Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

füllt. Holmbergs "Benedictinermönch, welcher antike Münzen betrachtet",
enthält alle jene malerischen Vorzüge und jene Feinheit und Schärfe der
Charakteristik, die wir an seinem Düsseldorfer Bilde "Mouche in der Bibliothek"
gepriesen habe", in noch gesteigertem Maaße. Friedrich Kraus (Berlin), der
nach einigen glücklichen Erfolgen auf dem Gebiete des Salonbildchens fast in
Vergessenheit gerathen war, hat sich durch eine "Erwachende Bacchantin", ein
Cabinetstückchen im Stile des van der Werff, aber natürlicher, gesünder und
lebensfrischer, wieder glänzend rehabilitirt. Der nackte Körper der Bacchantin,
dessen Bewegungsmotiv ebenso graziös wie decent ist, hebt sich leuchtend und
bei aller Zartheit in der Modellirung doch kraftvoll und energisch vom Waldes¬
grün ab.

Zu einer bewunderungswürdigen Höhe hat Wilhelm Gentz das ethno¬
graphische Genre in einer "Kvranvorlcsuug in der Grotte des Jeremias bei Je¬
rusalem" entwickelt. Es ist ein alter Steinbruch, welchen der Volksmund mit
dem Namen des jüdischen Propheten in Verbindung gesetzt hat und in welchem
ein muhamedanischer Heiliger sein Wesen treibt. Die Mitglieder einer Procession
haben sich auf einer langen Steinbank mit der bekannten orientalischen Noncha¬
lance dein Vorleser gegenüber niedergelassen, der mit Eifer seiner heiligen Pflicht
obliegt. Mit einer erstaunlichen Vielseitigkeit und Tiefe der Charakteristik ver¬
bindet sich ein coloristisches Können, welches mit absoluter souveränes alle
Theile, den Erdboden, die grauen kahlen Wände, das kalte von den Mauern
reflectirende Licht, die braunen Physiognomien der Andächtigen, gleichmäßig be¬
herrscht und nirgends eine uninteressante Partie aufkommen läßt. Den höchsten
Trumpf hat aber in diesem Jahre Menzels ältester Schüler Fritz Werner
ausgespielt, der dem Publikum bisher vorwiegend nur als geiht- und humor¬
voller Maler des Rococo bekannt war, der aber nun auch gezeigt hat, daß er
die Typen des modernen Lebens mit der Gründlichkeit eines niederländischen
Sittenmalers kennen gelernt. Das Bild führt uns in einen Oberlichtsaal der
Dresdner Galerie, dessen sichtbare drei Wände mit Meisterwerken der flämischen
Schule, mit Gemälden von Rubens, van Dyck und Jordaens geschmückt sind.
Fritz Werner ist ein ausgezeichneter Kenner dieser großen Flamländer, und er
hat diese seine Kenntniß mit so fabelhaftem Geschick verwerthet, daß man auf
den kaum fingerlangen, scheinbar mit größter Flüchtigkeit hingeworfenen Bild¬
chen die charakteristischen Merkmale der Malweise ihrer Urheber auf den ersten
Blick erkannt. Etwa dreißig Besucher füllen den Saal, lauter Prachttypeu,
deren jeder eine ganze Menschenclasse repräsentirt: Offiziere, Soldaten, Ver-
gnüguugsreisende, Bäuerinnen, Studenten, Maler, vornehme Damen und junge
Mädchen aus der Pension, die letzteren weniger die Bilder betrachtend, als, nach
ihrer ausgelassenen Heiterkeit zu urtheilen, ihre Umgebung sehr boshaft kritisi-


Grcnzboten Hi. 1830. 70

füllt. Holmbergs „Benedictinermönch, welcher antike Münzen betrachtet",
enthält alle jene malerischen Vorzüge und jene Feinheit und Schärfe der
Charakteristik, die wir an seinem Düsseldorfer Bilde „Mouche in der Bibliothek"
gepriesen habe», in noch gesteigertem Maaße. Friedrich Kraus (Berlin), der
nach einigen glücklichen Erfolgen auf dem Gebiete des Salonbildchens fast in
Vergessenheit gerathen war, hat sich durch eine „Erwachende Bacchantin", ein
Cabinetstückchen im Stile des van der Werff, aber natürlicher, gesünder und
lebensfrischer, wieder glänzend rehabilitirt. Der nackte Körper der Bacchantin,
dessen Bewegungsmotiv ebenso graziös wie decent ist, hebt sich leuchtend und
bei aller Zartheit in der Modellirung doch kraftvoll und energisch vom Waldes¬
grün ab.

