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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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der Große Kurfürst nach der Schlacht bei Fehrbellin geäußert habe, man könne
nach der Strenge der Gesetze den Prinzen von Homburg vor ein Kriegsgericht
stellen, doch sei es ferne von ihm, diese Strenge gegen einen Mann, der so
tapfer zum Siege mitgewirkt, in Anwendung zu bringen. Diese Notiz spann
der Dichter sich aus, wie wenn der Kurfürst wirklich das Kriegsgericht hätte
sprechen lassen, und dieses wirklich auf Tod erkannt hätte. Die wichtige Frage,
was Subordination sei, und ob sie im einzelnen Falle nicht verletzt werden
dürfe, wird vor uns in Form eines großen dramatischen Processes entwickelt.
Alles wird in den mannigfaltigen Situationen, durch das verletzte Gefühl des
Prinzen, durch die Umstände, durch die Freunde des Verurtheilten auf eine
würdige Art ausgesprochen und immer dnrch den großgezeichneten Charakter
des Kurfürsten mit wenigen Worten zur Ruhe verwiesen. Der Prinz selbst
erkennt nach einer großen Erschütterung sein Unrecht, er weiht sich freiwillig
dem Vaterlande und dem verletzten Recht als Sühne, und die freie Begnadigung
des väterlichen Fürsten, die dieser sich weder dnrch Drohung noch Ueberraschung
ablisten läßt, beruhigt und erhebt das Gefühl.

Der Prinz von Homburg träumt nachtwandelnd die kühnsten Träume des
Ehrgeizes, denen sich die Wirklichkeit auf eine für ihn verhängnißvolle Art ver¬
flicht. Der Kurfürst, seine Gemahlin und des Prinzen nachmalige Braut, Prin¬
zessin Natalie betreffen ihn dabei, und er entreißt der letzteren einen Handschuh,
erwacht aber erst aus seinem Schlafe, den Handschuh wirklich in der Hand
haltend, als die Herrschaften sich schon wieder zurückgezogen haben. Dieser
handgreifliche wirkliche Zusammenhang mit seinem räthselhaften Traume wirft
ihn in eine solche Bestürzung, daß er am folgenden Morgen Schlachtplan und
Ordre überhört und in der Schlacht siegestrunken seine Reiter gegen den aus¬
drücklichen Befehl in den Kampf reißt. Er erkämpft einen glänzenden Sieg,
aber der Kurfürst, so heißt es, ist gefallen. Mitten in dem Schmerz über den
unersetzlichen Verlust drängt sich dem Träumer das Gefühl seiner hohen Be¬
stimmung desto berauschender auf; er ist es nun, der des Oheims großes
Werk vollenden, die Fürstin trösten, Land und Heer erretten wird, und so
schließt er die verwaiste Prinzessin Natalie, deren Herz er gewonnen, tröstend
und beseligt an seine Brust. Indessen, die Todesnachricht war falsch, der Kur¬
fürst lebt, und sein Erstes nach dem feierlichen Dankgebete für den großen Sieg
ist, den ungehorsamen Führer der Reiter vor ein Kriegsgericht zu stellen auf
Leben und Tod. Das ist zu viel für den stolzen Träumer; er versteht den
Fürsten und die Welt nicht mehr. Ihn, den Helden, des Todes würdig zu
finden? Es ist ihm unfaßbar, und fortwährend von feiner Verblendung oder,
wenn man so will, von seinem Traume befangen, erwartet er jeden Augenblick
das Wort der Befreiung zu hören, ja er erwartet, daß sich darum vielleicht


der Große Kurfürst nach der Schlacht bei Fehrbellin geäußert habe, man könne
nach der Strenge der Gesetze den Prinzen von Homburg vor ein Kriegsgericht
stellen, doch sei es ferne von ihm, diese Strenge gegen einen Mann, der so
tapfer zum Siege mitgewirkt, in Anwendung zu bringen. Diese Notiz spann
der Dichter sich aus, wie wenn der Kurfürst wirklich das Kriegsgericht hätte
sprechen lassen, und dieses wirklich auf Tod erkannt hätte. Die wichtige Frage,
was Subordination sei, und ob sie im einzelnen Falle nicht verletzt werden
dürfe, wird vor uns in Form eines großen dramatischen Processes entwickelt.
Alles wird in den mannigfaltigen Situationen, durch das verletzte Gefühl des
Prinzen, durch die Umstände, durch die Freunde des Verurtheilten auf eine
würdige Art ausgesprochen und immer dnrch den großgezeichneten Charakter
des Kurfürsten mit wenigen Worten zur Ruhe verwiesen. Der Prinz selbst
erkennt nach einer großen Erschütterung sein Unrecht, er weiht sich freiwillig
dem Vaterlande und dem verletzten Recht als Sühne, und die freie Begnadigung
des väterlichen Fürsten, die dieser sich weder dnrch Drohung noch Ueberraschung
ablisten läßt, beruhigt und erhebt das Gefühl.

