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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Anstrengungen, welche die Coalition machte, war es ihr unmöglich, den Gegner
zu demüthigen.

Die Verhältnisse in Frankreich selbst waren unterdessen immer hoffnungs¬
loser geworden. "Einstimmig berichteten die Beamten, welche den verschiedensten
Parteischattirungen angehörten: aller Orten Hunger und Kummer, Verfall und
Verödung, Unordnung und Verwilderung und in Folge davon gleichgiltige
Stumpfheit der Bevölkerung gegenüber den zum leeren Schall gewordenen
Worten, mit denen sonst eine Nation ihre höchsten idealen Schätze bezeichnet,
Ruhm, Freiheit, Vaterlandsliebe. Kein anderer Gedanke als der Wunsch zu
leben, in Sicherheit und Ruhe das Dasein fortzuführen, Haus und Acker und
die Früchte der Arbeit wieder sein Eigen zu nennen, eine Schule für die Kiuder,
eine Kirche für den Trost des Gewissens zu haben. Wer diese elementaren
Güter des Daseins dem Volke wieder erstattete, möchte er Steuern und Rekruten
oder das Opfer aller politischen Rechte begehren, er würde von Millionen als
willkommener Retter begrüßt werden----Und wenn ein solcher Herrschergeist
sich erhob, so hatte die Revolution bei allen ihren Verheerungen ihm zwei Vor¬
theile geschaffen, welchen kein anderer der damaligen Staaten etwas gleichwer¬
tiges entgegensetzen konnte. Sie hatte sämmtliche Besonderheiten, Privilegien,
Corporationen vertilgt, welche im alten Frankreich den Willen des Herrschers
beschränkend umgaben: wer heute die Staatsgewalt in Frankreich zu ergreifen
vermochte, wurde damit der Gebieter über alle Kräfte des französischen Volkes.
Und weiter hatte die Revolution so entsetzlich auf jedem Gebiete des bürger¬
lichen Lebens gehaust, daß für den Augenblick Handel und Gewerbe, Wissen¬
schaft und Kunst mit Noth um ihr Dasein rangen und somit alle jugendfrischem,
starken und ehrgeizigen Elemente der Nation sich der einzigen noch hoffnungs¬
reichen Stelle zudrängten, dem militärischen Treiben des Heeres. Fand sich der
Mann, der sie um sich zu versammeln vermochte, so stand ein ungeheuerer Um¬
schwung für Frankreich und Europa bevor."

So war der Boden bereitet für Napoleon. Mit seiner Charakterisirung
schließt der Geschichtsschreiber. Bonaparte gab seiner Nation auf dem Boden
der Gleichheit den Rechtsschutz, während er der Freiheit keine Stätte gewährte.
Wie er im Innern Freiheit und Recht nicht achtete, so verfuhr er mit derselben
Rücksichtslosigkeit nach außen. "Darin war er der geborene Erbe demokratischer
Erinnerungen, und nur dadurch unterschied er sich von seinen Vorgängern, daß
er mit ungleich größerem Geschick und in unmäßig gesteigertem Umfang seine
Pläne entwarf und durchführte." Woran dereinst Napoleon scheitern sollte,
deutet Sybel am Schlüsse seines Buches noch an: "So scharfen Blickes er
war, so großes Talent er besaß als Feldherr und Staatsmann, so hatte er doch
keine Ahnung von den sittlichen Gedanken, welche die Menschenbrust bewegen.


Anstrengungen, welche die Coalition machte, war es ihr unmöglich, den Gegner
zu demüthigen.

Die Verhältnisse in Frankreich selbst waren unterdessen immer hoffnungs¬
loser geworden. „Einstimmig berichteten die Beamten, welche den verschiedensten
Parteischattirungen angehörten: aller Orten Hunger und Kummer, Verfall und
Verödung, Unordnung und Verwilderung und in Folge davon gleichgiltige
Stumpfheit der Bevölkerung gegenüber den zum leeren Schall gewordenen
Worten, mit denen sonst eine Nation ihre höchsten idealen Schätze bezeichnet,
Ruhm, Freiheit, Vaterlandsliebe. Kein anderer Gedanke als der Wunsch zu
leben, in Sicherheit und Ruhe das Dasein fortzuführen, Haus und Acker und
die Früchte der Arbeit wieder sein Eigen zu nennen, eine Schule für die Kiuder,
eine Kirche für den Trost des Gewissens zu haben. Wer diese elementaren
Güter des Daseins dem Volke wieder erstattete, möchte er Steuern und Rekruten
oder das Opfer aller politischen Rechte begehren, er würde von Millionen als
willkommener Retter begrüßt werden----Und wenn ein solcher Herrschergeist
sich erhob, so hatte die Revolution bei allen ihren Verheerungen ihm zwei Vor¬
theile geschaffen, welchen kein anderer der damaligen Staaten etwas gleichwer¬
tiges entgegensetzen konnte. Sie hatte sämmtliche Besonderheiten, Privilegien,
Corporationen vertilgt, welche im alten Frankreich den Willen des Herrschers
beschränkend umgaben: wer heute die Staatsgewalt in Frankreich zu ergreifen
vermochte, wurde damit der Gebieter über alle Kräfte des französischen Volkes.
Und weiter hatte die Revolution so entsetzlich auf jedem Gebiete des bürger¬
lichen Lebens gehaust, daß für den Augenblick Handel und Gewerbe, Wissen¬
schaft und Kunst mit Noth um ihr Dasein rangen und somit alle jugendfrischem,
starken und ehrgeizigen Elemente der Nation sich der einzigen noch hoffnungs¬
reichen Stelle zudrängten, dem militärischen Treiben des Heeres. Fand sich der
Mann, der sie um sich zu versammeln vermochte, so stand ein ungeheuerer Um¬
schwung für Frankreich und Europa bevor."

