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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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sich anfänglich mit den Acten des preußischen Generalstabs und des Pariser
DöM as 1a ssusrrs, mit den bis dahin nie benutzten Acten des großen Wohl¬
fahrtsausschusses im französischen Reichsarchiv, sowie mit der Correspondenz der
holländischen Diplomaten begnügen. Nur Schritt für Schritt gelang es ihm,
Eingang in die Archive der auswärtigen Angelegenheiten zu Berlin und London
und endlich im Laufe der letzten 15 Jahre auch in Wien und Paris zu erhalten,
so daß sich jede neue Auflage seines Werkes -- für die ersten Bände hat sich
schon die vierte nothwendig gemacht --- sehr erheblich von ihren Vorgängerinnen
unterscheidet.

Durch Sybel angeregt, ist in den letzten Jahren die historische Literatur
gerade auf diesem Gebiete sehr thätig gewesen. Sybel hat sie immer berück¬
sichtigt, und wenn auch die Darstellung der einzelnen Thatsachen eine Menge
von Correcturen und Zusätzen erhielt, so fand sich doch die Gesammtauffassung
sowohl der Revolution als der europäischen und insbesondere der österreichischen
Politik während derselben durchweg bestätigt. Als Sybel vor nunmehr 27
Jahren zum ersten Male die Geschichte der Revolutionszeit nach authentischen
Materialien darstellte, erregte er bei dem französischen Publikum vielfach Anstoß
und fand lebhaften Widerspruch. Bald aber fielen von allen Seiten vernich¬
tende Schläge gegen die früher allgemein adoptirte, von Mignet und Thiers
verherrlichte revolutionäre Legende. Ad. Schmidt in den Ladlsimx as 1a R6-
voIMcm traiiyÄlss und den "Pariser Zuständen während der Revolutionszeit",
Mortimer-Ternaux u. a. haben aus deu Berichten der revolutionären Beamten
selbst eine Fülle von Verbrechen und entsetzlichem Elend geschildert, welches die
Revolution im Gefolge hatte und durch welche sie wiederum weiter getrieben
wurde, und haben die finsteren und schändlichen Beweggründe dargelegt, welche
einen großen Theil ihrer Führer und fanatischen Anhänger leitete. neuerdings
ist auch ein so sorgfältiger Forscher wie Taine nach Heranziehung zahlloser
Documente der französischen Archive ganz und gar zu demselben Ergebniß wie
Sybel gelangt.

Der Schlußband des vorliegenden Werkes behandelt im wesentlichen die
Kämpfe der zweiten Coalition gegen die französische Republik. Auf der einen
Seite sehen wir eine elende, mittellose Regierung, die gedrängt durch die ver¬
zweifelte Ueberzeugung, daß die Lage im Frieden hoffnungsloser sei als selbst
bei einem ruhmlosen Kriege, alle ihre Generäle zu tollkühnem Vorgehen treibt,
auf der anderen Seite Oesterreich in schwerer Rüstung, nur mit dem Gedanken
beschäftigt, wie es die Streiche der Geguer zu Pariren vermöge. Auch hier be¬
hielt die Erfahrung Recht, daß Angriffslust auf dem Schlachtfelde schwerer
wiegt als die zahlreichen und langsamen Bataillone des Gegners. Trotz der


sich anfänglich mit den Acten des preußischen Generalstabs und des Pariser
DöM as 1a ssusrrs, mit den bis dahin nie benutzten Acten des großen Wohl¬
fahrtsausschusses im französischen Reichsarchiv, sowie mit der Correspondenz der
holländischen Diplomaten begnügen. Nur Schritt für Schritt gelang es ihm,
Eingang in die Archive der auswärtigen Angelegenheiten zu Berlin und London
und endlich im Laufe der letzten 15 Jahre auch in Wien und Paris zu erhalten,
so daß sich jede neue Auflage seines Werkes — für die ersten Bände hat sich
schon die vierte nothwendig gemacht —- sehr erheblich von ihren Vorgängerinnen
unterscheidet.

Durch Sybel angeregt, ist in den letzten Jahren die historische Literatur
gerade auf diesem Gebiete sehr thätig gewesen. Sybel hat sie immer berück¬
sichtigt, und wenn auch die Darstellung der einzelnen Thatsachen eine Menge
von Correcturen und Zusätzen erhielt, so fand sich doch die Gesammtauffassung
sowohl der Revolution als der europäischen und insbesondere der österreichischen
Politik während derselben durchweg bestätigt. Als Sybel vor nunmehr 27
Jahren zum ersten Male die Geschichte der Revolutionszeit nach authentischen
Materialien darstellte, erregte er bei dem französischen Publikum vielfach Anstoß
und fand lebhaften Widerspruch. Bald aber fielen von allen Seiten vernich¬
tende Schläge gegen die früher allgemein adoptirte, von Mignet und Thiers
verherrlichte revolutionäre Legende. Ad. Schmidt in den Ladlsimx as 1a R6-
voIMcm traiiyÄlss und den „Pariser Zuständen während der Revolutionszeit",
Mortimer-Ternaux u. a. haben aus deu Berichten der revolutionären Beamten
selbst eine Fülle von Verbrechen und entsetzlichem Elend geschildert, welches die
Revolution im Gefolge hatte und durch welche sie wiederum weiter getrieben
wurde, und haben die finsteren und schändlichen Beweggründe dargelegt, welche
einen großen Theil ihrer Führer und fanatischen Anhänger leitete. neuerdings
ist auch ein so sorgfältiger Forscher wie Taine nach Heranziehung zahlloser
Documente der französischen Archive ganz und gar zu demselben Ergebniß wie
Sybel gelangt.

