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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Augustischen Legion im heißen Lmnbäsa am Atlas. Noch bezeichnender für das
willige Eingehen der Noriker in römisches Wesen ist ihr häufiger Eintritt in die
Garden, zu denen bis auf Septimius Severus (193--211) außer Jtalikern nur
noch Mazedonier und Noriker genommen wurden: schon unter Claudius oder
Nero diente ein L. Cantonius aus Viruuum in der elften prätorischen Cohorte.

Auch an den blutigen Kriegen der Kaiserzeit ist diesen Virunensern ihr
voller Antheil nicht erspart geblieben. Noch ist ein Stein erhalten, den zwei
Soldatenwitwen gemeinsam ihren gefallenen Männern gesetzt haben: der eine,
unlesbaren Namens, hat seinen Tod gefunden, als die bürgerliche Niederlassung
(oanaxa), welche sich an große Standlager zu schließen Pflegte, überfallen wurde,
der andere ist mit 70 Jahren im Kampfe geblieben, beide gegen die "Barbaren".
Einer anderen Inschrift meint man trotz ihrer schmucklosen Worte den Schmerz
uoch anzuhören, der sie dictirt hat: der Vater Veponius Avitus hat sie dem Sohne
Quartinus, einem Soldaten der zweiten italischen Legion, errichtet, der 35 Jahre alt
im vierten Dienstjahre auszog und nicht wiederkam: "vermißt im dänischen Kriege."
Gewann aber einer nach langer Dienstzeit den ehrenvollen Abschied, der sich bei
den Hilfstruppen regelmäßig mit der Verleihung des Bürgerrechts, bei den Legio¬
naren häufig mit der Ueberweisung von Ackerland verband, und kehrte er dann,
falls er es nicht etwa vorzog, sich in der Nähe seiner alten Garnison anzusie¬
deln, in seine Heimat zurück, so war er gewiß völlig zum Römer geworden
und einem specifischen Stammesbewußtsein völlig entwachsen. Ja es wurde
dafür gesorgt, diese Veteranen auch weit über ihre Dienstzeit in besonderen
Vereinen hinaus zusammenzuhalten. So bestand auch in Virunum ein Vete¬
ranenverein (oollkAiuiri ?6t6ra.Qoruw), dessen Quästor C. Vettius sammt seinem
Bruder Quintus ein stattliches Denkmal mit der Nachbildung ihrer Ehrenzeichen
von den Erben gesetzt erhielten, und Veteranen der verschiedensten Truppentheile
werden auf den Virunenser Inschriften häufig genug genannt. Sie bildeten
zusammen mit den italischen Einwanderern und den begüterten Provinzialen
den festen Kern der romanischen Bevölkerung, die durch Interessen und Sym¬
pathien mit dem Ganzen des Reiches eng verknüpft war.

Stark genug also waren unzweifelhaft die direct oder indireet vom römi¬
schen Staate ausgehenden Einflüsse, um diese Noriker umzuformen, sie zu "roma-
nisiren". Haben diese Einflüsse nun wirklich das einheimische Wesen vollkom¬
men überwältigt, haben sie in der That die Eingeborenen dazu gebracht, ihre
Ueberlieferungen in Sprache, Sitte und Religion zu Gunsten der fremden
Vorbilder aufzugeben?

Schon oben ist gesagt worden, daß die Bevölkerung des platten Landes,
d. h. also die ganz überwiegende Mehrzahl überhaupt, des römischen Bürger¬
rechtes entbehrte. An der Verwaltung der Gemeinde nahm sie also gar keinen


Augustischen Legion im heißen Lmnbäsa am Atlas. Noch bezeichnender für das
willige Eingehen der Noriker in römisches Wesen ist ihr häufiger Eintritt in die
Garden, zu denen bis auf Septimius Severus (193—211) außer Jtalikern nur
noch Mazedonier und Noriker genommen wurden: schon unter Claudius oder
Nero diente ein L. Cantonius aus Viruuum in der elften prätorischen Cohorte.

Auch an den blutigen Kriegen der Kaiserzeit ist diesen Virunensern ihr
voller Antheil nicht erspart geblieben. Noch ist ein Stein erhalten, den zwei
Soldatenwitwen gemeinsam ihren gefallenen Männern gesetzt haben: der eine,
unlesbaren Namens, hat seinen Tod gefunden, als die bürgerliche Niederlassung
(oanaxa), welche sich an große Standlager zu schließen Pflegte, überfallen wurde,
der andere ist mit 70 Jahren im Kampfe geblieben, beide gegen die „Barbaren".
Einer anderen Inschrift meint man trotz ihrer schmucklosen Worte den Schmerz
uoch anzuhören, der sie dictirt hat: der Vater Veponius Avitus hat sie dem Sohne
Quartinus, einem Soldaten der zweiten italischen Legion, errichtet, der 35 Jahre alt
im vierten Dienstjahre auszog und nicht wiederkam: „vermißt im dänischen Kriege."
Gewann aber einer nach langer Dienstzeit den ehrenvollen Abschied, der sich bei
den Hilfstruppen regelmäßig mit der Verleihung des Bürgerrechts, bei den Legio¬
naren häufig mit der Ueberweisung von Ackerland verband, und kehrte er dann,
falls er es nicht etwa vorzog, sich in der Nähe seiner alten Garnison anzusie¬
deln, in seine Heimat zurück, so war er gewiß völlig zum Römer geworden
und einem specifischen Stammesbewußtsein völlig entwachsen. Ja es wurde
dafür gesorgt, diese Veteranen auch weit über ihre Dienstzeit in besonderen
Vereinen hinaus zusammenzuhalten. So bestand auch in Virunum ein Vete¬
ranenverein (oollkAiuiri ?6t6ra.Qoruw), dessen Quästor C. Vettius sammt seinem
Bruder Quintus ein stattliches Denkmal mit der Nachbildung ihrer Ehrenzeichen
von den Erben gesetzt erhielten, und Veteranen der verschiedensten Truppentheile
werden auf den Virunenser Inschriften häufig genug genannt. Sie bildeten
zusammen mit den italischen Einwanderern und den begüterten Provinzialen
den festen Kern der romanischen Bevölkerung, die durch Interessen und Sym¬
pathien mit dem Ganzen des Reiches eng verknüpft war.