So war der Boden bereitet für Napoleon. Mit seiner Charakterisirung
schließt der Geschichtsschreiber. Bonaparte gab seiner Nation auf dem Boden
der Gleichheit den Rechtsschutz, während er der Freiheit keine Stätte gewährte.
Wie er im Innern Freiheit und Recht nicht achtete, so verfuhr er mit derselben
Rücksichtslosigkeit nach außen. „Darin war er der geborene Erbe demokratischer
Erinnerungen, und nur dadurch unterschied er sich von seinen Vorgängern, daß
er mit ungleich größerem Geschick und in unmäßig gesteigertem Umfang seine
Pläne entwarf und durchführte." Woran dereinst Napoleon scheitern sollte,
deutet Sybel am Schlüsse seines Buches noch an: „So scharfen Blickes er
war, so großes Talent er besaß als Feldherr und Staatsmann, so hatte er doch
keine Ahnung von den sittlichen Gedanken, welche die Menschenbrust bewegen.


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[0473] Anstrengungen, welche die Coalition machte, war es ihr unmöglich, den Gegner zu demüthigen. Die Verhältnisse in Frankreich selbst waren unterdessen immer hoffnungs¬ loser geworden. „Einstimmig berichteten die Beamten, welche den verschiedensten Parteischattirungen angehörten: aller Orten Hunger und Kummer, Verfall und Verödung, Unordnung und Verwilderung und in Folge davon gleichgiltige Stumpfheit der Bevölkerung gegenüber den zum leeren Schall gewordenen Worten, mit denen sonst eine Nation ihre höchsten idealen Schätze bezeichnet, Ruhm, Freiheit, Vaterlandsliebe. Kein anderer Gedanke als der Wunsch zu leben, in Sicherheit und Ruhe das Dasein fortzuführen, Haus und Acker und die Früchte der Arbeit wieder sein Eigen zu nennen, eine Schule für die Kiuder, eine Kirche für den Trost des Gewissens zu haben. Wer diese elementaren Güter des Daseins dem Volke wieder erstattete, möchte er Steuern und Rekruten oder das Opfer aller politischen Rechte begehren, er würde von Millionen als willkommener Retter begrüßt werden----Und wenn ein solcher Herrschergeist sich erhob, so hatte die Revolution bei allen ihren Verheerungen ihm zwei Vor¬ theile geschaffen, welchen kein anderer der damaligen Staaten etwas gleichwer¬ tiges entgegensetzen konnte. Sie hatte sämmtliche Besonderheiten, Privilegien, Corporationen vertilgt, welche im alten Frankreich den Willen des Herrschers beschränkend umgaben: wer heute die Staatsgewalt in Frankreich zu ergreifen vermochte, wurde damit der Gebieter über alle Kräfte des französischen Volkes. Und weiter hatte die Revolution so entsetzlich auf jedem Gebiete des bürger¬ lichen Lebens gehaust, daß für den Augenblick Handel und Gewerbe, Wissen¬ schaft und Kunst mit Noth um ihr Dasein rangen und somit alle jugendfrischem, starken und ehrgeizigen Elemente der Nation sich der einzigen noch hoffnungs¬ reichen Stelle zudrängten, dem militärischen Treiben des Heeres. Fand sich der Mann, der sie um sich zu versammeln vermochte, so stand ein ungeheuerer Um¬ schwung für Frankreich und Europa bevor." So war der Boden bereitet für Napoleon. Mit seiner Charakterisirung schließt der Geschichtsschreiber. Bonaparte gab seiner Nation auf dem Boden der Gleichheit den Rechtsschutz, während er der Freiheit keine Stätte gewährte. Wie er im Innern Freiheit und Recht nicht achtete, so verfuhr er mit derselben Rücksichtslosigkeit nach außen. „Darin war er der geborene Erbe demokratischer Erinnerungen, und nur dadurch unterschied er sich von seinen Vorgängern, daß er mit ungleich größerem Geschick und in unmäßig gesteigertem Umfang seine Pläne entwarf und durchführte." Woran dereinst Napoleon scheitern sollte, deutet Sybel am Schlüsse seines Buches noch an: „So scharfen Blickes er war, so großes Talent er besaß als Feldherr und Staatsmann, so hatte er doch keine Ahnung von den sittlichen Gedanken, welche die Menschenbrust bewegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/473>, abgerufen am 23.07.2024.