Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

klopfte an, und ein mir bekannter Bedienter der Offiziere erkannte mich, obgleich
ich einem vagabundirenden, abgehungerten, zitternden und bebenden Bettler glich.
Nach dem Willen des Hauswirthes durfte die Thür nicht geöffnet werden. Der
Bediente zog mich daher durch ein Fenster hinein. Nächst dem Allernothwen-
digsten, was mir die hier befindlichen Offiziere von den ihnen gebliebenen Hab¬
seligkeiten mitleidig reichten, empfing ich auch von dem Hausbesitzer, einem
Deutschen, eine Müllerjacke und eine Hose zum Geschenk.

Es mochten zwei oder drei Tage seit meiner Aufnahme in dieses Local
verflossen sein, als ein Offizier, welcher die hier liegenden, ebenfalls gefangenen
Militärs besuchte, unter anderem bemerkte, er habe Auftrag, die Weimaraner
und Coburger in den Kirchen und Spitälern zusammenzusuchen und in ein be¬
sonderes Haus bringen zu lassen. Es war eine vom Großfürsten Konstantin
ausgegangene, auf Minderung unseres Elendes abzweckende Anordnung. Befes¬
tigt, in Begleitung vou Druschinen (russischer Landwehr) die in verschiedenen
Kirchen und Spitäler liegenden Weimaraner und Coburger aufzusuchen, brachte
ich gegen 300 Mann, unter denen sich auch Gothaer und Hildburghäuser be¬
fanden, zusammen. Die in einer alten kaiserlichen Schmiede, welche zur Auf¬
bewahrung von altem Schmiedezeuge diente, befindliche" großen Säle mit zer¬
schlagenen Fenstern wurden uus zu unserem Aufenthalte angewiesen. Hier
wurden wir einige Tage mit Zukary (gedörrten Brode) und Wasser ernährt,
bald bekam ich aber auch die Anweisung, aus der Wohnung des Großfürsten
Konstantitt Bouillon zum stärkenden und labenden Genuß für die in der Schmiede
liegenden Unglücklichen abzuholen. Bei dieser Gelegenheit hatte ich dreimal
das Glück, unseren fürstlichen Wohlthäter zu sprechen. Mit herablassender Milde
und innigster Theilnahme erkundigte er sich nach unserem Zustande, und seine
herzgewinnende Ansprache machte einen so wohlthuenden Eindruck auf mein
Gemüth, daß ich bis an meinen letzten Lebenshauch allen denen entschieden
widersprechen werde, welche diesem Fürsten seiner rauh scheinenden Aeußerlich-
keit wegen alles Gefühl absprechen wollen.

Selbstverständlich konnten durch die Gaben, welche uns die großfürstliche
Milde reichte, nicht alle die Unglücklichen von: Untergange gerettet werden. Bei
vielen war durch die vorhergegangenen namenlosen Leiden die Lebenskraft zu
sehr zerrüttet, als daß sie wieder zu der gehörigen Frische und Stärke hätte
zurückgebracht werden können. Unerbittlich machte in unseren Räumen der Tod
seine furchtbaren Zurüstungen, der Opfer viele zu gewinnen. Anfangs hatten
Aerzte in der wohlmeinenden Absicht, uns Hilfe zu bringen, uns besucht. Bald
mochten sie aber die Ueberzeugung gefaßt haben, daß ihre Kunst gegen die weit
überlegene Macht des hier hausenden Todes nichts auszurichten vermöge; sie
kamen nicht mehr, sondern reichten mir nur die Medicin, die ich bei ihnen ab-


Grcnzbotcn III. 1380. 62

klopfte an, und ein mir bekannter Bedienter der Offiziere erkannte mich, obgleich
ich einem vagabundirenden, abgehungerten, zitternden und bebenden Bettler glich.
Nach dem Willen des Hauswirthes durfte die Thür nicht geöffnet werden. Der
Bediente zog mich daher durch ein Fenster hinein. Nächst dem Allernothwen-
digsten, was mir die hier befindlichen Offiziere von den ihnen gebliebenen Hab¬
seligkeiten mitleidig reichten, empfing ich auch von dem Hausbesitzer, einem
Deutschen, eine Müllerjacke und eine Hose zum Geschenk.

