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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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(Heilbronn, 1878). Anziehend, Herz und Gemüth bewegend sind die Erzäh¬
lungen über persönliche Beziehungen, namentlich die Berichte aus dem gemein¬
schaftlichen Familienleben. Jacob, der unverheirathet geblieben, theilt getreulich
die kleinen Sorgen nur Frau und Kind des in glücklichster Ehe mit ihnen zu-
smnmenwohnenden Bruders. An Meusebach werden nicht bloß die neu erschei¬
nenden Werke, theilweise in besonderen für den Bücherliebhaber eigenthümlich
hergestellten Exemplaren gesendet, sondern auch wichtigere Familienereignisse
werden ihm mitgetheilt. Gelehrte Anfragen, literarische Bitten gehen hin und
her. Meusebach läßt nach seiner Gewohnheit nicht ab, liebenswürdig zu necken
und scharf zu sticheln, stellt durch eingeklebte Zeitungsabschnitte "Klebebriefe"
Zusammen, bewahrt aber in allen Mittheilungen auch das Freundliche und Lieb¬
reiche seiner Natur mit dem ihn so gut kleidenden Humor. Er stiftet z. B.
einen "Fisch art-Orden" und ertheilt an Jacob Grimm die erste Classe.

Immer ist der briefliche Verkehr offen und herzlich. Am 15. März 182?
schreibt Jacob Grimm: "Bleiben Sie uus gut; Wilhelm verdient's gewiß, er ist
einer der liebevollsten Menschen, wenn er krank daliegt, verstehe ich das recht
und wenn er mir einmal stürbe, wüßte ich mir nicht zuhelfen. In meinen
Arbeiten habe ich wenig Hülfe von ihm, weil ich hitziger bin und ihm vorans-
llwfe, aber er steht mir wie ein heimlicher stärkender Hintergrund bei, den ich
nicht entbehren will." *) Als Jacob den 1826 erfolgten Tod des ersten Kindes
seines Bruders niedergeschlagen anzeigte, antwortete Meusebach mit wärmster,
herzinniglichster Theilnahme im Rückblick auf einen gleichen Verlust: "Die
Erinnerung an dieses so früh Heimgegangene Kind ist mir jetzt schon nicht mehr
bitter und schmerzlich, sondern erfüllt mich nur mit einer wahrhaft süßen Weh-
U'ues; und bey meiner Frau ist dieselbe Stimmung. Dank sey Gott, daß er uns,
wenn es auch kurz war, einer solchen Freude doch genießen ließ; Dank sey ihm,
daß er's wieder zu sich genommen. Es bleibt uns ja die Hoffnung, daß wir
die frühgebrochene Knospe gewiß ein Mahl in wärmeren Boden unter einem
wildern Himmel voll und frisch aufgeblühet wieder finden werden. Möge es
^buen, lieber armer Herr Wilhelm, so glücklich gehen wie mir, daß die Erinne¬
rung an das geliebte Kind Ihnen niemahls bittern Schmerz, sondern nur eine süße
Wehmuth gebe." Wilhelm fand an dieser herzlichen Theilnahme ebenso wie seine
vortreffliche Gattin, Dortchen, großen Trost (S. 70); seine nachfolgenden Briefe



*) Später hat er in der Widmung des dritten Theils der Grammatik (1831) "ach der
Genesung des Bruders von schwerer Krankheit herzliche und liebevolle Worte an ihn ge-
^stet: "Wenigstens wenn Du mich liesest, der Du meine ganze Art genau kennst, was sie
^"tes haben mag und was ihr gebricht, so ist mir das lieber, als wenn mich hundert
andere lesen, die mich hie und da nicht verstehen oder denen meine Arbeiten an vielen
Stellen gleichgültig sind. Du aber hast nicht nur der Sache sondern auch meinetwegen
gleichmäßigste unwandelbarste Theilnahme."
Grenzboten NI, 1880. 44

