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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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ändern vermocht, und die neue Schule der Whigs scheint die Grundsätze det
alten aufgegeben zu haben und, statt Rußlands Manövern auf der Balkanhalb¬
insel entgegen zu arbeiten, sie in einem Sinne, der ein Gemisch Cobdenscher
Krämerweisheit, radicaler Völkerbeglückungstheorien, theologischer Velleitäten und
sentimentaler Erinnerungen an das Zeitalter Homers ist, unterstützen zu wollen.

Es ist nicht zweifelhaft, welche Meinung der "große Eltschi" dieser unklaren
Politik des jetzigen britischen Cabinets gegenüber vertreten würde, wenn er noch
eine Stimme hätte. Bis zu einen? gewissen Grade würde er sich für diese
Politik erklären. Seine Sympathien für die Griechen waren festgewurzelt und
nicht unberechtigt. Die Ereignisse, die dem Tage von Navarino folgten, thaten
ihnen, obwohl sie ihre Wärme abkühlen mußten, keinen sehr wesentlichen Ab¬
bruch. Lord Stratford de Redcliffes letzte Reden und Abhandlungen zum bes¬
seren Verständnisse der Politik des Tages zeigten deutlich, daß er an dem
Glauben festhielt, daß die Pforte von den europäischen Mächten bei ihren inneren
Reformen und nach außen hin unterstützt werden müsse. Er war der Meinung,
das Beste sür die Türken und die Griechen würde sein, wenn sie der gemein¬
samen Gefahr gegenüber, die ihnen vom Slaventhume drohte, sich durch gegen¬
seitige Nachgiebigkeit verständigten und gute Freunde und Bundesgenossen würden.
Er war endlich und vor allein der letzte, dem es in den Sinn gekommen wäre,
das große Interesse zu bezweifeln und in Abrede zu stellen, das England am
Ausgange der Frage wegen Konstantinopels hat.

"Keine schwächliche Empfindsamkeit," so rühmt ihm der "Daily Telegraph"
nach, "verdunkelte seinen Blick in Betreff des Princips, für das im Krimkriege
gekämpft wurde, und dessen Feststellung so viel Blut und Geld kostete, bis die
Hälfte des damit gewonnenen durch das Ausstreichen der Clauseln des Friedens,
welche das Schwarze Meer betrafen,*) verloren ging. Er begriff, daß die Feld¬
züge Rußlands in Mittelasien und seine angebliche Begeisterung für die christ¬
lichen Bevölkerungen in der Türkei alle auf die Absicht zurückzuführen waren, sich
des Bosporus zu bemächtigen, und dies setzte ihn ganz ebenso wenig in Erstaunen
wie den alten Fuad Pascha, der einmal äußerte: ,Würe ich der Kanzler der
Moskof, so würde ich die Welt niedergestürzt haben, um Stambul zu gewinnen/
Es ist wahr, Lord Stratford de Redcliffe hat die Dirken in seiner rauhen
Weise gezwungen, nach seinem Willen zu thun, aber er hat niemals, wo es in
seiner Macht lag, gestattet, daß der Vertreter einer anderen Macht desgleichen
that, und seine Derbheit als Botschafter hatte Wohlwollen gegen die Leute, die
er anfuhr, zur Wurzel und in ihrer kräftigen Weise wohlthätigen Erfolg. So



Diese Clauseln wurden bekanntlich unter dem früheren Ministerium Gladstone (1870)
auf Verlangen Rußlands beseitigt.

ändern vermocht, und die neue Schule der Whigs scheint die Grundsätze det
alten aufgegeben zu haben und, statt Rußlands Manövern auf der Balkanhalb¬
insel entgegen zu arbeiten, sie in einem Sinne, der ein Gemisch Cobdenscher
Krämerweisheit, radicaler Völkerbeglückungstheorien, theologischer Velleitäten und
sentimentaler Erinnerungen an das Zeitalter Homers ist, unterstützen zu wollen.

Es ist nicht zweifelhaft, welche Meinung der „große Eltschi" dieser unklaren
Politik des jetzigen britischen Cabinets gegenüber vertreten würde, wenn er noch
eine Stimme hätte. Bis zu einen? gewissen Grade würde er sich für diese
Politik erklären. Seine Sympathien für die Griechen waren festgewurzelt und
nicht unberechtigt. Die Ereignisse, die dem Tage von Navarino folgten, thaten
ihnen, obwohl sie ihre Wärme abkühlen mußten, keinen sehr wesentlichen Ab¬
bruch. Lord Stratford de Redcliffes letzte Reden und Abhandlungen zum bes¬
seren Verständnisse der Politik des Tages zeigten deutlich, daß er an dem
Glauben festhielt, daß die Pforte von den europäischen Mächten bei ihren inneren
Reformen und nach außen hin unterstützt werden müsse. Er war der Meinung,
das Beste sür die Türken und die Griechen würde sein, wenn sie der gemein¬
samen Gefahr gegenüber, die ihnen vom Slaventhume drohte, sich durch gegen¬
seitige Nachgiebigkeit verständigten und gute Freunde und Bundesgenossen würden.
Er war endlich und vor allein der letzte, dem es in den Sinn gekommen wäre,
das große Interesse zu bezweifeln und in Abrede zu stellen, das England am
Ausgange der Frage wegen Konstantinopels hat.

„Keine schwächliche Empfindsamkeit," so rühmt ihm der „Daily Telegraph"
nach, „verdunkelte seinen Blick in Betreff des Princips, für das im Krimkriege
gekämpft wurde, und dessen Feststellung so viel Blut und Geld kostete, bis die
Hälfte des damit gewonnenen durch das Ausstreichen der Clauseln des Friedens,
welche das Schwarze Meer betrafen,*) verloren ging. Er begriff, daß die Feld¬
züge Rußlands in Mittelasien und seine angebliche Begeisterung für die christ¬
lichen Bevölkerungen in der Türkei alle auf die Absicht zurückzuführen waren, sich
des Bosporus zu bemächtigen, und dies setzte ihn ganz ebenso wenig in Erstaunen
wie den alten Fuad Pascha, der einmal äußerte: ,Würe ich der Kanzler der
Moskof, so würde ich die Welt niedergestürzt haben, um Stambul zu gewinnen/
Es ist wahr, Lord Stratford de Redcliffe hat die Dirken in seiner rauhen
Weise gezwungen, nach seinem Willen zu thun, aber er hat niemals, wo es in
seiner Macht lag, gestattet, daß der Vertreter einer anderen Macht desgleichen
that, und seine Derbheit als Botschafter hatte Wohlwollen gegen die Leute, die
er anfuhr, zur Wurzel und in ihrer kräftigen Weise wohlthätigen Erfolg. So



Diese Clauseln wurden bekanntlich unter dem früheren Ministerium Gladstone (1870)
auf Verlangen Rußlands beseitigt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/399>, abgerufen am 23.07.2024.