angefacht. Das an der Grenze stehende Heer aber blieb
durch die Erwartung der endlichen Theilung in peinlichster Schwebe und machte
schließlich seiner Unzufriedenheit in einem Aufruhr Luft, der, im Angesicht des
nationalen Feindes, Gneisenaus patriotische wie militärische Gefühle aufs tiefste
verletzen mußte. Dies spricht sich in einer ganzen Reihe von Briefen aus. Die
Schuld schiebt er den sächsischen Offizieren zu. Er hatte ihnen selbst das An¬
erbieten gemacht, sie sollten mit ihren Truppen nach Frankreich abziehen, „denn
ich sehe Sie lieber als offene Feinde uns gegenüber, denn als falsche Freunde
in unserer Mitte." Sie hatten dagegen protestiert und ihre Treue versichert,
während schon ihre Leute, von ihnen aufgereizt, sich zum Tumulte sammelten.
Ein Glück, „daß die sächsischen Offiziere so feigherzig waren, nicht offen und
vest vor der Front ihrer Leute zu erscheinen, sondern nur heimlich zu eonspi-
rieren und somit einen rechtfertigen Widerstand in ein gemeines Complott ver¬
wandelten."

Da erschien plötzlich Napoleon mit seinen besten Truppen und schob sich
Zwischen Wellington und die preußische Armee ein. Nach außen hoffte er von
einem Siege in Belgien nicht weniger als die Sprengung der großen Koalition
selbst, im Innern hätte die Conscription die nöthige Energie erhalten, die
Gegner wären entmuthigt, die Gleichgiltigen gespornt, die Freunde gestärkt und
begeistert worden.

Gneisenau war der erste, welcher die Gefahr erkannte. In der Nacht vom
14. zum 15. Juni, also wenige Stunden vor der Schlacht bei Ligny, gab er den
Befehl zur Comentrierung. Der Kampf fiel bekanntlich ungünstig sür die Preußen
aus. Bülow war uicht zur rechten Zeit gekommen, von den drei übrigbleiben¬
den Corps wurden nicht einmal alle Truppen für den Kampf verwendet. Vor