Es mochten zwei oder drei Tage seit meiner Aufnahme in dieses Local
verflossen sein, als ein Offizier, welcher die hier liegenden, ebenfalls gefangenen
Militärs besuchte, unter anderem bemerkte, er habe Auftrag, die Weimaraner
und Coburger in den Kirchen und Spitälern zusammenzusuchen und in ein be¬
sonderes Haus bringen zu lassen. Es war eine vom Großfürsten Konstantin
ausgegangene, auf Minderung unseres Elendes abzweckende Anordnung. Befes¬
tigt, in Begleitung vou Druschinen (russischer Landwehr) die in verschiedenen
Kirchen und Spitäler liegenden Weimaraner und Coburger aufzusuchen, brachte
ich gegen 300 Mann, unter denen sich auch Gothaer und Hildburghäuser be¬
fanden, zusammen. Die in einer alten kaiserlichen Schmiede, welche zur Auf¬
bewahrung von altem Schmiedezeuge diente, befindliche» großen Säle mit zer¬
schlagenen Fenstern wurden uus zu unserem Aufenthalte angewiesen. Hier
wurden wir einige Tage mit Zukary (gedörrten Brode) und Wasser ernährt,
bald bekam ich aber auch die Anweisung, aus der Wohnung des Großfürsten
Konstantitt Bouillon zum stärkenden und labenden Genuß für die in der Schmiede
liegenden Unglücklichen abzuholen. Bei dieser Gelegenheit hatte ich dreimal
das Glück, unseren fürstlichen Wohlthäter zu sprechen. Mit herablassender Milde
und innigster Theilnahme erkundigte er sich nach unserem Zustande, und seine
herzgewinnende Ansprache machte einen so wohlthuenden Eindruck auf mein
Gemüth, daß ich bis an meinen letzten Lebenshauch allen denen entschieden
widersprechen werde, welche diesem Fürsten seiner rauh scheinenden Aeußerlich-
keit wegen alles Gefühl absprechen wollen.

Selbstverständlich konnten durch die Gaben, welche uns die großfürstliche
Milde reichte, nicht alle die Unglücklichen von: Untergange gerettet werden. Bei
vielen war durch die vorhergegangenen namenlosen Leiden die Lebenskraft zu
sehr zerrüttet, als daß sie wieder zu der gehörigen Frische und Stärke hätte
zurückgebracht werden können. Unerbittlich machte in unseren Räumen der Tod
seine furchtbaren Zurüstungen, der Opfer viele zu gewinnen. Anfangs hatten
Aerzte in der wohlmeinenden Absicht, uns Hilfe zu bringen, uns besucht. Bald
mochten sie aber die Ueberzeugung gefaßt haben, daß ihre Kunst gegen die weit
überlegene Macht des hier hausenden Todes nichts auszurichten vermöge; sie
kamen nicht mehr, sondern reichten mir nur die Medicin, die ich bei ihnen ab-


