Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.Genie glaubte, so glaubte er auch an die geistige Stumpfheit des höheren und Genie glaubte, so glaubte er auch an die geistige Stumpfheit des höheren und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147571"/> <p xml:id="ID_1335" prev="#ID_1334" next="#ID_1336"> Genie glaubte, so glaubte er auch an die geistige Stumpfheit des höheren und<lb/> niederen Pöbels, und dieser Glaube hat ihm zu Stellung und Ruhm verholfen.<lb/> Es ist geradezu wunderbar, was alles die Tones, die er als Schriftsteller ge¬<lb/> höhnt und verachtet hatte, ihm mit sich zu thun verstatteten, wie sie sich von<lb/> ihm neu beseelen, in Zucht nehmen, zu heerdenmäßiger Folgsamkeit erziehen<lb/> ließen und ihm schließlich durch Dick und Dünn folgten. Dem gemeinen Pöbel<lb/> gefiel er durch seine Schlagfertigkeit, durch burleskes Auftreten und durch den<lb/> genialen Leichtsinn, worin er den Heimgegangenen Lord Palmerston copirte.<lb/> „Das englische Publikum," sagt ein geistreicher englischer Schriftsteller, „liebt<lb/> dann und wann einen Spaß in der Behandlung seiner Angelegenheiten, und<lb/> sür einen Witz läßt es fünf gerade sein; eine Regierung wird in England leicht<lb/> unpopulär, wenn sie zu ernsthaft ist; kein englisches Cabinet sollte daher ohne<lb/> seinen Buffo sein, wofern nicht der Premier selbst diese Rolle gelegentlich über¬<lb/> nehmen kann. Impertinenz, Unaufrichtigkeit und Mißwirthschaft werden dem<lb/> vergeben, der das Haus (der Lords und der Gemeinen) lachen machen kann.<lb/> Niemand mag von ernsthaften Leuten gelangweilt werden; da wir alle zufrieden<lb/> sind, wozu sollen wir uns durch neue Projecte abhetzen lassen?" Aber indem<lb/> Disraeli Lord Palmerston copirte, um als Buffo Beifall zu ernten, versah er<lb/> es nun darin, daß seine Heiterkeit nicht jovial war, wie die seines Vorbildes,<lb/> sondern giftig und boshaft; auch zeigte er nichts von der großen Geschäfts¬<lb/> und Menschenkenntnis, die der kurzweiligen Manier des edlen Lord zu Grunde<lb/> lag, ebenso wenig die starke Ueberzeugung und den tiefen Ernst, den der Eng¬<lb/> länder ebenfalls von seinem Helden verlangt. Als das englische Publikum Lord<lb/> Palmerston mit seiner stets gleichen Laune und Spaßhaftigkeit bewunderte, war<lb/> das, was es bewunderte, weniger die Leichtfertigkeit der Manier, als die Kraft<lb/> und Ernsthaftigkeit des Mannes; sie wußten, daß sie sich darauf verlassen konnten,<lb/> daß er zur rechten Zeit ernsthaft handeln würde. Die Meinung, die aus den<lb/> Erfolgen Disraelis entstanden ist, daß Blendwerk, Pomp und affectirter Leicht¬<lb/> sinn für sich allein eine besondere Anziehung für den Engländern habe, beruht<lb/> auf oberflächlicher Beobachtung. Die Bewunderer Disraelis, insbesondere seine<lb/> Stammverwandten, die durch seinen Sturz einen großen Theil ihrer politischen<lb/> Kartenhäuser eingestürzt sehen, liegen zwar ängstlich auf der Lauer und regi-<lb/> striren mit Emphase jedes Versehen, das Gladstone macht; sie können die Zeit<lb/> nicht erwarten, wo ihr Benjamin wieder die Zügel in die Hand nehmen wird.<lb/> Sie hoffen und harren umsonst; Lord Beaconsfield hat bereits erfahren, daß<lb/> er besser thut, seine Altersschwäche nicht zu ost im Parlamente zu exponiren<lb/> und lieber für die Unterhaltung und Aufklärung seiner Gläubigen an dem<lb/> Romane zu arbeiten, in welchem er das Schicksal seines bewunderten kaiser¬<lb/> lichen Freundes Napoleon III. darstellen will. Die von ihm so lange und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0477]
Genie glaubte, so glaubte er auch an die geistige Stumpfheit des höheren und
niederen Pöbels, und dieser Glaube hat ihm zu Stellung und Ruhm verholfen.
