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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Weg von einem Punkte zum anderen sei, oder daß es mehr als drei Dimen¬
sionen geben könne?" -- Die Ahnung war nicht ganz verkehrt. -- "O ja," fiel
Epikur lebhaft ein, "es sollte mich auch nicht wundern, wenn es in hundert
Jahren einem Querkopf von der Sorte des Theophrast einfiele zu behaupten,
daß wir mit unserer gemüthlichen Seelenruhe auf dieser Erde um die Sonne
herumschwirren und die Sonne selber, deren Bewegung doch jedes Kind sieht,
still steht." Auch das war wieder ein vermessenes Prophetenwort, denn ein
Jahrhundert später legte Aristarch (Loxernlous g.no Oopsrniouin genannt)
den unbegreiflichen Satz seinem astronomischen Lehrgebäude zu Grunde -- frei¬
lich nur, um als sonderbarer Kauz verlacht zu werden.

"Aber die Poesie wirst du doch gelten lassen," warf die schwärmerische
Philänis ein. -- "Im Großen und Ganzen," antwortete Epikur, "bin ich des¬
wegen ein Feind der Poesie, weil von ihr so viele religiöse Irrthümer genährt
werden, die ja nur dazu dienen können, den Menschen zu beunruhige"." --
"Aber sie enthält doch so viel Süßeinschmeichelndes, Wunderbares." -- Da ver¬
setzte gewichtig der Meister: "Die Wahrheit ist wunderbarer als die Dichtung:
ich lasse mir nur diejenige Dichtung gefallen, welche menschenbeglückende Wahr¬
heit in Ohr und Geist erfreuende Form gießt." -- Metrodor fügte prahlerisch
hinzu, daß er, wenn er auch keine Zeile im Homer gelesen hätte und nicht
wüßte, ob Hektor Troer oder Grieche gewesen, sich keinen Augenblick darüber
Kummer machen würde. Etwas glimpflicher kam die Musik weg, auf welche
jetzt Aristobul das Gespräch lenkte. "Sie gehört," sagte der Meister, "entschieden
in das Gebiet der Lust und hat früher wohl mehr dahin gehört als jetzt. Was
ich aber durchaus leugne, das sind die moralischen Wirkungen derselben, und
was ich wie die fallende Sucht hasse, das sind die irrlichtelirenden Tischge¬
spräche über Musik. Wer in diesem Punkte viel erlebt hat wie ich, der weiß,
daß selbst "eitle Frauen nicht so viel Farbe aufwenden, um ein schön schwarzes
oder hochblondes Haar herzustellen, als über Musik süßelnde Verständnißver-
meintlichkeit und begönnernder Heuchelenthusiasmns auf den Fälschermarkt ge¬
tragen wird,"

Endlich mußte auch noch die Kunst der Aerzte, gegen welche Metrodor ein
besonderes Buch geschrieben hatte, mit dem Kleienkasten des banausischen Blut¬
gerichts traurige Bekanntschaft machen, und das merkwürdige Kraftwort des
Meisters: Ke5/e, w //."xtt^ex, 7r"<7"v Trcrtcsetcri' "xttrtvv "^"^ki^ox (Fliehe,
Glücklicher, mit vollen Segeln vor aller Bildung) schloß das sonderbare Ge-
plauder ab.

Es war etwas spät geworden, und die Zeit war gekommen, das Geschenk
des allbändigenden, allbeglückenden Schlafes entgegenzunehmen. Mit den Worten:
"Bleibt gesund!" stand Epikur auf, und unter einem herzlichen: "Wir grüßen dich,


Weg von einem Punkte zum anderen sei, oder daß es mehr als drei Dimen¬
sionen geben könne?" — Die Ahnung war nicht ganz verkehrt. — „O ja," fiel
Epikur lebhaft ein, „es sollte mich auch nicht wundern, wenn es in hundert
Jahren einem Querkopf von der Sorte des Theophrast einfiele zu behaupten,
daß wir mit unserer gemüthlichen Seelenruhe auf dieser Erde um die Sonne
herumschwirren und die Sonne selber, deren Bewegung doch jedes Kind sieht,
still steht." Auch das war wieder ein vermessenes Prophetenwort, denn ein
Jahrhundert später legte Aristarch (Loxernlous g.no Oopsrniouin genannt)
den unbegreiflichen Satz seinem astronomischen Lehrgebäude zu Grunde — frei¬
lich nur, um als sonderbarer Kauz verlacht zu werden.

„Aber die Poesie wirst du doch gelten lassen," warf die schwärmerische
Philänis ein. — „Im Großen und Ganzen," antwortete Epikur, „bin ich des¬
wegen ein Feind der Poesie, weil von ihr so viele religiöse Irrthümer genährt
werden, die ja nur dazu dienen können, den Menschen zu beunruhige»." —
„Aber sie enthält doch so viel Süßeinschmeichelndes, Wunderbares." — Da ver¬
setzte gewichtig der Meister: „Die Wahrheit ist wunderbarer als die Dichtung:
ich lasse mir nur diejenige Dichtung gefallen, welche menschenbeglückende Wahr¬
heit in Ohr und Geist erfreuende Form gießt." — Metrodor fügte prahlerisch
hinzu, daß er, wenn er auch keine Zeile im Homer gelesen hätte und nicht
wüßte, ob Hektor Troer oder Grieche gewesen, sich keinen Augenblick darüber
Kummer machen würde. Etwas glimpflicher kam die Musik weg, auf welche
jetzt Aristobul das Gespräch lenkte. „Sie gehört," sagte der Meister, „entschieden
in das Gebiet der Lust und hat früher wohl mehr dahin gehört als jetzt. Was
ich aber durchaus leugne, das sind die moralischen Wirkungen derselben, und
was ich wie die fallende Sucht hasse, das sind die irrlichtelirenden Tischge¬
spräche über Musik. Wer in diesem Punkte viel erlebt hat wie ich, der weiß,
daß selbst "eitle Frauen nicht so viel Farbe aufwenden, um ein schön schwarzes
oder hochblondes Haar herzustellen, als über Musik süßelnde Verständnißver-
meintlichkeit und begönnernder Heuchelenthusiasmns auf den Fälschermarkt ge¬
tragen wird,"

Endlich mußte auch noch die Kunst der Aerzte, gegen welche Metrodor ein
besonderes Buch geschrieben hatte, mit dem Kleienkasten des banausischen Blut¬
gerichts traurige Bekanntschaft machen, und das merkwürdige Kraftwort des
Meisters: Ke5/e, w //.«xtt^ex, 7r«<7«v Trcrtcsetcri' «xttrtvv «^«^ki^ox (Fliehe,
Glücklicher, mit vollen Segeln vor aller Bildung) schloß das sonderbare Ge-
plauder ab.

Es war etwas spät geworden, und die Zeit war gekommen, das Geschenk
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/28>, abgerufen am 23.07.2024.