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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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des deutschen Gewerbfleißes, daß sie dort nicht die Auswahl finden, die ihnen
in anderen Ländern geboten wird. Daß dies so ist, hat seinen Grund in der
durch die Sonderstellung Hamburgs bedingten Geschäftslage. Die Freihafen-
stelluug erleichtert deu Verkehr mit ausländischen und erschwert denjenigen mit
inländischen Industrie-Artikeln. Die Reichsgesammtheit, welche dabei neben dein
Handwerk und der Industrie in den Hansestädten selbst der leidende Theil ist,
kaun diesem Zustande nicht ohne weiteres ein Ende machen, denn die Aufhebung
derselben hängt vom Willen der Hansestädte ab. Der Artikel 34 der Reichs¬
verfassung, der dies bestimmt, hat den damaligen Leiter der deutschen Handels¬
politik (Herrn Delbrück) zum Urheber. "Derselbe mußte in der Freihafeustel-
luug der bedeutendsten Scehandelsstädte eine Bürgschaft für die Ausdauer der
von ihm befolgten Freihandelstheorie sehen und wird es daher als beifalls¬
würdig hinzustellen verstanden haben, daß die bezügliche Bestimmung Aufnahme
fand. Es war dies damals auch eine ganz folgerichtige Annahme.... In dem
Augenblicke aber, in welchem das Reich den bisher anf dem Gebiete der Han¬
dels- und Wirthschaftspolitik verfolgten Weg verließ, und für die Reichspolitik
an die Stelle der bisher verfolgten Freihandelslehre eine proteetionistische Rich¬
tung trat, mußte sich auch die Handelspolitik der Seestädte ändern; denn es
schließt einen zu crasser Widerspruch in sich, wenn ein großes Land, welches
seine Bestrebungen auf nationale Handelspolitik gründet, mittelst der wirthschaft¬
lichen Verfassung seiner beiden einzigen großen Seehandelsstädte ganz entgegen¬
gesetzte Maximen verfolgt." Der Abgeordnete v. Bennigsen hatte ganz Recht,
als er vor einigen Monaten im Reichstage sagte: "Die Hansestädte können
sich anf die Dauer nicht mit den wirklichen Interessen des deutschen Reiches
in Widerspruch setzen, trotz des in Artikel 34 ihnen gewährten Sonderrechts."
Die Regierungen dieser Städte haben diese Nothwendigkeit einer veränderten
Politik nicht begriffen, sie haben den Eintritt in das Zollgebiet für unzweckmäßig
erklärt und beharren dabei. Man wird sie daher durch alle verfassungsmäßig
gestatteten Mittel überzeugen müsse", daß ihr Widerstand keine Aussicht auf
Erfolg hat. Es wäre aber besser gewesen, wenn die Hansestädte erklärt hätten,
sich dem großen Ganzen freiwillig anschließen zu wollen; denn sie hätten dann
Bedingungen stellen und Gehör für dieselben finden können.

Vielfach wird für das Beharren bei der Freihafenftellung angeführt, die bis¬
herige Zunahme von Handel und Verkehr in den Hansestädten sei eine Folge
derselben. Das ist unrichtig. Andere Seestädte, die nicht Freihafen sind, haben
weit mehr zugenommen. Namentlich gilt dies von Antwerpen. Der Tonnen-
gehalt der dort angekommenen Seeschiffe betrug in deu Jahren 1860 bis 1870
nicht mehr als 822 553, dagegen in dem einzigen Jahre 1879 2856140 Tonnen.
1863 betrug der gesammte Schiffsverkehr in Antwerpen 35 Procent weniger


des deutschen Gewerbfleißes, daß sie dort nicht die Auswahl finden, die ihnen
in anderen Ländern geboten wird. Daß dies so ist, hat seinen Grund in der
durch die Sonderstellung Hamburgs bedingten Geschäftslage. Die Freihafen-
stelluug erleichtert deu Verkehr mit ausländischen und erschwert denjenigen mit
inländischen Industrie-Artikeln. Die Reichsgesammtheit, welche dabei neben dein
Handwerk und der Industrie in den Hansestädten selbst der leidende Theil ist,
kaun diesem Zustande nicht ohne weiteres ein Ende machen, denn die Aufhebung
derselben hängt vom Willen der Hansestädte ab. Der Artikel 34 der Reichs¬
verfassung, der dies bestimmt, hat den damaligen Leiter der deutschen Handels¬
politik (Herrn Delbrück) zum Urheber. „Derselbe mußte in der Freihafeustel-
luug der bedeutendsten Scehandelsstädte eine Bürgschaft für die Ausdauer der
von ihm befolgten Freihandelstheorie sehen und wird es daher als beifalls¬
würdig hinzustellen verstanden haben, daß die bezügliche Bestimmung Aufnahme
fand. Es war dies damals auch eine ganz folgerichtige Annahme.... In dem
Augenblicke aber, in welchem das Reich den bisher anf dem Gebiete der Han¬
dels- und Wirthschaftspolitik verfolgten Weg verließ, und für die Reichspolitik
an die Stelle der bisher verfolgten Freihandelslehre eine proteetionistische Rich¬
tung trat, mußte sich auch die Handelspolitik der Seestädte ändern; denn es
schließt einen zu crasser Widerspruch in sich, wenn ein großes Land, welches
seine Bestrebungen auf nationale Handelspolitik gründet, mittelst der wirthschaft¬
lichen Verfassung seiner beiden einzigen großen Seehandelsstädte ganz entgegen¬
gesetzte Maximen verfolgt." Der Abgeordnete v. Bennigsen hatte ganz Recht,
als er vor einigen Monaten im Reichstage sagte: „Die Hansestädte können
sich anf die Dauer nicht mit den wirklichen Interessen des deutschen Reiches
in Widerspruch setzen, trotz des in Artikel 34 ihnen gewährten Sonderrechts."
Die Regierungen dieser Städte haben diese Nothwendigkeit einer veränderten
Politik nicht begriffen, sie haben den Eintritt in das Zollgebiet für unzweckmäßig
erklärt und beharren dabei. Man wird sie daher durch alle verfassungsmäßig
gestatteten Mittel überzeugen müsse», daß ihr Widerstand keine Aussicht auf
Erfolg hat. Es wäre aber besser gewesen, wenn die Hansestädte erklärt hätten,
sich dem großen Ganzen freiwillig anschließen zu wollen; denn sie hätten dann
Bedingungen stellen und Gehör für dieselben finden können.

Vielfach wird für das Beharren bei der Freihafenftellung angeführt, die bis¬
herige Zunahme von Handel und Verkehr in den Hansestädten sei eine Folge
derselben. Das ist unrichtig. Andere Seestädte, die nicht Freihafen sind, haben
weit mehr zugenommen. Namentlich gilt dies von Antwerpen. Der Tonnen-
gehalt der dort angekommenen Seeschiffe betrug in deu Jahren 1860 bis 1870
nicht mehr als 822 553, dagegen in dem einzigen Jahre 1879 2856140 Tonnen.
1863 betrug der gesammte Schiffsverkehr in Antwerpen 35 Procent weniger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/312>, abgerufen am 23.07.2024.