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147750"/>
          <p xml:id="ID_293" prev="#ID_292"> sich verleiten lassen könne, künstliche mit einem Anstrich von Gelehrsamkeit ver¬<lb/>
sehene Feldzugsentwürfe anzunehmen," selbst einen Kriegsplan an Friedrich<lb/>
Wilhelm geschickt. Aber der Entwurf, der die größte Schnelligkeit in der Be¬<lb/>
wegung vorschlug, wurde als zu natnrwüchsig und einfach abgelehnt. Was<lb/>
solle ein Plan, hieß es, der die Combination ablehne, auf welcher doch nach<lb/>
den Regeln der Strategie jeder militärische Erfolg beruhe? Die Verzögerung<lb/>
des allgemeinen Vorgehens, welche durch die Berathungen bewirkt wurde, reizte<lb/>
Blüchers und Gneisenans Geduld uicht wenig. Nach Eilmärschen lag man<lb/>
jetzt unthätig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_294"> In diese Zeit des Wartens fällt die Episode des Aufstandes der Sachsen<lb/>
in Lüttich. Durch die Theilung des Königreiches war das landschaftliche Ge¬<lb/>
fühl in Sachsen schonungslos verletzt worden. Der Haß gegen Preußen wurde<lb/>
durch deu Umstand, daß der König vou Sachsen in der Hoffnung, irgend welche<lb/>
Vortheile zu erreichen, die Ratification des Friedensvertrags mit Preußen ver¬<lb/>
zögerte, noch mehr angefacht. Das an der Grenze stehende Heer aber blieb<lb/>
durch die Erwartung der endlichen Theilung in peinlichster Schwebe und machte<lb/>
schließlich seiner Unzufriedenheit in einem Aufruhr Luft, der, im Angesicht des<lb/>
nationalen Feindes, Gneisenaus patriotische wie militärische Gefühle aufs tiefste<lb/>
verletzen mußte. Dies spricht sich in einer ganzen Reihe von Briefen aus. Die<lb/>
Schuld schiebt er den sächsischen Offizieren zu. Er hatte ihnen selbst das An¬<lb/>
erbieten gemacht, sie sollten mit ihren Truppen nach Frankreich abziehen, &#x201E;denn<lb/>
ich sehe Sie lieber als offene Feinde uns gegenüber, denn als falsche Freunde<lb/>
in unserer Mitte." Sie hatten dagegen protestiert und ihre Treue versichert,<lb/>
während schon ihre Leute, von ihnen aufgereizt, sich zum Tumulte sammelten.<lb/>
Ein Glück, &#x201E;daß die sächsischen Offiziere so feigherzig waren, nicht offen und<lb/>
vest vor der Front ihrer Leute zu erscheinen, sondern nur heimlich zu eonspi-<lb/>
rieren und somit einen rechtfertigen Widerstand in ein gemeines Complott ver¬<lb/>
wandelten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_295"> Da erschien plötzlich Napoleon mit seinen besten Truppen und schob sich<lb/>
Zwischen Wellington und die preußische Armee ein. Nach außen hoffte er von<lb/>
einem Siege in Belgien nicht weniger als die Sprengung der großen Koalition<lb/>
selbst, im Innern hätte die Conscription die nöthige Energie erhalten, die<lb/>
Gegner wären entmuthigt, die Gleichgiltigen gespornt, die Freunde gestärkt und<lb/>
begeistert worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_296" next="#ID_297"> Gneisenau war der erste, welcher die Gefahr erkannte. In der Nacht vom<lb/>
14. zum 15. Juni, also wenige Stunden vor der Schlacht bei Ligny, gab er den<lb/>
Befehl zur Comentrierung. Der Kampf fiel bekanntlich ungünstig sür die Preußen<lb/>
aus. Bülow war uicht zur rechten Zeit gekommen, von den drei übrigbleiben¬<lb/>
den Corps wurden nicht einmal alle Truppen für den Kampf verwendet. Vor</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0103] sich verleiten lassen könne, künstliche mit einem Anstrich von Gelehrsamkeit ver¬ sehene Feldzugsentwürfe anzunehmen," selbst einen Kriegsplan an Friedrich Wilhelm geschickt. Aber der Entwurf, der die größte Schnelligkeit in der Be¬ wegung vorschlug, wurde als zu natnrwüchsig und einfach abgelehnt. Was solle ein Plan, hieß es, der die Combination ablehne, auf welcher doch nach den Regeln der Strategie jeder militärische Erfolg beruhe? Die Verzögerung des allgemeinen Vorgehens, welche durch die Berathungen bewirkt wurde, reizte Blüchers und Gneisenans Geduld uicht wenig. Nach Eilmärschen lag man jetzt unthätig. In diese Zeit des Wartens fällt die Episode des Aufstandes der Sachsen in Lüttich. Durch die Theilung des Königreiches war das landschaftliche Ge¬ fühl in Sachsen schonungslos verletzt worden. Der Haß gegen Preußen wurde durch deu Umstand, daß der König vou Sachsen in der Hoffnung, irgend welche Vortheile zu erreichen, die Ratification des Friedensvertrags mit Preußen ver¬ zögerte, noch mehr angefacht. Das an der Grenze stehende Heer aber blieb durch die Erwartung der endlichen Theilung in peinlichster Schwebe und machte schließlich seiner Unzufriedenheit in einem Aufruhr Luft, der, im Angesicht des nationalen Feindes, Gneisenaus patriotische wie militärische Gefühle aufs tiefste verletzen mußte. Dies spricht sich in einer ganzen Reihe von Briefen aus. Die Schuld schiebt er den sächsischen Offizieren zu. Er hatte ihnen selbst das An¬ erbieten gemacht, sie sollten mit ihren Truppen nach Frankreich abziehen, „denn ich sehe Sie lieber als offene Feinde uns gegenüber, denn als falsche Freunde in unserer Mitte." Sie hatten dagegen protestiert und ihre Treue versichert, während schon ihre Leute, von ihnen aufgereizt, sich zum Tumulte sammelten. Ein Glück, „daß die sächsischen Offiziere so feigherzig waren, nicht offen und vest vor der Front ihrer Leute zu erscheinen, sondern nur heimlich zu eonspi- rieren und somit einen rechtfertigen Widerstand in ein gemeines Complott ver¬ wandelten." Da erschien plötzlich Napoleon mit seinen besten Truppen und schob sich Zwischen Wellington und die preußische Armee ein. Nach außen hoffte er von einem Siege in Belgien nicht weniger als die Sprengung der großen Koalition selbst, im Innern hätte die Conscription die nöthige Energie erhalten, die Gegner wären entmuthigt, die Gleichgiltigen gespornt, die Freunde gestärkt und begeistert worden. Gneisenau war der erste, welcher die Gefahr erkannte. In der Nacht vom 14. zum 15. Juni, also wenige Stunden vor der Schlacht bei Ligny, gab er den Befehl zur Comentrierung. Der Kampf fiel bekanntlich ungünstig sür die Preußen aus. Bülow war uicht zur rechten Zeit gekommen, von den drei übrigbleiben¬ den Corps wurden nicht einmal alle Truppen für den Kampf verwendet. Vor

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/103
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/103>, abgerufen am 28.12.2024.