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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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gefügt hätte. Es wäre freilich ein großer Vortheil gewesen, wenn das in einer
Reihe von Fällen leibhaftig zum Vorschein gekommen wäre. Um diesen Vor¬
theil haben uns die braven Nationalliberalen gebracht, welche bereits jeden
Bischof im Triumph einziehen und Bismarck zu Fuße und barhaupt hinter dem
Wagen des Triumphators einhergehen sahen. Was diese wackeren Herzen für
eine Furcht der Phantasie und eine Phantasie der Furcht haben, das ist beinahe
das erstaunlichste Phänomen der Gegenwart.

Damit kommen wir auf die unbeschreibliche Verwirrung, welche die kirchen¬
politische Verhandlung zurückgelassen, hauptsächlich deshalb zurückgelassen, weil
die Nationalliberalen den Zug nicht begreifen können, der mit der Regierungs¬
vorlage gethan werden sollte.

Die Staatsregierung stieß gleich nach der Einbringung ihrer Vorlage auf
einen aus ganz verschiedenen Motiven hervorgehenden Widerstand des Centrums
einerseits, der nationalliberalen Partei andererseits. Das Centrum, welches zu¬
weilen leugnet, eine kirchliche Partei zu sein, und den Anspruch auf die Rolle
einer politischen Partei erhebt, konnte nicht den mindesten Grund haben, eine
Vorlage abzulehnen, welche der katholischen Geistlichkeit und Bevölkerung große
Erleichterungen in Aussicht stellte. Es war doch nicht Sache des Centrums,
als einer angeblich politischen Partei, die Principien der päpstlichen Ansprüche
zu wahren, und überdies enthielt die Vorlage in der von der Regierung vor¬
geschlagenen Fassung nirgend eine ausdrückliche Anerkennung der Maigesetzgebung,
welche in der Vorlage nur als faktischer Zustand vorausgesetzt werden mußte.
Hätte nun das Centrum im Verein mit den Conservativen, welche bereit waren,
die unveränderte Regierungsvorlage anzunehmen, und denen sich auch ein großer
Theil der Freiconservativen angeschlossen haben würde, ebenfalls für die uu-
verüuderte Annahme gewirkt, so würde die letztere unzweifelhaft haben erfolgen
können. Die Regierung freilich konnte nicht auf dieses Resultat allein hinwirken.
Ihr mußte die Zustimmung der Nationalliberalen in diesem Falle von hohem
Werthe sein, denn das Gesetz durfte nicht im Lichte eines Zurückweichens des
Staates und noch weniger im Lichte einer Befestigung des Centrums und einer
regierungsseitigen Annäherung an dasselbe erscheinen. Denn das Centrum stellt
eine in jedem Staate unzulässige Parteibildung dar: eine Parteibildung nämlich
welche unter dem Borwcmde, die römische Kirche gegen Verfolgung zu verthei¬
digen, alle Elemente der staatlichen und socialen Opposition sammelt, und welche
dann doch, selbst bei einer eventuellen Aussöhnung des Staates mit der Curie,
erklärt, um ihrer politischen Grundsätze willen von der Opposition nicht'ablassen
zu können und für die, wenn augenblicklich auch nicht angegriffene, so doch
immer gefährdete Kirche auf dem Posten bleiben zu müssen- Dem Centrum
gelingt es aus diese Weise, gläubige Katholiken zu Wählern staatsfeindlicher


gefügt hätte. Es wäre freilich ein großer Vortheil gewesen, wenn das in einer
Reihe von Fällen leibhaftig zum Vorschein gekommen wäre. Um diesen Vor¬
theil haben uns die braven Nationalliberalen gebracht, welche bereits jeden
Bischof im Triumph einziehen und Bismarck zu Fuße und barhaupt hinter dem
Wagen des Triumphators einhergehen sahen. Was diese wackeren Herzen für
eine Furcht der Phantasie und eine Phantasie der Furcht haben, das ist beinahe
das erstaunlichste Phänomen der Gegenwart.

Damit kommen wir auf die unbeschreibliche Verwirrung, welche die kirchen¬
politische Verhandlung zurückgelassen, hauptsächlich deshalb zurückgelassen, weil
die Nationalliberalen den Zug nicht begreifen können, der mit der Regierungs¬
vorlage gethan werden sollte.

Die Staatsregierung stieß gleich nach der Einbringung ihrer Vorlage auf
einen aus ganz verschiedenen Motiven hervorgehenden Widerstand des Centrums
einerseits, der nationalliberalen Partei andererseits. Das Centrum, welches zu¬
weilen leugnet, eine kirchliche Partei zu sein, und den Anspruch auf die Rolle
einer politischen Partei erhebt, konnte nicht den mindesten Grund haben, eine
Vorlage abzulehnen, welche der katholischen Geistlichkeit und Bevölkerung große
Erleichterungen in Aussicht stellte. Es war doch nicht Sache des Centrums,
als einer angeblich politischen Partei, die Principien der päpstlichen Ansprüche
zu wahren, und überdies enthielt die Vorlage in der von der Regierung vor¬
geschlagenen Fassung nirgend eine ausdrückliche Anerkennung der Maigesetzgebung,
welche in der Vorlage nur als faktischer Zustand vorausgesetzt werden mußte.
Hätte nun das Centrum im Verein mit den Conservativen, welche bereit waren,
die unveränderte Regierungsvorlage anzunehmen, und denen sich auch ein großer
Theil der Freiconservativen angeschlossen haben würde, ebenfalls für die uu-
verüuderte Annahme gewirkt, so würde die letztere unzweifelhaft haben erfolgen
können. Die Regierung freilich konnte nicht auf dieses Resultat allein hinwirken.
Ihr mußte die Zustimmung der Nationalliberalen in diesem Falle von hohem
Werthe sein, denn das Gesetz durfte nicht im Lichte eines Zurückweichens des
Staates und noch weniger im Lichte einer Befestigung des Centrums und einer
regierungsseitigen Annäherung an dasselbe erscheinen. Denn das Centrum stellt
eine in jedem Staate unzulässige Parteibildung dar: eine Parteibildung nämlich
welche unter dem Borwcmde, die römische Kirche gegen Verfolgung zu verthei¬
digen, alle Elemente der staatlichen und socialen Opposition sammelt, und welche
dann doch, selbst bei einer eventuellen Aussöhnung des Staates mit der Curie,
erklärt, um ihrer politischen Grundsätze willen von der Opposition nicht'ablassen
zu können und für die, wenn augenblicklich auch nicht angegriffene, so doch
immer gefährdete Kirche auf dem Posten bleiben zu müssen- Dem Centrum
gelingt es aus diese Weise, gläubige Katholiken zu Wählern staatsfeindlicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/90>, abgerufen am 23.07.2024.