Zu einer bewunderungswürdigen Höhe hat Wilhelm Gentz das ethno¬
graphische Genre in einer „Kvranvorlcsuug in der Grotte des Jeremias bei Je¬
rusalem" entwickelt. Es ist ein alter Steinbruch, welchen der Volksmund mit
dem Namen des jüdischen Propheten in Verbindung gesetzt hat und in welchem
ein muhamedanischer Heiliger sein Wesen treibt. Die Mitglieder einer Procession
haben sich auf einer langen Steinbank mit der bekannten orientalischen Noncha¬
lance dein Vorleser gegenüber niedergelassen, der mit Eifer seiner heiligen Pflicht
obliegt. Mit einer erstaunlichen Vielseitigkeit und Tiefe der Charakteristik ver¬
bindet sich ein coloristisches Können, welches mit absoluter souveränes alle
Theile, den Erdboden, die grauen kahlen Wände, das kalte von den Mauern
reflectirende Licht, die braunen Physiognomien der Andächtigen, gleichmäßig be¬
herrscht und nirgends eine uninteressante Partie aufkommen läßt. Den höchsten
Trumpf hat aber in diesem Jahre Menzels ältester Schüler Fritz Werner
ausgespielt, der dem Publikum bisher vorwiegend nur als geiht- und humor¬
voller Maler des Rococo bekannt war, der aber nun auch gezeigt hat, daß er
die Typen des modernen Lebens mit der Gründlichkeit eines niederländischen
Sittenmalers kennen gelernt. Das Bild führt uns in einen Oberlichtsaal der
Dresdner Galerie, dessen sichtbare drei Wände mit Meisterwerken der flämischen
Schule, mit Gemälden von Rubens, van Dyck und Jordaens geschmückt sind.
Fritz Werner ist ein ausgezeichneter Kenner dieser großen Flamländer, und er
hat diese seine Kenntniß mit so fabelhaftem Geschick verwerthet, daß man auf
den kaum fingerlangen, scheinbar mit größter Flüchtigkeit hingeworfenen Bild¬
chen die charakteristischen Merkmale der Malweise ihrer Urheber auf den ersten
Blick erkannt. Etwa dreißig Besucher füllen den Saal, lauter Prachttypeu,
deren jeder eine ganze Menschenclasse repräsentirt: Offiziere, Soldaten, Ver-
gnüguugsreisende, Bäuerinnen, Studenten, Maler, vornehme Damen und junge
Mädchen aus der Pension, die letzteren weniger die Bilder betrachtend, als, nach
ihrer ausgelassenen Heiterkeit zu urtheilen, ihre Umgebung sehr boshaft kritisi-


