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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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spieleriunen, dies Dutzend schwadronirender und renonunistischer Schlingel, welche
die ^unsLss ckorös der modernen Wechselstuben, Cafss und Theater sechsten
Ranges repräsentiren, diese so salbungsvollen wie verlogenen Politiker, welche,
nicht zufrieden mit ihren Lorbeeren in den Landtagen, auch noch durch die
Romane hindurchschwätzen, diese halben und Sechsachtelsgcinner, diese Bier¬
trinker, die ihre rüde Behaglichkeit mit einem Lappen Schopenhauerscher Philo¬
sophie aufputzen, diese geistreichen Herren und Damen, die ihren Esprit aus
dem "Kladderadatsch" und den "Wespen" geschöpft haben und nun auf der
Bühne zum besten geben, sie wären auch nur Photographie des äußeren Da¬
seins der Gegenwart, geschweige denn Leben? So conventionell, so draht-
puppen- und marionettenhaft, wie nur je hergebrachte und der inneren Wahr¬
heit entbehrende Darstellung auf bestimmte Effecte hin gewesen ist, zeigt sich
diese Art moderner realistischer Literatur, die selbst ihre getreuesten Worthalter
nicht Poesie zu nennen wagen. Aus ihrer Existenz läßt sich auf die Eigenart des
deutschen Lebens der Gegenwart beinahe nichts schließen, und die Freude an den
Gestalten dieser Gattung von Novellen und Theaterstücken ist keine Freude an irgend
welcher Realität. Man möchte sagen, daß diese Literatur nicht sowohl modernes
Leben als gewisse "Ideale" des modernen Lebens oder vielmehr seines Ab¬
schaums darstelle. Das Leben selbst ist im ganzen viel gesünder, wärmer,
inniger, edler, unendlich tiefer und mannigfaltiger, erscheinungsreicher und kräf¬
tiger, als diese armselige angebliche Wiederspiegelung desselben. Wir leugnen
schlechthin, daß die üblichen Criminalgeschichten, die "pikanten" Novellen eines
gewissen Schlages, die Lustspiele, in denen nur noch Backfische vom frechsten
Genre und Lümmel auftreten, die aus jeder halbwegs anständigen Gesellschaft
hinausgeworfen werden würden, die geringste Bedeutung besitzen, daß sie irgend¬
wie charakteristisch und typisch sür die Zustände der Gegenwart sind. Wir
sehen wahrlich auch schwere Gefahren, mächtige Uebelstände und tief nieder¬
drückende Erscheinungen in unserem gesellschaftlichen Leben, aber so steht es
mit demselben denn doch nicht, daß sich die Autoren vom bezeichneten Schlage
für Realisten ausgeben dürften und daß ihre Fratzen auch nur den Werth schlechter
Daguerrotypieen zu beanspruchen hätten.

Daneben existirt denn nun freilich im wirklichen künstlerischen, speciell im
poetischen Realismus ein Zug und Drang, den wir nicht loben können, und
der einer untergeordneten Wahrheit des Augenblicks nicht nur die Schönheit
sondern auch die immer bleibende Wahrheit opfert. Tritt diese Richtung in
Deutschland nicht ganz mit den Prätentionen der Flaubert, Daudet und Zola
in Frankreich auf, so ist sie doch unzweifelhaft vorhanden und trägt trotz des
wirklichen Talents, das mit ihr verknüpft sein kann, sicher nichts zur Hebung


spieleriunen, dies Dutzend schwadronirender und renonunistischer Schlingel, welche
die ^unsLss ckorös der modernen Wechselstuben, Cafss und Theater sechsten
Ranges repräsentiren, diese so salbungsvollen wie verlogenen Politiker, welche,
nicht zufrieden mit ihren Lorbeeren in den Landtagen, auch noch durch die
Romane hindurchschwätzen, diese halben und Sechsachtelsgcinner, diese Bier¬
trinker, die ihre rüde Behaglichkeit mit einem Lappen Schopenhauerscher Philo¬
sophie aufputzen, diese geistreichen Herren und Damen, die ihren Esprit aus
dem „Kladderadatsch" und den „Wespen" geschöpft haben und nun auf der
Bühne zum besten geben, sie wären auch nur Photographie des äußeren Da¬
seins der Gegenwart, geschweige denn Leben? So conventionell, so draht-
puppen- und marionettenhaft, wie nur je hergebrachte und der inneren Wahr¬
heit entbehrende Darstellung auf bestimmte Effecte hin gewesen ist, zeigt sich
diese Art moderner realistischer Literatur, die selbst ihre getreuesten Worthalter
nicht Poesie zu nennen wagen. Aus ihrer Existenz läßt sich auf die Eigenart des
deutschen Lebens der Gegenwart beinahe nichts schließen, und die Freude an den
Gestalten dieser Gattung von Novellen und Theaterstücken ist keine Freude an irgend
welcher Realität. Man möchte sagen, daß diese Literatur nicht sowohl modernes
Leben als gewisse „Ideale" des modernen Lebens oder vielmehr seines Ab¬
schaums darstelle. Das Leben selbst ist im ganzen viel gesünder, wärmer,
inniger, edler, unendlich tiefer und mannigfaltiger, erscheinungsreicher und kräf¬
tiger, als diese armselige angebliche Wiederspiegelung desselben. Wir leugnen
schlechthin, daß die üblichen Criminalgeschichten, die „pikanten" Novellen eines
gewissen Schlages, die Lustspiele, in denen nur noch Backfische vom frechsten
Genre und Lümmel auftreten, die aus jeder halbwegs anständigen Gesellschaft
hinausgeworfen werden würden, die geringste Bedeutung besitzen, daß sie irgend¬
wie charakteristisch und typisch sür die Zustände der Gegenwart sind. Wir
sehen wahrlich auch schwere Gefahren, mächtige Uebelstände und tief nieder¬
drückende Erscheinungen in unserem gesellschaftlichen Leben, aber so steht es
mit demselben denn doch nicht, daß sich die Autoren vom bezeichneten Schlage
für Realisten ausgeben dürften und daß ihre Fratzen auch nur den Werth schlechter
Daguerrotypieen zu beanspruchen hätten.

