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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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hatten wir die menschenfreundlichste Theilnahme an unserem Jammergeschicke
zu erkennen.

Unser nächster Ruheplatz war ein Ort vor dem Thore, wo einige baden-
sche und weimarische Offiziere sich an uns anschlössen, und wo wir die Nacht
über in einem stallähnlichen Behälter verwahrt wurden. Auf dem nun begin¬
nenden mehrwochentlichen Marsche gelangte ich, gleich den meisten meiner Ge¬
fährten, in dumpfer, nnr durch einzelne, etwas lichte Intervalle unterbrochener
Bewußtlosigkeit von einer Stelle zur anderen, und dieses starre, kümmerliche
Pflanzenleben ging nicht eher wieder in ein Dasein mit klarem Bewußtsein über,
als bis wir Pleskow erreichten. Dunkel liegt noch die Erinnerung in meiner
Seele, daß wir auf diesem Transporte selten in einer Stadt, sondern gewöhn¬
lich auf Höfen und in elenden Dörfern, in Scheunen und Ställen untergebracht
und, wenn wir ja einmal in eine Stube zu liegen kamen, von den uns trans-
portirenden Soldaten unter die Bänke getrieben wurden.

Die uns gereichte Kost, aus gedörrten Brode bestehend, war nicht geeignet,
unsere abgematteter, ihrer Auflösung nahen Körper zu kräftigem An Bar¬
schaft erhielt jeder täglich einen Pedant, nach unserem Gelde etwa 6 Pfennige.
Der Empfang dieser Münze erinnerte mich an den für Zeiten des drückendsten
Mangels in meinen Schuhen aufgesparten Nothpfennig, von welchem ich bisher,
so groß auch mein bereits erlittenes Elend war, in meinem fast bewußtlosen
Zustande noch keinen Gebrauch hatte machen können. Jetzt, dachte ich, können
dir deine 10 Louisd'or die ersprießlichsten Dienste leisten. Aber der erste dieser
treuen Gefährten, auf die ich so große Hoffnungen gebaut hatte, versagte mir
leider den Dienst, den ich mir von ihm versprach. Ich hatte bemerkt, daß der
unsere kleine Suite führende Offizier mit Lebensmitteln versehen war, welche er
an unsere Offiziere um Geld, Uhren und andere Pretiosen, soviel ihnen der¬
gleichen noch geblieben war, abließ. Ich gab daher dem Bedienten des Offiziers
einen Louisd'or mit der Bitte, mir dafür einige Nahrungsmittel zu reichen. Ich
bekam aber weder diese, noch mein Goldstück zurück; wohl aber erhielt ich von
dem Offizier, bei dem ich mich über das Benehmen seines Bedienten beschwerte
und das begehrte, was ich bezahlt hatte, eine derbe Ohrfeige mit der Bemer¬
kung, einem Gefangenen gehöre kein Geld. In der Voraussetzung, daß ich im
Besitz noch mehrerer dergleichen Münzen sein werde, visitirte man mich, um mich
davon zu befreien, allein da die Visitation sich nicht bis auf die Brandsohlen
meiner Schuhe erstreckte, behielt ich meine übrigen wohlverwahrten Goldstücke,
die in der Folge eine nachhaltigere Treue gegen mich bewiesen als das erste.
Der Gelegenheiten, etwas für Geld zu bekommen, boten sich freilich nur wenige,
denn der eseortirende Offizier wich Städten und solchen Orten, wo für Geld
etwas zu haben war, absichtlich und mit aller Vorsicht aus, damit die gefan-


hatten wir die menschenfreundlichste Theilnahme an unserem Jammergeschicke
zu erkennen.

Unser nächster Ruheplatz war ein Ort vor dem Thore, wo einige baden-
sche und weimarische Offiziere sich an uns anschlössen, und wo wir die Nacht
über in einem stallähnlichen Behälter verwahrt wurden. Auf dem nun begin¬
nenden mehrwochentlichen Marsche gelangte ich, gleich den meisten meiner Ge¬
fährten, in dumpfer, nnr durch einzelne, etwas lichte Intervalle unterbrochener
Bewußtlosigkeit von einer Stelle zur anderen, und dieses starre, kümmerliche
Pflanzenleben ging nicht eher wieder in ein Dasein mit klarem Bewußtsein über,
als bis wir Pleskow erreichten. Dunkel liegt noch die Erinnerung in meiner
Seele, daß wir auf diesem Transporte selten in einer Stadt, sondern gewöhn¬
lich auf Höfen und in elenden Dörfern, in Scheunen und Ställen untergebracht
und, wenn wir ja einmal in eine Stube zu liegen kamen, von den uns trans-
portirenden Soldaten unter die Bänke getrieben wurden.