Grcnzboten Hi. 1830. 70
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0546" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147640"/>
          <p xml:id="ID_1491" prev="#ID_1490"> füllt. Holmbergs &#x201E;Benedictinermönch, welcher antike Münzen betrachtet",<lb/>
enthält alle jene malerischen Vorzüge und jene Feinheit und Schärfe der<lb/>
Charakteristik, die wir an seinem Düsseldorfer Bilde &#x201E;Mouche in der Bibliothek"<lb/>
gepriesen habe», in noch gesteigertem Maaße. Friedrich Kraus (Berlin), der<lb/>
nach einigen glücklichen Erfolgen auf dem Gebiete des Salonbildchens fast in<lb/>
Vergessenheit gerathen war, hat sich durch eine &#x201E;Erwachende Bacchantin", ein<lb/>
Cabinetstückchen im Stile des van der Werff, aber natürlicher, gesünder und<lb/>
lebensfrischer, wieder glänzend rehabilitirt. Der nackte Körper der Bacchantin,<lb/>
dessen Bewegungsmotiv ebenso graziös wie decent ist, hebt sich leuchtend und<lb/>
bei aller Zartheit in der Modellirung doch kraftvoll und energisch vom Waldes¬<lb/>
grün ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1492" next="#ID_1493"> Zu einer bewunderungswürdigen Höhe hat Wilhelm Gentz das ethno¬<lb/>
graphische Genre in einer &#x201E;Kvranvorlcsuug in der Grotte des Jeremias bei Je¬<lb/>
rusalem" entwickelt. Es ist ein alter Steinbruch, welchen der Volksmund mit<lb/>
dem Namen des jüdischen Propheten in Verbindung gesetzt hat und in welchem<lb/>
ein muhamedanischer Heiliger sein Wesen treibt. Die Mitglieder einer Procession<lb/>
haben sich auf einer langen Steinbank mit der bekannten orientalischen Noncha¬<lb/>
lance dein Vorleser gegenüber niedergelassen, der mit Eifer seiner heiligen Pflicht<lb/>
obliegt. Mit einer erstaunlichen Vielseitigkeit und Tiefe der Charakteristik ver¬<lb/>
bindet sich ein coloristisches Können, welches mit absoluter souveränes alle<lb/>
Theile, den Erdboden, die grauen kahlen Wände, das kalte von den Mauern<lb/>
reflectirende Licht, die braunen Physiognomien der Andächtigen, gleichmäßig be¬<lb/>
herrscht und nirgends eine uninteressante Partie aufkommen läßt. Den höchsten<lb/>
Trumpf hat aber in diesem Jahre Menzels ältester Schüler Fritz Werner<lb/>
ausgespielt, der dem Publikum bisher vorwiegend nur als geiht- und humor¬<lb/>
voller Maler des Rococo bekannt war, der aber nun auch gezeigt hat, daß er<lb/>
die Typen des modernen Lebens mit der Gründlichkeit eines niederländischen<lb/>
Sittenmalers kennen gelernt. Das Bild führt uns in einen Oberlichtsaal der<lb/>
Dresdner Galerie, dessen sichtbare drei Wände mit Meisterwerken der flämischen<lb/>
Schule, mit Gemälden von Rubens, van Dyck und Jordaens geschmückt sind.<lb/>
Fritz Werner ist ein ausgezeichneter Kenner dieser großen Flamländer, und er<lb/>
hat diese seine Kenntniß mit so fabelhaftem Geschick verwerthet, daß man auf<lb/>
den kaum fingerlangen, scheinbar mit größter Flüchtigkeit hingeworfenen Bild¬<lb/>
chen die charakteristischen Merkmale der Malweise ihrer Urheber auf den ersten<lb/>
Blick erkannt. Etwa dreißig Besucher füllen den Saal, lauter Prachttypeu,<lb/>
deren jeder eine ganze Menschenclasse repräsentirt: Offiziere, Soldaten, Ver-<lb/>
gnüguugsreisende, Bäuerinnen, Studenten, Maler, vornehme Damen und junge<lb/>
Mädchen aus der Pension, die letzteren weniger die Bilder betrachtend, als, nach<lb/>
ihrer ausgelassenen Heiterkeit zu urtheilen, ihre Umgebung sehr boshaft kritisi-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzboten Hi. 1830. 70</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0546] füllt. Holmbergs „Benedictinermönch, welcher antike Münzen betrachtet", enthält alle jene malerischen Vorzüge und jene Feinheit und Schärfe der Charakteristik, die wir an seinem Düsseldorfer Bilde „Mouche in der Bibliothek" gepriesen habe», in noch gesteigertem Maaße. Friedrich Kraus (Berlin), der nach einigen glücklichen Erfolgen auf dem Gebiete des Salonbildchens fast in Vergessenheit gerathen war, hat sich durch eine „Erwachende Bacchantin", ein Cabinetstückchen im Stile des van der Werff, aber natürlicher, gesünder und lebensfrischer, wieder glänzend rehabilitirt. Der nackte Körper der Bacchantin, dessen Bewegungsmotiv ebenso graziös wie decent ist, hebt sich leuchtend und bei aller Zartheit in der Modellirung doch kraftvoll und energisch vom Waldes¬ grün ab. Zu einer bewunderungswürdigen Höhe hat Wilhelm Gentz das ethno¬ graphische Genre in einer „Kvranvorlcsuug in der Grotte des Jeremias bei Je¬ rusalem" entwickelt. Es ist ein alter Steinbruch, welchen der Volksmund mit dem Namen des jüdischen Propheten in Verbindung gesetzt hat und in welchem ein muhamedanischer Heiliger sein Wesen treibt. Die Mitglieder einer Procession haben sich auf einer langen Steinbank mit der bekannten orientalischen Noncha¬ lance dein Vorleser gegenüber niedergelassen, der mit Eifer seiner heiligen Pflicht obliegt. Mit einer erstaunlichen Vielseitigkeit und Tiefe der Charakteristik ver¬ bindet sich ein coloristisches Können, welches mit absoluter souveränes alle Theile, den Erdboden, die grauen kahlen Wände, das kalte von den Mauern reflectirende Licht, die braunen Physiognomien der Andächtigen, gleichmäßig be¬ herrscht und nirgends eine uninteressante Partie aufkommen läßt. Den höchsten Trumpf hat aber in diesem Jahre Menzels ältester Schüler Fritz Werner ausgespielt, der dem Publikum bisher vorwiegend nur als geiht- und humor¬ voller Maler des Rococo bekannt war, der aber nun auch gezeigt hat, daß er die Typen des modernen Lebens mit der Gründlichkeit eines niederländischen Sittenmalers kennen gelernt. Das Bild führt uns in einen Oberlichtsaal der Dresdner Galerie, dessen sichtbare drei Wände mit Meisterwerken der flämischen Schule, mit Gemälden von Rubens, van Dyck und Jordaens geschmückt sind. Fritz Werner ist ein ausgezeichneter Kenner dieser großen Flamländer, und er hat diese seine Kenntniß mit so fabelhaftem Geschick verwerthet, daß man auf den kaum fingerlangen, scheinbar mit größter Flüchtigkeit hingeworfenen Bild¬ chen die charakteristischen Merkmale der Malweise ihrer Urheber auf den ersten Blick erkannt. Etwa dreißig Besucher füllen den Saal, lauter Prachttypeu, deren jeder eine ganze Menschenclasse repräsentirt: Offiziere, Soldaten, Ver- gnüguugsreisende, Bäuerinnen, Studenten, Maler, vornehme Damen und junge Mädchen aus der Pension, die letzteren weniger die Bilder betrachtend, als, nach ihrer ausgelassenen Heiterkeit zu urtheilen, ihre Umgebung sehr boshaft kritisi- Grcnzboten Hi. 1830. 70

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/546
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/546>, abgerufen am 23.07.2024.