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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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würde zu dem berühmten Scnlpturwecke seines grüßen Schülers Michel Angelo,
dem glänzenden Abschluß aller früheren Leistungen. Es ist dies ein Fresco
im Obergeschoß des Bargello. Maria, wie in den bisher besprochenen Dar¬
stellungen von durchaus matronalem Charakter, sitzt, von einem langen schwarzen
Obergewande umwallt, vor einer Mauer und blickt mit schmerzlicher Geberde
zu dem Leichnam des Sohnes hernieder, der, in derselben Profilirung wie in
Michel Angelos Gruppe, ihr auf dem, Schoße ruht, in seiner starren Haltung
freilich den Zustand des Todes zwar in charakteristischer, von der dort be¬
währten künstlerischen Freiheit aber noch weit entfernter Weise wiedergebend;
anch ist das Motiv des gekrümmten rechten Armes, der, ohne irgendwie gestützt
zu werden, mit der Hand den Oberschenkel berührt, unnatürlich, da der Arm
vielmehr, wie es in Michel Angelos Gruppe der Fall ist, lose herabhängen
müßte. Das Haupt des Todten stützt die rechte Hand der Madonna, während
sie die linke vor sich erhoben hat, ein Motiv, das unseres Wissens hier zum
ersten Male auftritt und möglicher Weise Michel Angelo als Vorbild diente,
bei dem es sich, allerdings in etwas abweichender Form, wiederfindet.

Fast genau dieselbe Composition, nur durch einige Figuren erweitert, zeigt
sich in einem anderen, ebenfalls dem Ghirlandajo zugeschriebenen Fresco, welches
in der Nähe der Porta S. Fredicmv zu Florenz in einer Ecke der Stadtmauer
angebracht ist, wohin es laut der darunter zu lesenden Inschrift, die es aus¬
drücklich als Werk des Domenico Ghirlandajo bezeichnet, unter Leopold II.
1856 aus dem alten Convento ti S. Guglielmo versetzt wurde. Die Gruppe
der Madonna und Christi entspricht, wie erwähnt, fast völlig derjenigen im
Bargello, nur daß der rechte Arm des Todten hier in natürlicher Weise herab¬
hängt. Links kniet Johannes, der ihm die rechte Schulter stützt, auf der an-
deren Seite Magdalena, die seine Beine umfaßt. Den Hintergrund der ziemlich
lebensgroßen Gruppe bildet eine reiche Landschaft, oben schweben drei Engel.
Die Gestalt der Madonna entspricht in Bezug aus Haltung und Function der
Hände, sowie hinsichtlich der ältlichen Gesichtszüge vollständig der Composition
im Bargello, auch die Lage des Leichnams im Allgemeinen; nur ist an dem
letzteren ein geringeres anatomisches Verständniß als dort wahrzunehmen; ferner
steht die strenge und unfreie Behandlung des Christuskopfes zu der edlen An¬
muth des Johannes in befremdenden Gegensatz, der in Verbindung mit dem
Umstände, daß die Aureolen bei Johannes und Magdalena perspectivisch, bei
den Hauptfiguren dagegen nach der älteren Weise, wie sie in den sicheren Werken
des Ghirlandajo nicht mehr vorkommt, nämlich kreisförmig gebildet sind, den
Gedanken an zwei verschiedene Hände nahe legt.

Ziemlich unabhängig von anderen Behandlungen des Gegenstandes verfährt
Signorelli in der Gruppirung der Figuren, sowohl in dem Fresco des


würde zu dem berühmten Scnlpturwecke seines grüßen Schülers Michel Angelo,
dem glänzenden Abschluß aller früheren Leistungen. Es ist dies ein Fresco
im Obergeschoß des Bargello. Maria, wie in den bisher besprochenen Dar¬
stellungen von durchaus matronalem Charakter, sitzt, von einem langen schwarzen
Obergewande umwallt, vor einer Mauer und blickt mit schmerzlicher Geberde
zu dem Leichnam des Sohnes hernieder, der, in derselben Profilirung wie in
Michel Angelos Gruppe, ihr auf dem, Schoße ruht, in seiner starren Haltung
freilich den Zustand des Todes zwar in charakteristischer, von der dort be¬
währten künstlerischen Freiheit aber noch weit entfernter Weise wiedergebend;
anch ist das Motiv des gekrümmten rechten Armes, der, ohne irgendwie gestützt
zu werden, mit der Hand den Oberschenkel berührt, unnatürlich, da der Arm
vielmehr, wie es in Michel Angelos Gruppe der Fall ist, lose herabhängen
müßte. Das Haupt des Todten stützt die rechte Hand der Madonna, während
sie die linke vor sich erhoben hat, ein Motiv, das unseres Wissens hier zum
ersten Male auftritt und möglicher Weise Michel Angelo als Vorbild diente,
bei dem es sich, allerdings in etwas abweichender Form, wiederfindet.

Fast genau dieselbe Composition, nur durch einige Figuren erweitert, zeigt
sich in einem anderen, ebenfalls dem Ghirlandajo zugeschriebenen Fresco, welches
in der Nähe der Porta S. Fredicmv zu Florenz in einer Ecke der Stadtmauer
angebracht ist, wohin es laut der darunter zu lesenden Inschrift, die es aus¬
drücklich als Werk des Domenico Ghirlandajo bezeichnet, unter Leopold II.
1856 aus dem alten Convento ti S. Guglielmo versetzt wurde. Die Gruppe
der Madonna und Christi entspricht, wie erwähnt, fast völlig derjenigen im
Bargello, nur daß der rechte Arm des Todten hier in natürlicher Weise herab¬
hängt. Links kniet Johannes, der ihm die rechte Schulter stützt, auf der an-
deren Seite Magdalena, die seine Beine umfaßt. Den Hintergrund der ziemlich
lebensgroßen Gruppe bildet eine reiche Landschaft, oben schweben drei Engel.
Die Gestalt der Madonna entspricht in Bezug aus Haltung und Function der
Hände, sowie hinsichtlich der ältlichen Gesichtszüge vollständig der Composition
im Bargello, auch die Lage des Leichnams im Allgemeinen; nur ist an dem
letzteren ein geringeres anatomisches Verständniß als dort wahrzunehmen; ferner
steht die strenge und unfreie Behandlung des Christuskopfes zu der edlen An¬
muth des Johannes in befremdenden Gegensatz, der in Verbindung mit dem
Umstände, daß die Aureolen bei Johannes und Magdalena perspectivisch, bei
den Hauptfiguren dagegen nach der älteren Weise, wie sie in den sicheren Werken
des Ghirlandajo nicht mehr vorkommt, nämlich kreisförmig gebildet sind, den
Gedanken an zwei verschiedene Hände nahe legt.

Ziemlich unabhängig von anderen Behandlungen des Gegenstandes verfährt
Signorelli in der Gruppirung der Figuren, sowohl in dem Fresco des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/36>, abgerufen am 25.08.2024.