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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Operationen auf Paris gedrängt, sondern auch in der Absicht Wiedervergeltung
zu üben. Zu einer Zeit, wo noch Metternich Napoleon auf dem Throne zu
erhalten dachte und Alexander die Entscheidung über deu Regenten dem Volke
anheimstellen wollte, forderte Gneisenau die Zurückführung der Bourbons. Wenn
jetzt das Verhalten der Verbündeten Paris gegenüber nach dem Rathe Gneise¬
naus, der dem König Friedrich Wilhelm attachiert war, in milderer Weise ge¬
regelt wurde, als der General früher gehofft hatte, so geschah es, weil man die
frühere Auffassung des Krieges in ihrer ganzen Härte nicht mehr aufrecht zu
halten vermochte. Bald aber schienen ihm die Verbündeten in der Annäherung
an Frankreich weiter zu gehen, als nothwendig war, und dies erregte seine
ganze Indignation. "Man nimmt Feste" -- so schreibt er am 15. Mai an
Justus Grüner -- "von denjenigen an, die sich durch Raub und Erpressungen
beschimpft haben und schämt sich nicht ans einem vertrauten Fuß mit denjenigen
zu leben, an denen das Blut ihres Königs und der Revolution noch klebt.
Kurz wir zeigen uns des Glücks, das uns geworden ist, keineswegs würdig."
Erbittert spricht er über die Sonderbestrebungen Baierns und Würtembergs,
über Oesterreichs Machinationen und über die offenbare Verrätherei des Kron¬
prinzen von Schweden. An Hardenberg aber machte er eine Reihe von höchst be¬
achtenswerten Vorschlägen (15. Mai), von denen wir nur die wichtigsten hier
hervorheben. Elsaß "Lothringen müsse an Deutschland zurückfallen, damit es
gegen die Angriffe Frankreichs geschützt sei. Frankreich könne durch Belgien
entschädigt werden. Von Dänemark ist Holstein sür Preußen zu erwerben.
Ostfriesland darf uicht an Hannover abgetreten werden, denn die Mündungen
der Ströme sind zu wichtig. Von besonderer Bedeutung erscheint der vierte
Punkt: "Eine gute deutsche Constitution zu entwerfen, die auf die Dauer durch¬
gesetzt werdeu könnte, halte ich sür unmöglich. Baiern und Würtemberg werden
sich nicht fügen. Ich denke daher, daß man sich darauf beschränken muß, für
Preußen, das uns zunächst angeht, zu sorgen. Die Stimmen in ganz Deutsch¬
land, mit wenigen Ausnahmen, sind sür Preußen, selbst im südlichen katholischen
Deutschland. Diesen Umstand und den Ruhm, den sich Preußen in der letzten
Zeit erworben hat, dürfte man sehr zu unserem Vortheil benutzen können, und
zwar folgendergestalt: a) die meisten Regierungen Deutschlands sind despo¬
tisch und dem Volke verhaßt. Wird ihnen nicht die Pflicht auferlegt, eine
gerechte Verfassung einzuführen, so werden sie es nimmermehr thun. Bei uns
ist ein Anfang dazu gemacht. Wird eine gute Konstitution für die neu wieder
erbaute und vergrößerte preußische Monarchie bald entivorfen, und vom Könige
dem Volke geschenkt, so ist selbige das beste Band, um die neuen Erwer¬
bungen fest an die alten Staaten zu knüpfen; die anderen deutschen Staate"
werden Vergleichungen zwischen ihrem Zustande und dem unserigen anstellen,


Operationen auf Paris gedrängt, sondern auch in der Absicht Wiedervergeltung
zu üben. Zu einer Zeit, wo noch Metternich Napoleon auf dem Throne zu
erhalten dachte und Alexander die Entscheidung über deu Regenten dem Volke
anheimstellen wollte, forderte Gneisenau die Zurückführung der Bourbons. Wenn
jetzt das Verhalten der Verbündeten Paris gegenüber nach dem Rathe Gneise¬
naus, der dem König Friedrich Wilhelm attachiert war, in milderer Weise ge¬
regelt wurde, als der General früher gehofft hatte, so geschah es, weil man die
frühere Auffassung des Krieges in ihrer ganzen Härte nicht mehr aufrecht zu
halten vermochte. Bald aber schienen ihm die Verbündeten in der Annäherung
an Frankreich weiter zu gehen, als nothwendig war, und dies erregte seine
ganze Indignation. „Man nimmt Feste" — so schreibt er am 15. Mai an
Justus Grüner — „von denjenigen an, die sich durch Raub und Erpressungen
beschimpft haben und schämt sich nicht ans einem vertrauten Fuß mit denjenigen
zu leben, an denen das Blut ihres Königs und der Revolution noch klebt.
Kurz wir zeigen uns des Glücks, das uns geworden ist, keineswegs würdig."
Erbittert spricht er über die Sonderbestrebungen Baierns und Würtembergs,
über Oesterreichs Machinationen und über die offenbare Verrätherei des Kron¬
prinzen von Schweden. An Hardenberg aber machte er eine Reihe von höchst be¬
achtenswerten Vorschlägen (15. Mai), von denen wir nur die wichtigsten hier
hervorheben. Elsaß "Lothringen müsse an Deutschland zurückfallen, damit es
gegen die Angriffe Frankreichs geschützt sei. Frankreich könne durch Belgien
entschädigt werden. Von Dänemark ist Holstein sür Preußen zu erwerben.
Ostfriesland darf uicht an Hannover abgetreten werden, denn die Mündungen
der Ströme sind zu wichtig. Von besonderer Bedeutung erscheint der vierte
Punkt: „Eine gute deutsche Constitution zu entwerfen, die auf die Dauer durch¬
gesetzt werdeu könnte, halte ich sür unmöglich. Baiern und Würtemberg werden
sich nicht fügen. Ich denke daher, daß man sich darauf beschränken muß, für
Preußen, das uns zunächst angeht, zu sorgen. Die Stimmen in ganz Deutsch¬
land, mit wenigen Ausnahmen, sind sür Preußen, selbst im südlichen katholischen
Deutschland. Diesen Umstand und den Ruhm, den sich Preußen in der letzten
Zeit erworben hat, dürfte man sehr zu unserem Vortheil benutzen können, und
zwar folgendergestalt: a) die meisten Regierungen Deutschlands sind despo¬
tisch und dem Volke verhaßt. Wird ihnen nicht die Pflicht auferlegt, eine
gerechte Verfassung einzuführen, so werden sie es nimmermehr thun. Bei uns
ist ein Anfang dazu gemacht. Wird eine gute Konstitution für die neu wieder
erbaute und vergrößerte preußische Monarchie bald entivorfen, und vom Könige
dem Volke geschenkt, so ist selbige das beste Band, um die neuen Erwer¬
bungen fest an die alten Staaten zu knüpfen; die anderen deutschen Staate»
werden Vergleichungen zwischen ihrem Zustande und dem unserigen anstellen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/100>, abgerufen am 28.12.2024.