Es ist geradezu wunderbar, was alles die Tones, die er als Schriftsteller ge¬
höhnt und verachtet hatte, ihm mit sich zu thun verstatteten, wie sie sich von
ihm neu beseelen, in Zucht nehmen, zu heerdenmäßiger Folgsamkeit erziehen
ließen und ihm schließlich durch Dick und Dünn folgten. Dem gemeinen Pöbel
gefiel er durch seine Schlagfertigkeit, durch burleskes Auftreten und durch den
genialen Leichtsinn, worin er den Heimgegangenen Lord Palmerston copirte.
„Das englische Publikum," sagt ein geistreicher englischer Schriftsteller, „liebt
dann und wann einen Spaß in der Behandlung seiner Angelegenheiten, und
sür einen Witz läßt es fünf gerade sein; eine Regierung wird in England leicht
unpopulär, wenn sie zu ernsthaft ist; kein englisches Cabinet sollte daher ohne
seinen Buffo sein, wofern nicht der Premier selbst diese Rolle gelegentlich über¬
nehmen kann. Impertinenz, Unaufrichtigkeit und Mißwirthschaft werden dem
vergeben, der das Haus (der Lords und der Gemeinen) lachen machen kann.
Niemand mag von ernsthaften Leuten gelangweilt werden; da wir alle zufrieden
sind, wozu sollen wir uns durch neue Projecte abhetzen lassen?" Aber indem
Disraeli Lord Palmerston copirte, um als Buffo Beifall zu ernten, versah er
es nun darin, daß seine Heiterkeit nicht jovial war, wie die seines Vorbildes,
sondern giftig und boshaft; auch zeigte er nichts von der großen Geschäfts¬
und Menschenkenntnis, die der kurzweiligen Manier des edlen Lord zu Grunde
lag, ebenso wenig die starke Ueberzeugung und den tiefen Ernst, den der Eng¬
länder ebenfalls von seinem Helden verlangt. Als das englische Publikum Lord
Palmerston mit seiner stets gleichen Laune und Spaßhaftigkeit bewunderte, war
das, was es bewunderte, weniger die Leichtfertigkeit der Manier, als die Kraft
und Ernsthaftigkeit des Mannes; sie wußten, daß sie sich darauf verlassen konnten,
daß er zur rechten Zeit ernsthaft handeln würde. Die Meinung, die aus den
Erfolgen Disraelis entstanden ist, daß Blendwerk, Pomp und affectirter Leicht¬
sinn für sich allein eine besondere Anziehung für den Engländern habe, beruht
auf oberflächlicher Beobachtung. Die Bewunderer Disraelis, insbesondere seine
Stammverwandten, die durch seinen Sturz einen großen Theil ihrer politischen
Kartenhäuser eingestürzt sehen, liegen zwar ängstlich auf der Lauer und regi-
striren mit Emphase jedes Versehen, das Gladstone macht; sie können die Zeit
nicht erwarten, wo ihr Benjamin wieder die Zügel in die Hand nehmen wird.
Sie hoffen und harren umsonst; Lord Beaconsfield hat bereits erfahren, daß
er besser thut, seine Altersschwäche nicht zu ost im Parlamente zu exponiren
und lieber für die Unterhaltung und Aufklärung seiner Gläubigen an dem
Romane zu arbeiten, in welchem er das Schicksal seines bewunderten kaiser¬
lichen Freundes Napoleon III. darstellen will. Die von ihm so lange und
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