Stark genug also waren unzweifelhaft die direct oder indireet vom römi¬
schen Staate ausgehenden Einflüsse, um diese Noriker umzuformen, sie zu „roma-
nisiren". Haben diese Einflüsse nun wirklich das einheimische Wesen vollkom¬
men überwältigt, haben sie in der That die Eingeborenen dazu gebracht, ihre
Ueberlieferungen in Sprache, Sitte und Religion zu Gunsten der fremden
Vorbilder aufzugeben?

Schon oben ist gesagt worden, daß die Bevölkerung des platten Landes,
d. h. also die ganz überwiegende Mehrzahl überhaupt, des römischen Bürger¬
rechtes entbehrte. An der Verwaltung der Gemeinde nahm sie also gar keinen


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[0439] Augustischen Legion im heißen Lmnbäsa am Atlas. Noch bezeichnender für das willige Eingehen der Noriker in römisches Wesen ist ihr häufiger Eintritt in die Garden, zu denen bis auf Septimius Severus (193—211) außer Jtalikern nur noch Mazedonier und Noriker genommen wurden: schon unter Claudius oder Nero diente ein L. Cantonius aus Viruuum in der elften prätorischen Cohorte. Auch an den blutigen Kriegen der Kaiserzeit ist diesen Virunensern ihr voller Antheil nicht erspart geblieben. Noch ist ein Stein erhalten, den zwei Soldatenwitwen gemeinsam ihren gefallenen Männern gesetzt haben: der eine, unlesbaren Namens, hat seinen Tod gefunden, als die bürgerliche Niederlassung (oanaxa), welche sich an große Standlager zu schließen Pflegte, überfallen wurde, der andere ist mit 70 Jahren im Kampfe geblieben, beide gegen die „Barbaren". Einer anderen Inschrift meint man trotz ihrer schmucklosen Worte den Schmerz uoch anzuhören, der sie dictirt hat: der Vater Veponius Avitus hat sie dem Sohne Quartinus, einem Soldaten der zweiten italischen Legion, errichtet, der 35 Jahre alt im vierten Dienstjahre auszog und nicht wiederkam: „vermißt im dänischen Kriege." Gewann aber einer nach langer Dienstzeit den ehrenvollen Abschied, der sich bei den Hilfstruppen regelmäßig mit der Verleihung des Bürgerrechts, bei den Legio¬ naren häufig mit der Ueberweisung von Ackerland verband, und kehrte er dann, falls er es nicht etwa vorzog, sich in der Nähe seiner alten Garnison anzusie¬ deln, in seine Heimat zurück, so war er gewiß völlig zum Römer geworden und einem specifischen Stammesbewußtsein völlig entwachsen. Ja es wurde dafür gesorgt, diese Veteranen auch weit über ihre Dienstzeit in besonderen Vereinen hinaus zusammenzuhalten. So bestand auch in Virunum ein Vete¬ ranenverein (oollkAiuiri ?6t6ra.Qoruw), dessen Quästor C. Vettius sammt seinem Bruder Quintus ein stattliches Denkmal mit der Nachbildung ihrer Ehrenzeichen von den Erben gesetzt erhielten, und Veteranen der verschiedensten Truppentheile werden auf den Virunenser Inschriften häufig genug genannt. Sie bildeten zusammen mit den italischen Einwanderern und den begüterten Provinzialen den festen Kern der romanischen Bevölkerung, die durch Interessen und Sym¬ pathien mit dem Ganzen des Reiches eng verknüpft war. Stark genug also waren unzweifelhaft die direct oder indireet vom römi¬ schen Staate ausgehenden Einflüsse, um diese Noriker umzuformen, sie zu „roma- nisiren". Haben diese Einflüsse nun wirklich das einheimische Wesen vollkom¬ men überwältigt, haben sie in der That die Eingeborenen dazu gebracht, ihre Ueberlieferungen in Sprache, Sitte und Religion zu Gunsten der fremden Vorbilder aufzugeben? Schon oben ist gesagt worden, daß die Bevölkerung des platten Landes, d. h. also die ganz überwiegende Mehrzahl überhaupt, des römischen Bürger¬ rechtes entbehrte. An der Verwaltung der Gemeinde nahm sie also gar keinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/439>, abgerufen am 23.07.2024.