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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Material, dessen Monotonie den Zuschauer vor der Zeit ermüdet. Jeder Leser
wird sich über diesen Vorwurf wundern. Er trifft auch nicht den Dichter, sondern
die Regie. Gerade Kleist verlangt eine sorgfältige Jnseenirung. Die Schlacht¬
scene, obschon von dem Dichter, der darin zu Hause war, aufs genaueste in-
struirt, sahen wir zweimal auf Provinzialbühnen ohne alle Regieeffecte, ja ohne
jede Befolgung der vom Dichter gegebenen Winke und Vorschriften spielen.
Das heißt allerdings der Phantasie im Theater zu viel zumuthen, und man kann
sich leicht vorstellen, welchen mageren Eindruck die nur in engster Verbindung mit der
Comparserie gedachten Worte der Reiter unter Kottwitz in der Schlachtscene ohne
diese natürliche Verbindung machen mußten. Ohne eine wirksame Regie bleibt
diese, der Wirklichkeit mehr als jede andere abgelauschte Scene eine undankbare,
eben weil ihr aller Schein der Wirklichkeit fehlt. Die Meininger, die fo man¬
ches können, was andere nicht können, bringen auch das fertig, eben weil sie
die lebendige Wahrheit bringen, ja sie erheben diese Scene zu einem ihrer höchsten
realistischen Glanz- und Effectpunkte. Was das soldatische betrifft, so ist uus
allerdings mehreremal aufgefallen -- und dies liegt zum Theil an der Knapp¬
heit des Dichters an der betreffenden Stelle --, daß das Verhältniß der Prin¬
zessin Natalie als Chef des Dragonerregiments Kottwitz zu der Ordre, welche
das Regiment aus Arnstein uach Fehrbellin beruft, vom Publikum meistens
nicht sogleich verstanden wird. Die Prinzessin beruft Kottwitz in ihrer Eigen¬
schaft als Chef des Regiments jedoch in der Form, daß sie schreibt, "im Auf¬
trag des Kurfürsten". Der Dichter läßt es wiederum zweifelhaft, ob die Prin-
zessin wirklich einen solchen Auftrag hatte oder nicht. Diese Stelle (Unterredung
Nataliens mit dem Grafen Reuß) und die sich daran knüpfende Entwicklung,
daß nun dem Kurfürsten durch die Freunde des Prinzen insinuirt wird, die
Vollstreckung des Todesurtheils könne eine Rebellion hervorrufen, -da das Regi¬
ment sogar aus Arnstein angekommen sei, wird oft nicht verstanden, und die
Entwicklung bleibt unklar, weil nicht motivirt. Und doch wie wunderbar fein
sind gerade hier die kleinen Züge für die formelle Haltung, für die Selbstbe¬
herrschung des Kurfürsten, welche sich selbst in der Gefahr noch bis auf die
Etiquette erstreckt! Bei den Worten des Feldmarschalls: "Rebellion, mein Kur¬
fürst!" antwortet er, mit Ankleiden beschäftigt:


Ruhig, ruhig!
Es ist verhaßt mir, wie dir wohl bekannt,
In mein Gemach zu treten ungcmeldet.

Und als er erfährt, daß Kottwitz auf Ordre von Natalien erschienen ist, also
eine Insubordination nicht vorliegt, vermeidet er es, offenbar gerade im Inter¬
esse der Subordination, zuzugestehen, daß er überhaupt nur daran gedacht habe,


Grenzboten III. 1880. S8

Material, dessen Monotonie den Zuschauer vor der Zeit ermüdet. Jeder Leser
wird sich über diesen Vorwurf wundern. Er trifft auch nicht den Dichter, sondern
die Regie. Gerade Kleist verlangt eine sorgfältige Jnseenirung. Die Schlacht¬
scene, obschon von dem Dichter, der darin zu Hause war, aufs genaueste in-
struirt, sahen wir zweimal auf Provinzialbühnen ohne alle Regieeffecte, ja ohne
jede Befolgung der vom Dichter gegebenen Winke und Vorschriften spielen.
Das heißt allerdings der Phantasie im Theater zu viel zumuthen, und man kann
sich leicht vorstellen, welchen mageren Eindruck die nur in engster Verbindung mit der
Comparserie gedachten Worte der Reiter unter Kottwitz in der Schlachtscene ohne
diese natürliche Verbindung machen mußten. Ohne eine wirksame Regie bleibt
diese, der Wirklichkeit mehr als jede andere abgelauschte Scene eine undankbare,
eben weil ihr aller Schein der Wirklichkeit fehlt. Die Meininger, die fo man¬
ches können, was andere nicht können, bringen auch das fertig, eben weil sie
die lebendige Wahrheit bringen, ja sie erheben diese Scene zu einem ihrer höchsten
realistischen Glanz- und Effectpunkte. Was das soldatische betrifft, so ist uus
allerdings mehreremal aufgefallen — und dies liegt zum Theil an der Knapp¬
heit des Dichters an der betreffenden Stelle —, daß das Verhältniß der Prin¬
zessin Natalie als Chef des Dragonerregiments Kottwitz zu der Ordre, welche
das Regiment aus Arnstein uach Fehrbellin beruft, vom Publikum meistens
nicht sogleich verstanden wird. Die Prinzessin beruft Kottwitz in ihrer Eigen¬
schaft als Chef des Regiments jedoch in der Form, daß sie schreibt, „im Auf¬
trag des Kurfürsten". Der Dichter läßt es wiederum zweifelhaft, ob die Prin-
zessin wirklich einen solchen Auftrag hatte oder nicht. Diese Stelle (Unterredung
Nataliens mit dem Grafen Reuß) und die sich daran knüpfende Entwicklung,
daß nun dem Kurfürsten durch die Freunde des Prinzen insinuirt wird, die
Vollstreckung des Todesurtheils könne eine Rebellion hervorrufen, -da das Regi¬
ment sogar aus Arnstein angekommen sei, wird oft nicht verstanden, und die
Entwicklung bleibt unklar, weil nicht motivirt. Und doch wie wunderbar fein
sind gerade hier die kleinen Züge für die formelle Haltung, für die Selbstbe¬
herrschung des Kurfürsten, welche sich selbst in der Gefahr noch bis auf die
Etiquette erstreckt! Bei den Worten des Feldmarschalls: „Rebellion, mein Kur¬
fürst!" antwortet er, mit Ankleiden beschäftigt:


Ruhig, ruhig!
Es ist verhaßt mir, wie dir wohl bekannt,
In mein Gemach zu treten ungcmeldet.

Und als er erfährt, daß Kottwitz auf Ordre von Natalien erschienen ist, also
eine Insubordination nicht vorliegt, vermeidet er es, offenbar gerade im Inter¬
esse der Subordination, zuzugestehen, daß er überhaupt nur daran gedacht habe,


Grenzboten III. 1880. S8
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[0294] Material, dessen Monotonie den Zuschauer vor der Zeit ermüdet. Jeder Leser wird sich über diesen Vorwurf wundern. Er trifft auch nicht den Dichter, sondern die Regie. Gerade Kleist verlangt eine sorgfältige Jnseenirung. Die Schlacht¬ scene, obschon von dem Dichter, der darin zu Hause war, aufs genaueste in- struirt, sahen wir zweimal auf Provinzialbühnen ohne alle Regieeffecte, ja ohne jede Befolgung der vom Dichter gegebenen Winke und Vorschriften spielen. Das heißt allerdings der Phantasie im Theater zu viel zumuthen, und man kann sich leicht vorstellen, welchen mageren Eindruck die nur in engster Verbindung mit der Comparserie gedachten Worte der Reiter unter Kottwitz in der Schlachtscene ohne diese natürliche Verbindung machen mußten. Ohne eine wirksame Regie bleibt diese, der Wirklichkeit mehr als jede andere abgelauschte Scene eine undankbare, eben weil ihr aller Schein der Wirklichkeit fehlt. Die Meininger, die fo man¬ ches können, was andere nicht können, bringen auch das fertig, eben weil sie die lebendige Wahrheit bringen, ja sie erheben diese Scene zu einem ihrer höchsten realistischen Glanz- und Effectpunkte. Was das soldatische betrifft, so ist uus allerdings mehreremal aufgefallen — und dies liegt zum Theil an der Knapp¬ heit des Dichters an der betreffenden Stelle —, daß das Verhältniß der Prin¬ zessin Natalie als Chef des Dragonerregiments Kottwitz zu der Ordre, welche das Regiment aus Arnstein uach Fehrbellin beruft, vom Publikum meistens nicht sogleich verstanden wird. Die Prinzessin beruft Kottwitz in ihrer Eigen¬ schaft als Chef des Regiments jedoch in der Form, daß sie schreibt, „im Auf¬ trag des Kurfürsten". Der Dichter läßt es wiederum zweifelhaft, ob die Prin- zessin wirklich einen solchen Auftrag hatte oder nicht. Diese Stelle (Unterredung Nataliens mit dem Grafen Reuß) und die sich daran knüpfende Entwicklung, daß nun dem Kurfürsten durch die Freunde des Prinzen insinuirt wird, die Vollstreckung des Todesurtheils könne eine Rebellion hervorrufen, -da das Regi¬ ment sogar aus Arnstein angekommen sei, wird oft nicht verstanden, und die Entwicklung bleibt unklar, weil nicht motivirt. Und doch wie wunderbar fein sind gerade hier die kleinen Züge für die formelle Haltung, für die Selbstbe¬ herrschung des Kurfürsten, welche sich selbst in der Gefahr noch bis auf die Etiquette erstreckt! Bei den Worten des Feldmarschalls: „Rebellion, mein Kur¬ fürst!" antwortet er, mit Ankleiden beschäftigt: Ruhig, ruhig! Es ist verhaßt mir, wie dir wohl bekannt, In mein Gemach zu treten ungcmeldet. Und als er erfährt, daß Kottwitz auf Ordre von Natalien erschienen ist, also eine Insubordination nicht vorliegt, vermeidet er es, offenbar gerade im Inter¬ esse der Subordination, zuzugestehen, daß er überhaupt nur daran gedacht habe, Grenzboten III. 1880. S8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/294>, abgerufen am 03.07.2024.