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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Kleider, sondern holte mir auch von Zeit zu Zeit aus der Apotheke zu Pleskow
stärkende Arzeneien und genoß dabei mitunter ein Glas Wein.

Auf diese Weise uneben meine Körperkraft zu, meine Kasse aber freilich ab,
und endlich war sie ganz geleert. Aber ich war dennoch nicht hilflos. Es
fügte sich, daß ich bei meiner öfteren Anwesenheit in Pleskow einen bei dem
Gouverneur daselbst als Feast- und Tanzmeister in Dienst stehenden, nebenbei
den Posten eines Polizeioffiziers bekleidenden und als solcher eine Pvlizeiuniform
tragenden braven Mann Namens Mattstedt kennen lernte. In meiner Heimat
Weimar, wo seiner Angabe nach sein Vater Tanzmeister gewesen, war er er¬
zogen worden. Dieser beschenkte mich nicht nur mit einer seiner Polizeiuniformen,
die ich von nun an ohne das darauf befindliche Polizeiabzeichen trug, sondern
verschaffte mir auch das Geschäft der Geldeinnahme und -Auszahlung für die
sämmtlichen auf den Dörfern der Umgegend liegenden Gefangenen. Hierbei
hatte ich einen kleinen Gewinn, da ich bei der Hauptkasse, wo ich die Papier¬
gelder auswechselte, für einen Papierrubel statt 19 Pedant deren 11 bekam. Der
als Chef der Hauptkasse angestellte wackere Mann, ein wahrer Menschenfreund,
erwies mir freundliche Theilnahme. Ich kam oft nach Pleskow. Wenn ich
100 Rubel wechselte, mußte ich die Geldmasse auf einem Wägelchen transpor-
tiren. Außer dem lastenden Kupfergelde hatte ich auch die Zukarys zur Abgabe
an die auf den Dörfern liegenden Gefangenen abzuholen, was ich oft auf den
um niedrigen Miethpreis zu habenden Droschken besorgte. An die mir so schätz¬
bare und ersprießliche Bekanntschaft mit dem braven Mattstedt knüpften sich bei
so häufiger Anwesenheit in Pleskow von Tag zu Tag mehrere andere Bekannt¬
schaften an, durch welche mir Gelegenheit zu einem kleinen Verdienste gegeben
wurde. So stimmte ich in der Stadt Claviere (z. B. bei einem Italiener
Namens Chergini, der ein Traiteurhaus hatte) und verdiente mir auch dadurch
manchen Rubel.

Selbst dasjenige, was zu unserer Erheiterung und unserem Zeitvertreibe
diente, wurde ein unschuldiges Mittel, durch welches uns manches kleine Dou-
ceur zukam. Wir Gefangenen machten uns kleine Instrumente von Baumschaalen,
musicirten auf denselben, und die Italiener begleiteten diese Instrumentalmusik
mit ihrem schönen Gesänge. Nachdem wir zu unserer größten Aufheiterung
unser Concert tüchtig eingeübt hatten, zogen wir Abends in den Dörfern herum,
ergötzten deren Bewohner mit Ständchen und empfingen von den erfreuten Land¬
leuten kleine klingende Beweise ihrer Erkenntlichkeit. Unser seltsames Musik¬
corps wagte sich sogar einmal nach Pleskow vor das Hans des ehrenwerthen
Gouverneurs, dem wir für die aus seiner Hand uns im Geheimen zufließenden
Unterstützungen unseren Dank darbringen wollten, und der noch weit mehr an
uns gethan haben würde, wenn er sich nicht gescheut hätte, vor dem Comman-


Kleider, sondern holte mir auch von Zeit zu Zeit aus der Apotheke zu Pleskow
stärkende Arzeneien und genoß dabei mitunter ein Glas Wein.

Auf diese Weise uneben meine Körperkraft zu, meine Kasse aber freilich ab,
und endlich war sie ganz geleert. Aber ich war dennoch nicht hilflos. Es
fügte sich, daß ich bei meiner öfteren Anwesenheit in Pleskow einen bei dem
Gouverneur daselbst als Feast- und Tanzmeister in Dienst stehenden, nebenbei
den Posten eines Polizeioffiziers bekleidenden und als solcher eine Pvlizeiuniform
tragenden braven Mann Namens Mattstedt kennen lernte. In meiner Heimat
Weimar, wo seiner Angabe nach sein Vater Tanzmeister gewesen, war er er¬
zogen worden. Dieser beschenkte mich nicht nur mit einer seiner Polizeiuniformen,
die ich von nun an ohne das darauf befindliche Polizeiabzeichen trug, sondern
verschaffte mir auch das Geschäft der Geldeinnahme und -Auszahlung für die
sämmtlichen auf den Dörfern der Umgegend liegenden Gefangenen. Hierbei
hatte ich einen kleinen Gewinn, da ich bei der Hauptkasse, wo ich die Papier¬
gelder auswechselte, für einen Papierrubel statt 19 Pedant deren 11 bekam. Der
als Chef der Hauptkasse angestellte wackere Mann, ein wahrer Menschenfreund,
erwies mir freundliche Theilnahme. Ich kam oft nach Pleskow. Wenn ich
100 Rubel wechselte, mußte ich die Geldmasse auf einem Wägelchen transpor-
tiren. Außer dem lastenden Kupfergelde hatte ich auch die Zukarys zur Abgabe
an die auf den Dörfern liegenden Gefangenen abzuholen, was ich oft auf den
um niedrigen Miethpreis zu habenden Droschken besorgte. An die mir so schätz¬
bare und ersprießliche Bekanntschaft mit dem braven Mattstedt knüpften sich bei
so häufiger Anwesenheit in Pleskow von Tag zu Tag mehrere andere Bekannt¬
schaften an, durch welche mir Gelegenheit zu einem kleinen Verdienste gegeben
wurde. So stimmte ich in der Stadt Claviere (z. B. bei einem Italiener
Namens Chergini, der ein Traiteurhaus hatte) und verdiente mir auch dadurch
manchen Rubel.

Selbst dasjenige, was zu unserer Erheiterung und unserem Zeitvertreibe
diente, wurde ein unschuldiges Mittel, durch welches uns manches kleine Dou-
ceur zukam. Wir Gefangenen machten uns kleine Instrumente von Baumschaalen,
musicirten auf denselben, und die Italiener begleiteten diese Instrumentalmusik
mit ihrem schönen Gesänge. Nachdem wir zu unserer größten Aufheiterung
unser Concert tüchtig eingeübt hatten, zogen wir Abends in den Dörfern herum,
ergötzten deren Bewohner mit Ständchen und empfingen von den erfreuten Land¬
leuten kleine klingende Beweise ihrer Erkenntlichkeit. Unser seltsames Musik¬
corps wagte sich sogar einmal nach Pleskow vor das Hans des ehrenwerthen
Gouverneurs, dem wir für die aus seiner Hand uns im Geheimen zufließenden
Unterstützungen unseren Dank darbringen wollten, und der noch weit mehr an
uns gethan haben würde, wenn er sich nicht gescheut hätte, vor dem Comman-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/485>, abgerufen am 23.07.2024.