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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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daß je ohne Ordre habe gehandelt werden können. Auf die befremdete Frage
Kottwitzens


Bei Gott, mein Fürst und Herr, ich will nicht hoffen,
Daß dir die Ordre fremd?

antwortet er:


Nicht, nicht I versteh' mich --
Wer ist's, der dir die Ordre überbracht?

Maßvolle Verstandesüberlegenheit, echt brandenburgische Besonnenheit und stets
königlich formelle Haltung, das ist der Rahmen, in den die Figur des Kur¬
fürsten gefügt werden muß. Solche Feinheiten zur vollen Geltung zu bringen,
verstehen die Meininger. Wir haben das Stück sonst mit einem bramarbasiren-
den Kurfürsten gesehen, der als rauher, polternder Kriegsmann erschien, und bei
der obigen feinen Stelle lachte das Publikum -- und das Publikum hatte Recht.

Man hat ferner hie und da den Versbau getadelt, und es ist richtig,
daß Kleist ihn nicht überall mit Vollendung gehandhabt hat; auch dem ge¬
übten Sprecher bereitet er Schwierigkeiten. Aber ebenso wie sich bei Shakespeare
in den späteren Werken das oftmalige Verlassen und willkürliche Durchbrechen
des regelrechten Blankverses als ein bewußtes Kunstprincip ausspricht, so ist
auch bei Kleist, abgesehen von häufigen wirklichen Härten, manchmal die Form
des fünffüßigen Jambus dem innerlichen, wahren Rhythmus des Gedankens
geopfert, was sich allerdings nur dem tieferen Verständnisse seiner Werke offen¬
bart und daher von den Schauspielern, besonders solchen, welche (wie über
erleuchtete Kürbisse) über die einzelnen Jamben im Takte zu springen gewohnt
sind, als ein störender Mangel empfunden wird. Nicht unberechtigt dagegen
ist die Klage der Regisseure über den bemerkenswerthen Mangel des eigentlich
Theatralischen bei Kleist; man braucht nur an Schiller zu denken, um dies
sofort bestätigt zu finden. Dieser Mangel des Theatralischen, die durchsichtige
Handlung im "Prinzen von Homburg", welche die Spannung beeinträchtigt, die
Vermeidung großer durchschlagender Effekte, die breite epische Behandlung der
ersten Scene und der Begebenheiten, welche sich um die eigentliche, das Stück
bewegende Handlung, die Gesetzesüberschreitung des Prinzen, gruppiren, die nicht
eigentlich dramatische (aber hier besonders poetische) Situationsmalerei der nur
sehr lose mit der Hauptverhandlung verknüpften Episode in der Bauernhütte,
der vermeintliche Tod des Kurfürsten ^- das alles sind Dinge, die zum Theil
den Anspruch erheben dürfen, für ein feingestimmtes Verständniß als Vorzüge
und hohe Schönheiten zu gelten, zum Theil durch eine geschickte Regie durch
Beschränkung oder Erweiterung gemildert oder in ihrer Wirkung erhöht werden
können, zum Theil sind es aber doch auch Dinge -- und wir betrachten hier¬
bei alle berührten Punkte in ihrer Gesammtheit --, welche die Theaterwirkung
des Stückes stets beeinträchtigen werden.


daß je ohne Ordre habe gehandelt werden können. Auf die befremdete Frage
Kottwitzens


Bei Gott, mein Fürst und Herr, ich will nicht hoffen,
Daß dir die Ordre fremd?

antwortet er:


Nicht, nicht I versteh' mich —
Wer ist's, der dir die Ordre überbracht?

Maßvolle Verstandesüberlegenheit, echt brandenburgische Besonnenheit und stets
königlich formelle Haltung, das ist der Rahmen, in den die Figur des Kur¬
fürsten gefügt werden muß. Solche Feinheiten zur vollen Geltung zu bringen,
verstehen die Meininger. Wir haben das Stück sonst mit einem bramarbasiren-
den Kurfürsten gesehen, der als rauher, polternder Kriegsmann erschien, und bei
der obigen feinen Stelle lachte das Publikum — und das Publikum hatte Recht.

Man hat ferner hie und da den Versbau getadelt, und es ist richtig,
daß Kleist ihn nicht überall mit Vollendung gehandhabt hat; auch dem ge¬
übten Sprecher bereitet er Schwierigkeiten. Aber ebenso wie sich bei Shakespeare
in den späteren Werken das oftmalige Verlassen und willkürliche Durchbrechen
des regelrechten Blankverses als ein bewußtes Kunstprincip ausspricht, so ist
auch bei Kleist, abgesehen von häufigen wirklichen Härten, manchmal die Form
des fünffüßigen Jambus dem innerlichen, wahren Rhythmus des Gedankens
geopfert, was sich allerdings nur dem tieferen Verständnisse seiner Werke offen¬
bart und daher von den Schauspielern, besonders solchen, welche (wie über
erleuchtete Kürbisse) über die einzelnen Jamben im Takte zu springen gewohnt
sind, als ein störender Mangel empfunden wird. Nicht unberechtigt dagegen
ist die Klage der Regisseure über den bemerkenswerthen Mangel des eigentlich
Theatralischen bei Kleist; man braucht nur an Schiller zu denken, um dies
sofort bestätigt zu finden. Dieser Mangel des Theatralischen, die durchsichtige
Handlung im „Prinzen von Homburg", welche die Spannung beeinträchtigt, die
Vermeidung großer durchschlagender Effekte, die breite epische Behandlung der
ersten Scene und der Begebenheiten, welche sich um die eigentliche, das Stück
bewegende Handlung, die Gesetzesüberschreitung des Prinzen, gruppiren, die nicht
eigentlich dramatische (aber hier besonders poetische) Situationsmalerei der nur
sehr lose mit der Hauptverhandlung verknüpften Episode in der Bauernhütte,
der vermeintliche Tod des Kurfürsten ^- das alles sind Dinge, die zum Theil
den Anspruch erheben dürfen, für ein feingestimmtes Verständniß als Vorzüge
und hohe Schönheiten zu gelten, zum Theil durch eine geschickte Regie durch
Beschränkung oder Erweiterung gemildert oder in ihrer Wirkung erhöht werden
können, zum Theil sind es aber doch auch Dinge — und wir betrachten hier¬
bei alle berührten Punkte in ihrer Gesammtheit —, welche die Theaterwirkung
des Stückes stets beeinträchtigen werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/295>, abgerufen am 03.07.2024.