Grcnzbotcn III. 1380. 62
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147500"/>
            <p xml:id="ID_1148" prev="#ID_1147"> klopfte an, und ein mir bekannter Bedienter der Offiziere erkannte mich, obgleich<lb/>
ich einem vagabundirenden, abgehungerten, zitternden und bebenden Bettler glich.<lb/>
Nach dem Willen des Hauswirthes durfte die Thür nicht geöffnet werden. Der<lb/>
Bediente zog mich daher durch ein Fenster hinein. Nächst dem Allernothwen-<lb/>
digsten, was mir die hier befindlichen Offiziere von den ihnen gebliebenen Hab¬<lb/>
seligkeiten mitleidig reichten, empfing ich auch von dem Hausbesitzer, einem<lb/>
Deutschen, eine Müllerjacke und eine Hose zum Geschenk.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1149"> Es mochten zwei oder drei Tage seit meiner Aufnahme in dieses Local<lb/>
verflossen sein, als ein Offizier, welcher die hier liegenden, ebenfalls gefangenen<lb/>
Militärs besuchte, unter anderem bemerkte, er habe Auftrag, die Weimaraner<lb/>
und Coburger in den Kirchen und Spitälern zusammenzusuchen und in ein be¬<lb/>
sonderes Haus bringen zu lassen. Es war eine vom Großfürsten Konstantin<lb/>
ausgegangene, auf Minderung unseres Elendes abzweckende Anordnung. Befes¬<lb/>
tigt, in Begleitung vou Druschinen (russischer Landwehr) die in verschiedenen<lb/>
Kirchen und Spitäler liegenden Weimaraner und Coburger aufzusuchen, brachte<lb/>
ich gegen 300 Mann, unter denen sich auch Gothaer und Hildburghäuser be¬<lb/>
fanden, zusammen. Die in einer alten kaiserlichen Schmiede, welche zur Auf¬<lb/>
bewahrung von altem Schmiedezeuge diente, befindliche» großen Säle mit zer¬<lb/>
schlagenen Fenstern wurden uus zu unserem Aufenthalte angewiesen. Hier<lb/>
wurden wir einige Tage mit Zukary (gedörrten Brode) und Wasser ernährt,<lb/>
bald bekam ich aber auch die Anweisung, aus der Wohnung des Großfürsten<lb/>
Konstantitt Bouillon zum stärkenden und labenden Genuß für die in der Schmiede<lb/>
liegenden Unglücklichen abzuholen. Bei dieser Gelegenheit hatte ich dreimal<lb/>
das Glück, unseren fürstlichen Wohlthäter zu sprechen. Mit herablassender Milde<lb/>
und innigster Theilnahme erkundigte er sich nach unserem Zustande, und seine<lb/>
herzgewinnende Ansprache machte einen so wohlthuenden Eindruck auf mein<lb/>
Gemüth, daß ich bis an meinen letzten Lebenshauch allen denen entschieden<lb/>
widersprechen werde, welche diesem Fürsten seiner rauh scheinenden Aeußerlich-<lb/>
keit wegen alles Gefühl absprechen wollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1150" next="#ID_1151"> Selbstverständlich konnten durch die Gaben, welche uns die großfürstliche<lb/>
Milde reichte, nicht alle die Unglücklichen von: Untergange gerettet werden. Bei<lb/>
vielen war durch die vorhergegangenen namenlosen Leiden die Lebenskraft zu<lb/>
sehr zerrüttet, als daß sie wieder zu der gehörigen Frische und Stärke hätte<lb/>
zurückgebracht werden können. Unerbittlich machte in unseren Räumen der Tod<lb/>
seine furchtbaren Zurüstungen, der Opfer viele zu gewinnen. Anfangs hatten<lb/>
Aerzte in der wohlmeinenden Absicht, uns Hilfe zu bringen, uns besucht. Bald<lb/>
mochten sie aber die Ueberzeugung gefaßt haben, daß ihre Kunst gegen die weit<lb/>
überlegene Macht des hier hausenden Todes nichts auszurichten vermöge; sie<lb/>
kamen nicht mehr, sondern reichten mir nur die Medicin, die ich bei ihnen ab-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbotcn III. 1380. 62</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] klopfte an, und ein mir bekannter Bedienter der Offiziere erkannte mich, obgleich ich einem vagabundirenden, abgehungerten, zitternden und bebenden Bettler glich. Nach dem Willen des Hauswirthes durfte die Thür nicht geöffnet werden. Der Bediente zog mich daher durch ein Fenster hinein. Nächst dem Allernothwen- digsten, was mir die hier befindlichen Offiziere von den ihnen gebliebenen Hab¬ seligkeiten mitleidig reichten, empfing ich auch von dem Hausbesitzer, einem Deutschen, eine Müllerjacke und eine Hose zum Geschenk. Es mochten zwei oder drei Tage seit meiner Aufnahme in dieses Local verflossen sein, als ein Offizier, welcher die hier liegenden, ebenfalls gefangenen Militärs besuchte, unter anderem bemerkte, er habe Auftrag, die Weimaraner und Coburger in den Kirchen und Spitälern zusammenzusuchen und in ein be¬ sonderes Haus bringen zu lassen. Es war eine vom Großfürsten Konstantin ausgegangene, auf Minderung unseres Elendes abzweckende Anordnung. Befes¬ tigt, in Begleitung vou Druschinen (russischer Landwehr) die in verschiedenen Kirchen und Spitäler liegenden Weimaraner und Coburger aufzusuchen, brachte ich gegen 300 Mann, unter denen sich auch Gothaer und Hildburghäuser be¬ fanden, zusammen. Die in einer alten kaiserlichen Schmiede, welche zur Auf¬ bewahrung von altem Schmiedezeuge diente, befindliche» großen Säle mit zer¬ schlagenen Fenstern wurden uus zu unserem Aufenthalte angewiesen. Hier wurden wir einige Tage mit Zukary (gedörrten Brode) und Wasser ernährt, bald bekam ich aber auch die Anweisung, aus der Wohnung des Großfürsten Konstantitt Bouillon zum stärkenden und labenden Genuß für die in der Schmiede liegenden Unglücklichen abzuholen. Bei dieser Gelegenheit hatte ich dreimal das Glück, unseren fürstlichen Wohlthäter zu sprechen. Mit herablassender Milde und innigster Theilnahme erkundigte er sich nach unserem Zustande, und seine herzgewinnende Ansprache machte einen so wohlthuenden Eindruck auf mein Gemüth, daß ich bis an meinen letzten Lebenshauch allen denen entschieden widersprechen werde, welche diesem Fürsten seiner rauh scheinenden Aeußerlich- keit wegen alles Gefühl absprechen wollen. Selbstverständlich konnten durch die Gaben, welche uns die großfürstliche Milde reichte, nicht alle die Unglücklichen von: Untergange gerettet werden. Bei vielen war durch die vorhergegangenen namenlosen Leiden die Lebenskraft zu sehr zerrüttet, als daß sie wieder zu der gehörigen Frische und Stärke hätte zurückgebracht werden können. Unerbittlich machte in unseren Räumen der Tod seine furchtbaren Zurüstungen, der Opfer viele zu gewinnen. Anfangs hatten Aerzte in der wohlmeinenden Absicht, uns Hilfe zu bringen, uns besucht. Bald mochten sie aber die Ueberzeugung gefaßt haben, daß ihre Kunst gegen die weit überlegene Macht des hier hausenden Todes nichts auszurichten vermöge; sie kamen nicht mehr, sondern reichten mir nur die Medicin, die ich bei ihnen ab- Grcnzbotcn III. 1380. 62

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/406>, abgerufen am 23.07.2024.