Daneben existirt denn nun freilich im wirklichen künstlerischen, speciell im
poetischen Realismus ein Zug und Drang, den wir nicht loben können, und
der einer untergeordneten Wahrheit des Augenblicks nicht nur die Schönheit
sondern auch die immer bleibende Wahrheit opfert. Tritt diese Richtung in
Deutschland nicht ganz mit den Prätentionen der Flaubert, Daudet und Zola
in Frankreich auf, so ist sie doch unzweifelhaft vorhanden und trägt trotz des
wirklichen Talents, das mit ihr verknüpft sein kann, sicher nichts zur Hebung


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[0416] spieleriunen, dies Dutzend schwadronirender und renonunistischer Schlingel, welche die ^unsLss ckorös der modernen Wechselstuben, Cafss und Theater sechsten Ranges repräsentiren, diese so salbungsvollen wie verlogenen Politiker, welche, nicht zufrieden mit ihren Lorbeeren in den Landtagen, auch noch durch die Romane hindurchschwätzen, diese halben und Sechsachtelsgcinner, diese Bier¬ trinker, die ihre rüde Behaglichkeit mit einem Lappen Schopenhauerscher Philo¬ sophie aufputzen, diese geistreichen Herren und Damen, die ihren Esprit aus dem „Kladderadatsch" und den „Wespen" geschöpft haben und nun auf der Bühne zum besten geben, sie wären auch nur Photographie des äußeren Da¬ seins der Gegenwart, geschweige denn Leben? So conventionell, so draht- puppen- und marionettenhaft, wie nur je hergebrachte und der inneren Wahr¬ heit entbehrende Darstellung auf bestimmte Effecte hin gewesen ist, zeigt sich diese Art moderner realistischer Literatur, die selbst ihre getreuesten Worthalter nicht Poesie zu nennen wagen. Aus ihrer Existenz läßt sich auf die Eigenart des deutschen Lebens der Gegenwart beinahe nichts schließen, und die Freude an den Gestalten dieser Gattung von Novellen und Theaterstücken ist keine Freude an irgend welcher Realität. Man möchte sagen, daß diese Literatur nicht sowohl modernes Leben als gewisse „Ideale" des modernen Lebens oder vielmehr seines Ab¬ schaums darstelle. Das Leben selbst ist im ganzen viel gesünder, wärmer, inniger, edler, unendlich tiefer und mannigfaltiger, erscheinungsreicher und kräf¬ tiger, als diese armselige angebliche Wiederspiegelung desselben. Wir leugnen schlechthin, daß die üblichen Criminalgeschichten, die „pikanten" Novellen eines gewissen Schlages, die Lustspiele, in denen nur noch Backfische vom frechsten Genre und Lümmel auftreten, die aus jeder halbwegs anständigen Gesellschaft hinausgeworfen werden würden, die geringste Bedeutung besitzen, daß sie irgend¬ wie charakteristisch und typisch sür die Zustände der Gegenwart sind. Wir sehen wahrlich auch schwere Gefahren, mächtige Uebelstände und tief nieder¬ drückende Erscheinungen in unserem gesellschaftlichen Leben, aber so steht es mit demselben denn doch nicht, daß sich die Autoren vom bezeichneten Schlage für Realisten ausgeben dürften und daß ihre Fratzen auch nur den Werth schlechter Daguerrotypieen zu beanspruchen hätten. Daneben existirt denn nun freilich im wirklichen künstlerischen, speciell im poetischen Realismus ein Zug und Drang, den wir nicht loben können, und der einer untergeordneten Wahrheit des Augenblicks nicht nur die Schönheit sondern auch die immer bleibende Wahrheit opfert. Tritt diese Richtung in Deutschland nicht ganz mit den Prätentionen der Flaubert, Daudet und Zola in Frankreich auf, so ist sie doch unzweifelhaft vorhanden und trägt trotz des wirklichen Talents, das mit ihr verknüpft sein kann, sicher nichts zur Hebung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/416>, abgerufen am 23.07.2024.