(Heilbronn, 1878). Anziehend, Herz und Gemüth bewegend sind die Erzäh¬
lungen über persönliche Beziehungen, namentlich die Berichte aus dem gemein¬
schaftlichen Familienleben. Jacob, der unverheirathet geblieben, theilt getreulich
die kleinen Sorgen nur Frau und Kind des in glücklichster Ehe mit ihnen zu-
smnmenwohnenden Bruders. An Meusebach werden nicht bloß die neu erschei¬
nenden Werke, theilweise in besonderen für den Bücherliebhaber eigenthümlich
hergestellten Exemplaren gesendet, sondern auch wichtigere Familienereignisse
werden ihm mitgetheilt. Gelehrte Anfragen, literarische Bitten gehen hin und
her. Meusebach läßt nach seiner Gewohnheit nicht ab, liebenswürdig zu necken
und scharf zu sticheln, stellt durch eingeklebte Zeitungsabschnitte „Klebebriefe"
Zusammen, bewahrt aber in allen Mittheilungen auch das Freundliche und Lieb¬
reiche seiner Natur mit dem ihn so gut kleidenden Humor. Er stiftet z. B.
einen „Fisch art-Orden" und ertheilt an Jacob Grimm die erste Classe.

Immer ist der briefliche Verkehr offen und herzlich. Am 15. März 182?
schreibt Jacob Grimm: „Bleiben Sie uus gut; Wilhelm verdient's gewiß, er ist
einer der liebevollsten Menschen, wenn er krank daliegt, verstehe ich das recht
und wenn er mir einmal stürbe, wüßte ich mir nicht zuhelfen. In meinen
Arbeiten habe ich wenig Hülfe von ihm, weil ich hitziger bin und ihm vorans-
llwfe, aber er steht mir wie ein heimlicher stärkender Hintergrund bei, den ich
nicht entbehren will." *) Als Jacob den 1826 erfolgten Tod des ersten Kindes
seines Bruders niedergeschlagen anzeigte, antwortete Meusebach mit wärmster,
herzinniglichster Theilnahme im Rückblick auf einen gleichen Verlust: „Die
Erinnerung an dieses so früh Heimgegangene Kind ist mir jetzt schon nicht mehr
bitter und schmerzlich, sondern erfüllt mich nur mit einer wahrhaft süßen Weh-
U'ues; und bey meiner Frau ist dieselbe Stimmung. Dank sey Gott, daß er uns,
wenn es auch kurz war, einer solchen Freude doch genießen ließ; Dank sey ihm,
daß er's wieder zu sich genommen. Es bleibt uns ja die Hoffnung, daß wir
die frühgebrochene Knospe gewiß ein Mahl in wärmeren Boden unter einem
wildern Himmel voll und frisch aufgeblühet wieder finden werden. Möge es
^buen, lieber armer Herr Wilhelm, so glücklich gehen wie mir, daß die Erinne¬
rung an das geliebte Kind Ihnen niemahls bittern Schmerz, sondern nur eine süße
Wehmuth gebe." Wilhelm fand an dieser herzlichen Theilnahme ebenso wie seine
vortreffliche Gattin, Dortchen, großen Trost (S. 70); seine nachfolgenden Briefe



