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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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und Halbgott auf dem Kothurn durch das Leben schreitet, und Todesfurcht in
ihrer ganzen Gräßlichkeit in der Person des Helden auf die Bühne zu bringen
widerstreitet allen ihren pathetischen Traditionen; aber Kleist, der es immer
liebte, auch das Ungeheure und Gräßliche nicht zu verhüllen, hat hier, durch sein
tiefes Eindringen in das Innerste des menschlichen Gefühls, als echter Dichter
gehandelt, ohne uns durch Fingerzeige und Reflexionen deu innerlichen Zusammen¬
hang zu erklären. "Diese Scene ist wahrhaft erschütternd, denn wir beweinen
in ihr das Loos der Menschheit selbst", sagt der größte Kritiker nach Lessing,
Ludwig Tieck.

Mit dem feingeistiger Vermögen des echten Dichters hat A. Wilbrandt
aus den Werken Kleists die subjektiven und dramatischen Elemente zu scheiden
und aus ersteren die räthselhafte Persönlichkeit des Dichters zu erklären ver¬
sucht, und uach unserer Ansicht ist der Mensch und der Dichter Kleist uicht
cougeuialer angeschaut worden als von Wilbrandt. Auch im "Prinzen von
Homburg" hat der Dichter dem Helden etwas von seinem eignen Herzblut bei¬
gemischt. In dem Prager Aufsatze Kleist's: "Was gilt es in diesem Kriege?"
findet sich die Frage, ob es "den Ruhm: eines jungen und unternehmenden
Fürsten gelte, der in dem Duft einer lieblichen Sommernacht von Lorbeeren
geträumt hat?" Aber auch der einsame, verschlossene Träumer, der von seinen
Zukunftshoffnuugen berauschte Dichter, welcher Goethen "den Kranz vom Haupte
reißen" wollte, der mit seinem Schicksal hadernde ("die Hölle gab mir meine
halben Talente, der Himmel schenkt dem Menschen ein ganzes oder gar keins"),
der gleich im ersten Sturmlauf den vollen Kranz erringen wollte, dann der
dumpf verzweifelnde, der in Paris die Frucht seines höchsten Ehrgeizes, den
"Robert Guiscard", in maßloser Selbstüberschätzung und thörichtem Wüthen
gegen sich selbst verbrannte, der halb Wahnsinnige, der, mit dem Gedanken
der Selbstvernichtung, zwischen Todesfurcht und überspannter Selbstaufopfe¬
rung schwankend, spielte, der bis ins innerste Lebensmark getroffene, der in allen
seinen hochfliegenden Plänen, in all seinen Hoffnungen geknickte, der von physischer
und seelischer Krankheit niedergeworfene, dann der langsam genesende, der
"stiller geworden" als Diätar in Königsberg arbeitete, dort den "Kohlhaas",
den "Zerbrochenen Krug", die "Penthesilea" vollendete, endlich der zur Erhebung,
zur Versöhnung und zur Harmonie mit sich und der Welt gekommene mit
dem stille" bleichen Antlitze der Entsagung, aber zugleich mit dem heiteren Blicke
siegreich gesunder Selbsterkenntniß -- hat dieser ganze Entwicklungsgang des
Dichters uicht eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Helden unseres Dramas?
Sind nicht die Worte des Obristen Kottwitz


Es ist der Stümper Sache, nicht die deine,
Des Schicksals höchsten Kranz erringen wollen

und Halbgott auf dem Kothurn durch das Leben schreitet, und Todesfurcht in
ihrer ganzen Gräßlichkeit in der Person des Helden auf die Bühne zu bringen
widerstreitet allen ihren pathetischen Traditionen; aber Kleist, der es immer
liebte, auch das Ungeheure und Gräßliche nicht zu verhüllen, hat hier, durch sein
tiefes Eindringen in das Innerste des menschlichen Gefühls, als echter Dichter
gehandelt, ohne uns durch Fingerzeige und Reflexionen deu innerlichen Zusammen¬
hang zu erklären. „Diese Scene ist wahrhaft erschütternd, denn wir beweinen
in ihr das Loos der Menschheit selbst", sagt der größte Kritiker nach Lessing,
Ludwig Tieck.

Mit dem feingeistiger Vermögen des echten Dichters hat A. Wilbrandt
aus den Werken Kleists die subjektiven und dramatischen Elemente zu scheiden
und aus ersteren die räthselhafte Persönlichkeit des Dichters zu erklären ver¬
sucht, und uach unserer Ansicht ist der Mensch und der Dichter Kleist uicht
cougeuialer angeschaut worden als von Wilbrandt. Auch im „Prinzen von
Homburg" hat der Dichter dem Helden etwas von seinem eignen Herzblut bei¬
gemischt. In dem Prager Aufsatze Kleist's: „Was gilt es in diesem Kriege?"
findet sich die Frage, ob es „den Ruhm: eines jungen und unternehmenden
Fürsten gelte, der in dem Duft einer lieblichen Sommernacht von Lorbeeren
geträumt hat?" Aber auch der einsame, verschlossene Träumer, der von seinen
Zukunftshoffnuugen berauschte Dichter, welcher Goethen „den Kranz vom Haupte
reißen" wollte, der mit seinem Schicksal hadernde („die Hölle gab mir meine
halben Talente, der Himmel schenkt dem Menschen ein ganzes oder gar keins"),
der gleich im ersten Sturmlauf den vollen Kranz erringen wollte, dann der
dumpf verzweifelnde, der in Paris die Frucht seines höchsten Ehrgeizes, den
„Robert Guiscard", in maßloser Selbstüberschätzung und thörichtem Wüthen
gegen sich selbst verbrannte, der halb Wahnsinnige, der, mit dem Gedanken
der Selbstvernichtung, zwischen Todesfurcht und überspannter Selbstaufopfe¬
rung schwankend, spielte, der bis ins innerste Lebensmark getroffene, der in allen
seinen hochfliegenden Plänen, in all seinen Hoffnungen geknickte, der von physischer
und seelischer Krankheit niedergeworfene, dann der langsam genesende, der
«stiller geworden" als Diätar in Königsberg arbeitete, dort den „Kohlhaas",
den „Zerbrochenen Krug", die „Penthesilea" vollendete, endlich der zur Erhebung,
zur Versöhnung und zur Harmonie mit sich und der Welt gekommene mit
dem stille» bleichen Antlitze der Entsagung, aber zugleich mit dem heiteren Blicke
siegreich gesunder Selbsterkenntniß — hat dieser ganze Entwicklungsgang des
Dichters uicht eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Helden unseres Dramas?
Sind nicht die Worte des Obristen Kottwitz


Es ist der Stümper Sache, nicht die deine,
Des Schicksals höchsten Kranz erringen wollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/292>, abgerufen am 23.07.2024.