Die uns gereichte Kost, aus gedörrten Brode bestehend, war nicht geeignet,
unsere abgematteter, ihrer Auflösung nahen Körper zu kräftigem An Bar¬
schaft erhielt jeder täglich einen Pedant, nach unserem Gelde etwa 6 Pfennige.
Der Empfang dieser Münze erinnerte mich an den für Zeiten des drückendsten
Mangels in meinen Schuhen aufgesparten Nothpfennig, von welchem ich bisher,
so groß auch mein bereits erlittenes Elend war, in meinem fast bewußtlosen
Zustande noch keinen Gebrauch hatte machen können. Jetzt, dachte ich, können
dir deine 10 Louisd'or die ersprießlichsten Dienste leisten. Aber der erste dieser
treuen Gefährten, auf die ich so große Hoffnungen gebaut hatte, versagte mir
leider den Dienst, den ich mir von ihm versprach. Ich hatte bemerkt, daß der
unsere kleine Suite führende Offizier mit Lebensmitteln versehen war, welche er
an unsere Offiziere um Geld, Uhren und andere Pretiosen, soviel ihnen der¬
gleichen noch geblieben war, abließ. Ich gab daher dem Bedienten des Offiziers
einen Louisd'or mit der Bitte, mir dafür einige Nahrungsmittel zu reichen. Ich
bekam aber weder diese, noch mein Goldstück zurück; wohl aber erhielt ich von
dem Offizier, bei dem ich mich über das Benehmen seines Bedienten beschwerte
und das begehrte, was ich bezahlt hatte, eine derbe Ohrfeige mit der Bemer¬
kung, einem Gefangenen gehöre kein Geld. In der Voraussetzung, daß ich im
Besitz noch mehrerer dergleichen Münzen sein werde, visitirte man mich, um mich
davon zu befreien, allein da die Visitation sich nicht bis auf die Brandsohlen
meiner Schuhe erstreckte, behielt ich meine übrigen wohlverwahrten Goldstücke,
die in der Folge eine nachhaltigere Treue gegen mich bewiesen als das erste.
Der Gelegenheiten, etwas für Geld zu bekommen, boten sich freilich nur wenige,
denn der eseortirende Offizier wich Städten und solchen Orten, wo für Geld
etwas zu haben war, absichtlich und mit aller Vorsicht aus, damit die gefan-


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[0409] hatten wir die menschenfreundlichste Theilnahme an unserem Jammergeschicke zu erkennen. Unser nächster Ruheplatz war ein Ort vor dem Thore, wo einige baden- sche und weimarische Offiziere sich an uns anschlössen, und wo wir die Nacht über in einem stallähnlichen Behälter verwahrt wurden. Auf dem nun begin¬ nenden mehrwochentlichen Marsche gelangte ich, gleich den meisten meiner Ge¬ fährten, in dumpfer, nnr durch einzelne, etwas lichte Intervalle unterbrochener Bewußtlosigkeit von einer Stelle zur anderen, und dieses starre, kümmerliche Pflanzenleben ging nicht eher wieder in ein Dasein mit klarem Bewußtsein über, als bis wir Pleskow erreichten. Dunkel liegt noch die Erinnerung in meiner Seele, daß wir auf diesem Transporte selten in einer Stadt, sondern gewöhn¬ lich auf Höfen und in elenden Dörfern, in Scheunen und Ställen untergebracht und, wenn wir ja einmal in eine Stube zu liegen kamen, von den uns trans- portirenden Soldaten unter die Bänke getrieben wurden. Die uns gereichte Kost, aus gedörrten Brode bestehend, war nicht geeignet, unsere abgematteter, ihrer Auflösung nahen Körper zu kräftigem An Bar¬ schaft erhielt jeder täglich einen Pedant, nach unserem Gelde etwa 6 Pfennige. Der Empfang dieser Münze erinnerte mich an den für Zeiten des drückendsten Mangels in meinen Schuhen aufgesparten Nothpfennig, von welchem ich bisher, so groß auch mein bereits erlittenes Elend war, in meinem fast bewußtlosen Zustande noch keinen Gebrauch hatte machen können. Jetzt, dachte ich, können dir deine 10 Louisd'or die ersprießlichsten Dienste leisten. Aber der erste dieser treuen Gefährten, auf die ich so große Hoffnungen gebaut hatte, versagte mir leider den Dienst, den ich mir von ihm versprach. Ich hatte bemerkt, daß der unsere kleine Suite führende Offizier mit Lebensmitteln versehen war, welche er an unsere Offiziere um Geld, Uhren und andere Pretiosen, soviel ihnen der¬ gleichen noch geblieben war, abließ. Ich gab daher dem Bedienten des Offiziers einen Louisd'or mit der Bitte, mir dafür einige Nahrungsmittel zu reichen. Ich bekam aber weder diese, noch mein Goldstück zurück; wohl aber erhielt ich von dem Offizier, bei dem ich mich über das Benehmen seines Bedienten beschwerte und das begehrte, was ich bezahlt hatte, eine derbe Ohrfeige mit der Bemer¬ kung, einem Gefangenen gehöre kein Geld. In der Voraussetzung, daß ich im Besitz noch mehrerer dergleichen Münzen sein werde, visitirte man mich, um mich davon zu befreien, allein da die Visitation sich nicht bis auf die Brandsohlen meiner Schuhe erstreckte, behielt ich meine übrigen wohlverwahrten Goldstücke, die in der Folge eine nachhaltigere Treue gegen mich bewiesen als das erste. Der Gelegenheiten, etwas für Geld zu bekommen, boten sich freilich nur wenige, denn der eseortirende Offizier wich Städten und solchen Orten, wo für Geld etwas zu haben war, absichtlich und mit aller Vorsicht aus, damit die gefan-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/409>, abgerufen am 23.07.2024.