Der Schlußband des vorliegenden Werkes behandelt im wesentlichen die
Kämpfe der zweiten Coalition gegen die französische Republik. Auf der einen
Seite sehen wir eine elende, mittellose Regierung, die gedrängt durch die ver¬
zweifelte Ueberzeugung, daß die Lage im Frieden hoffnungsloser sei als selbst
bei einem ruhmlosen Kriege, alle ihre Generäle zu tollkühnem Vorgehen treibt,
auf der anderen Seite Oesterreich in schwerer Rüstung, nur mit dem Gedanken
beschäftigt, wie es die Streiche der Geguer zu Pariren vermöge. Auch hier be¬
hielt die Erfahrung Recht, daß Angriffslust auf dem Schlachtfelde schwerer
wiegt als die zahlreichen und langsamen Bataillone des Gegners. Trotz der


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[0472] sich anfänglich mit den Acten des preußischen Generalstabs und des Pariser DöM as 1a ssusrrs, mit den bis dahin nie benutzten Acten des großen Wohl¬ fahrtsausschusses im französischen Reichsarchiv, sowie mit der Correspondenz der holländischen Diplomaten begnügen. Nur Schritt für Schritt gelang es ihm, Eingang in die Archive der auswärtigen Angelegenheiten zu Berlin und London und endlich im Laufe der letzten 15 Jahre auch in Wien und Paris zu erhalten, so daß sich jede neue Auflage seines Werkes — für die ersten Bände hat sich schon die vierte nothwendig gemacht —- sehr erheblich von ihren Vorgängerinnen unterscheidet. Durch Sybel angeregt, ist in den letzten Jahren die historische Literatur gerade auf diesem Gebiete sehr thätig gewesen. Sybel hat sie immer berück¬ sichtigt, und wenn auch die Darstellung der einzelnen Thatsachen eine Menge von Correcturen und Zusätzen erhielt, so fand sich doch die Gesammtauffassung sowohl der Revolution als der europäischen und insbesondere der österreichischen Politik während derselben durchweg bestätigt. Als Sybel vor nunmehr 27 Jahren zum ersten Male die Geschichte der Revolutionszeit nach authentischen Materialien darstellte, erregte er bei dem französischen Publikum vielfach Anstoß und fand lebhaften Widerspruch. Bald aber fielen von allen Seiten vernich¬ tende Schläge gegen die früher allgemein adoptirte, von Mignet und Thiers verherrlichte revolutionäre Legende. Ad. Schmidt in den Ladlsimx as 1a R6- voIMcm traiiyÄlss und den „Pariser Zuständen während der Revolutionszeit", Mortimer-Ternaux u. a. haben aus deu Berichten der revolutionären Beamten selbst eine Fülle von Verbrechen und entsetzlichem Elend geschildert, welches die Revolution im Gefolge hatte und durch welche sie wiederum weiter getrieben wurde, und haben die finsteren und schändlichen Beweggründe dargelegt, welche einen großen Theil ihrer Führer und fanatischen Anhänger leitete. neuerdings ist auch ein so sorgfältiger Forscher wie Taine nach Heranziehung zahlloser Documente der französischen Archive ganz und gar zu demselben Ergebniß wie Sybel gelangt. Der Schlußband des vorliegenden Werkes behandelt im wesentlichen die Kämpfe der zweiten Coalition gegen die französische Republik. Auf der einen Seite sehen wir eine elende, mittellose Regierung, die gedrängt durch die ver¬ zweifelte Ueberzeugung, daß die Lage im Frieden hoffnungsloser sei als selbst bei einem ruhmlosen Kriege, alle ihre Generäle zu tollkühnem Vorgehen treibt, auf der anderen Seite Oesterreich in schwerer Rüstung, nur mit dem Gedanken beschäftigt, wie es die Streiche der Geguer zu Pariren vermöge. Auch hier be¬ hielt die Erfahrung Recht, daß Angriffslust auf dem Schlachtfelde schwerer wiegt als die zahlreichen und langsamen Bataillone des Gegners. Trotz der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/472>, abgerufen am 23.07.2024.