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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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"wenn das Recht, wie du vorhin sagtest, geändert werden kann, wäre da nicht
das Einzigrichtige, daß alle Bürger an der Regierung und zwar in gleicher
Berechtigung sich betheiligten, auch alle in Bezug auf deu Besitz gleich stünden?"
-- "Ein schöner Gedanke - aber die Münze hat eine abscheuliche Kehrseite,"
versetzte Leonteus, an den ersten Theil vou Timokrates' Vorschlag anknüpfend,
"so viel Köpfe -- so viel Sinne. Indeß" -- fuhr er mit Bezug auf den zweiten
Theil fort -- "da kommt mir doch ein Gedanke: wir Epikureer wenigstens sollten
allen Besitz wie die Pythagoreer zu Gemeingut vertheilen!" -- "El, was redest
du ungeschickt!" fiel ihm da bedeutsam mit strafendem Blicke und Tone Epikur
in die Rede. "Eine solche Maßregel könnte nur auf gegenseitigem Mißtrauen
fußen; wo aber Mißtrauen, da ist keine Freundschaft." Die allgemeine Ver¬
blüffung über dies gewaltige Wort des Meisters führte eine sekundeulange
Pause herbei. Endlich nahm Metrodor den Faden wieder auf, benutzte die
Verdammung der Gütervertheilung im Großen und Kleinen zu einer Ueber¬
leitung des Gesprächs auf den homerischen el? /S"<5t1.el5x, den "einen König"
und entlockte so dem Meister eine warme Lobrede auf die Monarchie.

"Noch ein äußerliches Moment fällt mir bei," leitete dann Epikurs Bruder
Aristobul das Gespräch weiter, "warum wir im Allgemeinen der Politik den
Rücken kehren müssen. Wir verschmähen ja grundsätzlich die Rhetorik, welche
doch das allergeläufigste Werkzeug dem Staatsmann an die Hand giebt." -- "O
nein," rief Epikur laut, "die praktische Rede, die politische wie die gerichtliche,
ist eine Sache der Uebung und der augenblicklichen Erregung; wer die Kunst¬
stückchen der Rednerschule gelernt hat, ist deswegen noch lange kein guter Staats¬
mann. Eine besondere Theorie der Rede zu studiren halte ich daher für ebenso
unnöthig und für menschliche Glückseligkeit bedeutungslos als das Studium
der Mathematik, der Poesie, der Dialektik, der Astronomie. Daß aus allem
diesem Kram für die Glückseligkeit kein Hälmchen sprießt, wie schön hat es nicht
jüngst unsere Leontion in ihrem Buche gegen Theophmst ausgesprochen!" -- Ein
freudiges Roth überflog das Gesicht der Nachbarin. Ihr Buch war -- nach
dem Zeugniß Cieeros -- geistreich geschrieben und übertraf in Bezug auf reines
Attisch alle Werke Epikurs. -- "Von diesem Capitel kann ich auch spreche"," meinte
da Polyän; "ich war Mathematiker, aber die Begleichung der Wirklichkeit, z. B.
der wirklichen Erscheinung des Mondes und der Sonne, welche entweder gerade
so groß sind als sie scheinen, oder ein klein wenig größer oder auch kleiner --
die Vergleichung, sage ich, der Wirklichkeit mit den Sätzen der Mathematik hat
mich gelehrt, daß die ganze Geometrie falsch ist, und Pythagoras hat mit seinem
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wahren Philosophie gewaltigen Schaden zugefügt. Wer weiß, ob uicht einmal
ein solcher Mathematikus beweist, daß die gerade Linie nicht immer der nächste


„wenn das Recht, wie du vorhin sagtest, geändert werden kann, wäre da nicht
das Einzigrichtige, daß alle Bürger an der Regierung und zwar in gleicher
Berechtigung sich betheiligten, auch alle in Bezug auf deu Besitz gleich stünden?"
— „Ein schöner Gedanke - aber die Münze hat eine abscheuliche Kehrseite,"
versetzte Leonteus, an den ersten Theil vou Timokrates' Vorschlag anknüpfend,
„so viel Köpfe — so viel Sinne. Indeß" — fuhr er mit Bezug auf den zweiten
Theil fort — „da kommt mir doch ein Gedanke: wir Epikureer wenigstens sollten
allen Besitz wie die Pythagoreer zu Gemeingut vertheilen!" — „El, was redest
du ungeschickt!" fiel ihm da bedeutsam mit strafendem Blicke und Tone Epikur
in die Rede. „Eine solche Maßregel könnte nur auf gegenseitigem Mißtrauen
fußen; wo aber Mißtrauen, da ist keine Freundschaft." Die allgemeine Ver¬
blüffung über dies gewaltige Wort des Meisters führte eine sekundeulange
Pause herbei. Endlich nahm Metrodor den Faden wieder auf, benutzte die
Verdammung der Gütervertheilung im Großen und Kleinen zu einer Ueber¬
leitung des Gesprächs auf den homerischen el? /S«<5t1.el5x, den „einen König"
und entlockte so dem Meister eine warme Lobrede auf die Monarchie.

„Noch ein äußerliches Moment fällt mir bei," leitete dann Epikurs Bruder
Aristobul das Gespräch weiter, „warum wir im Allgemeinen der Politik den
Rücken kehren müssen. Wir verschmähen ja grundsätzlich die Rhetorik, welche
doch das allergeläufigste Werkzeug dem Staatsmann an die Hand giebt." — „O
nein," rief Epikur laut, „die praktische Rede, die politische wie die gerichtliche,
ist eine Sache der Uebung und der augenblicklichen Erregung; wer die Kunst¬
stückchen der Rednerschule gelernt hat, ist deswegen noch lange kein guter Staats¬
mann. Eine besondere Theorie der Rede zu studiren halte ich daher für ebenso
unnöthig und für menschliche Glückseligkeit bedeutungslos als das Studium
der Mathematik, der Poesie, der Dialektik, der Astronomie. Daß aus allem
diesem Kram für die Glückseligkeit kein Hälmchen sprießt, wie schön hat es nicht
jüngst unsere Leontion in ihrem Buche gegen Theophmst ausgesprochen!" — Ein
freudiges Roth überflog das Gesicht der Nachbarin. Ihr Buch war — nach
dem Zeugniß Cieeros — geistreich geschrieben und übertraf in Bezug auf reines
Attisch alle Werke Epikurs. — „Von diesem Capitel kann ich auch spreche»," meinte
da Polyän; „ich war Mathematiker, aber die Begleichung der Wirklichkeit, z. B.
der wirklichen Erscheinung des Mondes und der Sonne, welche entweder gerade
so groß sind als sie scheinen, oder ein klein wenig größer oder auch kleiner —
die Vergleichung, sage ich, der Wirklichkeit mit den Sätzen der Mathematik hat
mich gelehrt, daß die ganze Geometrie falsch ist, und Pythagoras hat mit seinem
Mi?<ste? et7de,i//,e»L»'
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ein solcher Mathematikus beweist, daß die gerade Linie nicht immer der nächste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/27>, abgerufen am 23.07.2024.