*) Später hat er in der Widmung des dritten Theils der Grammatik (1831) »ach der
Genesung des Bruders von schwerer Krankheit herzliche und liebevolle Worte an ihn ge-
^stet: „Wenigstens wenn Du mich liesest, der Du meine ganze Art genau kennst, was sie
^«tes haben mag und was ihr gebricht, so ist mir das lieber, als wenn mich hundert
andere lesen, die mich hie und da nicht verstehen oder denen meine Arbeiten an vielen
Stellen gleichgültig sind. Du aber hast nicht nur der Sache sondern auch meinetwegen
gleichmäßigste unwandelbarste Theilnahme."
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[0342] (Heilbronn, 1878). Anziehend, Herz und Gemüth bewegend sind die Erzäh¬ lungen über persönliche Beziehungen, namentlich die Berichte aus dem gemein¬ schaftlichen Familienleben. Jacob, der unverheirathet geblieben, theilt getreulich die kleinen Sorgen nur Frau und Kind des in glücklichster Ehe mit ihnen zu- smnmenwohnenden Bruders. An Meusebach werden nicht bloß die neu erschei¬ nenden Werke, theilweise in besonderen für den Bücherliebhaber eigenthümlich hergestellten Exemplaren gesendet, sondern auch wichtigere Familienereignisse werden ihm mitgetheilt. Gelehrte Anfragen, literarische Bitten gehen hin und her. Meusebach läßt nach seiner Gewohnheit nicht ab, liebenswürdig zu necken und scharf zu sticheln, stellt durch eingeklebte Zeitungsabschnitte „Klebebriefe" Zusammen, bewahrt aber in allen Mittheilungen auch das Freundliche und Lieb¬ reiche seiner Natur mit dem ihn so gut kleidenden Humor. Er stiftet z. B. einen „Fisch art-Orden" und ertheilt an Jacob Grimm die erste Classe. Immer ist der briefliche Verkehr offen und herzlich. Am 15. März 182? schreibt Jacob Grimm: „Bleiben Sie uus gut; Wilhelm verdient's gewiß, er ist einer der liebevollsten Menschen, wenn er krank daliegt, verstehe ich das recht und wenn er mir einmal stürbe, wüßte ich mir nicht zuhelfen. In meinen Arbeiten habe ich wenig Hülfe von ihm, weil ich hitziger bin und ihm vorans- llwfe, aber er steht mir wie ein heimlicher stärkender Hintergrund bei, den ich nicht entbehren will." *) Als Jacob den 1826 erfolgten Tod des ersten Kindes seines Bruders niedergeschlagen anzeigte, antwortete Meusebach mit wärmster, herzinniglichster Theilnahme im Rückblick auf einen gleichen Verlust: „Die Erinnerung an dieses so früh Heimgegangene Kind ist mir jetzt schon nicht mehr bitter und schmerzlich, sondern erfüllt mich nur mit einer wahrhaft süßen Weh- U'ues; und bey meiner Frau ist dieselbe Stimmung. Dank sey Gott, daß er uns, wenn es auch kurz war, einer solchen Freude doch genießen ließ; Dank sey ihm, daß er's wieder zu sich genommen. Es bleibt uns ja die Hoffnung, daß wir die frühgebrochene Knospe gewiß ein Mahl in wärmeren Boden unter einem wildern Himmel voll und frisch aufgeblühet wieder finden werden. Möge es ^buen, lieber armer Herr Wilhelm, so glücklich gehen wie mir, daß die Erinne¬ rung an das geliebte Kind Ihnen niemahls bittern Schmerz, sondern nur eine süße Wehmuth gebe." Wilhelm fand an dieser herzlichen Theilnahme ebenso wie seine vortreffliche Gattin, Dortchen, großen Trost (S. 70); seine nachfolgenden Briefe *) Später hat er in der Widmung des dritten Theils der Grammatik (1831) »ach der Genesung des Bruders von schwerer Krankheit herzliche und liebevolle Worte an ihn ge- ^stet: „Wenigstens wenn Du mich liesest, der Du meine ganze Art genau kennst, was sie ^«tes haben mag und was ihr gebricht, so ist mir das lieber, als wenn mich hundert andere lesen, die mich hie und da nicht verstehen oder denen meine Arbeiten an vielen Stellen gleichgültig sind. Du aber hast nicht nur der Sache sondern auch meinetwegen gleichmäßigste unwandelbarste Theilnahme." Grenzboten NI, 1880. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/342>, abgerufen am 23.07.2024.