Der Prinz von Homburg träumt nachtwandelnd die kühnsten Träume des
Ehrgeizes, denen sich die Wirklichkeit auf eine für ihn verhängnißvolle Art ver¬
flicht. Der Kurfürst, seine Gemahlin und des Prinzen nachmalige Braut, Prin¬
zessin Natalie betreffen ihn dabei, und er entreißt der letzteren einen Handschuh,
erwacht aber erst aus seinem Schlafe, den Handschuh wirklich in der Hand
haltend, als die Herrschaften sich schon wieder zurückgezogen haben. Dieser
handgreifliche wirkliche Zusammenhang mit seinem räthselhaften Traume wirft
ihn in eine solche Bestürzung, daß er am folgenden Morgen Schlachtplan und
Ordre überhört und in der Schlacht siegestrunken seine Reiter gegen den aus¬
drücklichen Befehl in den Kampf reißt. Er erkämpft einen glänzenden Sieg,
aber der Kurfürst, so heißt es, ist gefallen. Mitten in dem Schmerz über den
unersetzlichen Verlust drängt sich dem Träumer das Gefühl seiner hohen Be¬
stimmung desto berauschender auf; er ist es nun, der des Oheims großes
Werk vollenden, die Fürstin trösten, Land und Heer erretten wird, und so
schließt er die verwaiste Prinzessin Natalie, deren Herz er gewonnen, tröstend
und beseligt an seine Brust. Indessen, die Todesnachricht war falsch, der Kur¬
fürst lebt, und sein Erstes nach dem feierlichen Dankgebete für den großen Sieg
ist, den ungehorsamen Führer der Reiter vor ein Kriegsgericht zu stellen auf
Leben und Tod. Das ist zu viel für den stolzen Träumer; er versteht den
Fürsten und die Welt nicht mehr. Ihn, den Helden, des Todes würdig zu
finden? Es ist ihm unfaßbar, und fortwährend von feiner Verblendung oder,
wenn man so will, von seinem Traume befangen, erwartet er jeden Augenblick
das Wort der Befreiung zu hören, ja er erwartet, daß sich darum vielleicht


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[0287] der Große Kurfürst nach der Schlacht bei Fehrbellin geäußert habe, man könne nach der Strenge der Gesetze den Prinzen von Homburg vor ein Kriegsgericht stellen, doch sei es ferne von ihm, diese Strenge gegen einen Mann, der so tapfer zum Siege mitgewirkt, in Anwendung zu bringen. Diese Notiz spann der Dichter sich aus, wie wenn der Kurfürst wirklich das Kriegsgericht hätte sprechen lassen, und dieses wirklich auf Tod erkannt hätte. Die wichtige Frage, was Subordination sei, und ob sie im einzelnen Falle nicht verletzt werden dürfe, wird vor uns in Form eines großen dramatischen Processes entwickelt. Alles wird in den mannigfaltigen Situationen, durch das verletzte Gefühl des Prinzen, durch die Umstände, durch die Freunde des Verurtheilten auf eine würdige Art ausgesprochen und immer dnrch den großgezeichneten Charakter des Kurfürsten mit wenigen Worten zur Ruhe verwiesen. Der Prinz selbst erkennt nach einer großen Erschütterung sein Unrecht, er weiht sich freiwillig dem Vaterlande und dem verletzten Recht als Sühne, und die freie Begnadigung des väterlichen Fürsten, die dieser sich weder dnrch Drohung noch Ueberraschung ablisten läßt, beruhigt und erhebt das Gefühl. Der Prinz von Homburg träumt nachtwandelnd die kühnsten Träume des Ehrgeizes, denen sich die Wirklichkeit auf eine für ihn verhängnißvolle Art ver¬ flicht. Der Kurfürst, seine Gemahlin und des Prinzen nachmalige Braut, Prin¬ zessin Natalie betreffen ihn dabei, und er entreißt der letzteren einen Handschuh, erwacht aber erst aus seinem Schlafe, den Handschuh wirklich in der Hand haltend, als die Herrschaften sich schon wieder zurückgezogen haben. Dieser handgreifliche wirkliche Zusammenhang mit seinem räthselhaften Traume wirft ihn in eine solche Bestürzung, daß er am folgenden Morgen Schlachtplan und Ordre überhört und in der Schlacht siegestrunken seine Reiter gegen den aus¬ drücklichen Befehl in den Kampf reißt. Er erkämpft einen glänzenden Sieg, aber der Kurfürst, so heißt es, ist gefallen. Mitten in dem Schmerz über den unersetzlichen Verlust drängt sich dem Träumer das Gefühl seiner hohen Be¬ stimmung desto berauschender auf; er ist es nun, der des Oheims großes Werk vollenden, die Fürstin trösten, Land und Heer erretten wird, und so schließt er die verwaiste Prinzessin Natalie, deren Herz er gewonnen, tröstend und beseligt an seine Brust. Indessen, die Todesnachricht war falsch, der Kur¬ fürst lebt, und sein Erstes nach dem feierlichen Dankgebete für den großen Sieg ist, den ungehorsamen Führer der Reiter vor ein Kriegsgericht zu stellen auf Leben und Tod. Das ist zu viel für den stolzen Träumer; er versteht den Fürsten und die Welt nicht mehr. Ihn, den Helden, des Todes würdig zu finden? Es ist ihm unfaßbar, und fortwährend von feiner Verblendung oder, wenn man so will, von seinem Traume befangen, erwartet er jeden Augenblick das Wort der Befreiung zu hören, ja er erwartet, daß sich darum vielleicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/287>, abgerufen am 23.07.2024.