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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Erfahrungen mehr als die gewöhnlichen Ankömmlinge gewitzigten, einen vor¬
züglich brauchbaren Kumpan zu gewinnen meinten. Mit diesen lustigen, unter¬
nehmenden, imponirenden Brüdern, die ihn für die neugewählte Laufbahn weihten,
lebte er, bis -- seine Baarschaft aufgezehrt war. Nun trat an die Stelle des
ersten Rausches die Besinnung. Nachdem er bis dahin Collegia nur besuchs¬
weise gehört hatte, dachte er jetzt ernstlich daran, sich als Studiosus unter die
akademischen Bürger aufnehmen zu lassen. Der Professor aber, an den er sich
mit seinem Anliegen wandte und dem er zugleich seineu Geldmangel offenbarte,
frug ihn nach einem Abgangs- und Armuths-Zeugniß und widerrieth ihm, da
keines von beiden vorgezeigt werden konnte, entschieden das Studiren. Er stellte
ihm theilnehmend vor, daß er bei diesen Umständen doch auf keine Anstellung
in seinein Vaterlande rechnen könne, daher lediglich in Hoffnung auf Versor¬
gung im Auslande den Wissenschaften obliegen müsse und die Hoffnung auf
solche Versorgung im Auslande eine sehr unsichere sei. Diese mit Nachdruck
und Herzlichkeit gesprochene Rede wirkte auf Kraußes Verstand und Gemüth
gleich stark. Er war aus seinem Stndententraume aufgeweckt, statt des blen¬
denden Scheins stellte sich ihm die unerfreuliche nackte Wirklichkeit dar. Betrübt
ging er davon und fagte Jena und dem Universitätsstudium Valet. Er wan¬
derte auf der Straße nach Weimar vor dem Dorfe, von welchem er gekommen
war, nachdenklich vorüber, mit neun Pfennigen in der Tasche und mit zerris¬
senen Stiefeln an den Füßen.

Er wollte nun sein Brod in Weimar verdienen. Dort angekommen, mußte
er vor allem auf Erlangung einer Wohnung denken, ohne zu wissen, woher er
den Miethzins nehmen sollte. Da Wohlfeilheit die vorherrschende Rücksicht war,
die er bei seinem Vorhaben zu nehmen hatte, verstand er sich gern dazu, ein
Stübchen eiues in der Nähe des Gottesackers stehenden Hauses zu beziehen.
So war er auf einmal aus dem Geräusche der Welt in die Nähe des Kirchhofs
versetzt. Hätte er den Joungschen Geist gehabt, er hätte hier recht ergreifende
Nachtgedanken niederschreiben kommen. Sein kleines Schlafgemach lag nahe an
einer Todtengruft. Durch das zerbrochene Dach konnte er Särge in der schauer¬
lichen Höhle wahrnehmen, und wenn er in seiner Behausung andere als Stuben¬
luft schöpfen wollte, mußte er in das Tvdtengewölbe sehen. In seiner großen
Geldnoth kamen ihm aber der Krieg und dessen Folgen zu Statten. Er setzte
den Bauern, die ihre Söhne vom Militärdienste frei zu machen suchten,
für weniges Geld Suppliken auf, und da sein Fabrikat mehrmals wider Er¬
warten Erfolg gehabt hatte, bekam er Zulauf. Die Erträgnisse freilich wollten
kaun: zum Ankauf des nöthigen Holzes für den Ofen hinreichen.

Später errichtete er eine Privatschule, die bald ziemlich zahlreich besucht
wurde. Jetzt aber, wo er es uicht mehr mit Dorf-, sondern mit Stadtkindern


Erfahrungen mehr als die gewöhnlichen Ankömmlinge gewitzigten, einen vor¬
züglich brauchbaren Kumpan zu gewinnen meinten. Mit diesen lustigen, unter¬
nehmenden, imponirenden Brüdern, die ihn für die neugewählte Laufbahn weihten,
lebte er, bis — seine Baarschaft aufgezehrt war. Nun trat an die Stelle des
ersten Rausches die Besinnung. Nachdem er bis dahin Collegia nur besuchs¬
weise gehört hatte, dachte er jetzt ernstlich daran, sich als Studiosus unter die
akademischen Bürger aufnehmen zu lassen. Der Professor aber, an den er sich
mit seinem Anliegen wandte und dem er zugleich seineu Geldmangel offenbarte,
frug ihn nach einem Abgangs- und Armuths-Zeugniß und widerrieth ihm, da
keines von beiden vorgezeigt werden konnte, entschieden das Studiren. Er stellte
ihm theilnehmend vor, daß er bei diesen Umständen doch auf keine Anstellung
in seinein Vaterlande rechnen könne, daher lediglich in Hoffnung auf Versor¬
gung im Auslande den Wissenschaften obliegen müsse und die Hoffnung auf
solche Versorgung im Auslande eine sehr unsichere sei. Diese mit Nachdruck
und Herzlichkeit gesprochene Rede wirkte auf Kraußes Verstand und Gemüth
gleich stark. Er war aus seinem Stndententraume aufgeweckt, statt des blen¬
denden Scheins stellte sich ihm die unerfreuliche nackte Wirklichkeit dar. Betrübt
ging er davon und fagte Jena und dem Universitätsstudium Valet. Er wan¬
derte auf der Straße nach Weimar vor dem Dorfe, von welchem er gekommen
war, nachdenklich vorüber, mit neun Pfennigen in der Tasche und mit zerris¬
senen Stiefeln an den Füßen.

Er wollte nun sein Brod in Weimar verdienen. Dort angekommen, mußte
er vor allem auf Erlangung einer Wohnung denken, ohne zu wissen, woher er
den Miethzins nehmen sollte. Da Wohlfeilheit die vorherrschende Rücksicht war,
die er bei seinem Vorhaben zu nehmen hatte, verstand er sich gern dazu, ein
Stübchen eiues in der Nähe des Gottesackers stehenden Hauses zu beziehen.
So war er auf einmal aus dem Geräusche der Welt in die Nähe des Kirchhofs
versetzt. Hätte er den Joungschen Geist gehabt, er hätte hier recht ergreifende
Nachtgedanken niederschreiben kommen. Sein kleines Schlafgemach lag nahe an
einer Todtengruft. Durch das zerbrochene Dach konnte er Särge in der schauer¬
lichen Höhle wahrnehmen, und wenn er in seiner Behausung andere als Stuben¬
luft schöpfen wollte, mußte er in das Tvdtengewölbe sehen. In seiner großen
Geldnoth kamen ihm aber der Krieg und dessen Folgen zu Statten. Er setzte
den Bauern, die ihre Söhne vom Militärdienste frei zu machen suchten,
für weniges Geld Suppliken auf, und da sein Fabrikat mehrmals wider Er¬
warten Erfolg gehabt hatte, bekam er Zulauf. Die Erträgnisse freilich wollten
kaun: zum Ankauf des nöthigen Holzes für den Ofen hinreichen.

Später errichtete er eine Privatschule, die bald ziemlich zahlreich besucht
wurde. Jetzt aber, wo er es uicht mehr mit Dorf-, sondern mit Stadtkindern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/280>, abgerufen am 23.07.2024.