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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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theils an andern Stellen zur Begründung ihrer Existenz die Hand bieten mußte,
aufgegeben werdeu. Im Jahre 1799 mußte Friedrich, 19 Jahre alt und an
reellen Kenntnissen noch sehr arm, sich bequemen, Landschullehrer-substitue zu
werden. Zwar wurde er durch die Gunst Herders, der ihn vor dem Versauern
und Verbaueru schützen wollte, in die Nähe der Residenz Weimar nach dem
Dörfchen Klein-Kromsdorf versetzt, wo er durch Herders Empfehlung auch Ge¬
legenheit zu Privat-Unterricht erhielt. Doch fühlte er sich dein städtischen Leben,
seinen verehrten Gönnern und Lehrern, seinen Freunden und Bekannten entrückt
und deshalb nicht glücklich.

"Wurde" auch -- erzählt er selbst in seiner aufrichtigen und treuherzigen
Weise -- während der Schulstunden durch die Beschäftigung mit den von mir
geliebten Schulkindern die Grillen aus meiner Seele verscheucht, ja kehrte auch
bisweilen Frohsinn in mein Inneres zurück, so fühlte ich mich doch uach den
Schularbeiten einsam und gleichsam verlassen. Um das Drückende und nieder¬
beugende meiner Lage noch zu erhöhen, richteten sich auch Anfeindungen gegen
mich von einer Seite her, von welcher mir Ermuthigung und Freude hätte
kommeu sollen. Unbekannt mit der damaligen Etikette der Landgeistlichkeit, hatte
ich nämlich versäumt, einem in der Nähe meines Dorfes wohnenden Geistlichen,
der meine Schule alljährlich einmal zu besuchen hatte, und der Gemahlin desselben
meine Aufwartung zu mache", und damit einen Fehler begangen, der mich in
verdrießliche Händel verwickelte und mir nie vergessen wurde. Von meiner
Lehrweise nahm man den Stoff her, mich bei der geistlichen Oberbehörde zu
verdächtigen. Mein Senior war ein Mann von gutem Herzen, hatte aber eine
höhere Lehranstalt nie besucht, sondern früher nur als Bedienter in einem an¬
gesehenen Hanse fungirt. Unter ihm hatte die Schicke in einem Zeitraume von
fünfzig Jahren niemals auch uur zu einigem Gedeihen kommen können. Ich
suchte ihr mit aller Kraft aufzuhelfen. Da fast kein derselben angehöriges
Kind richtig lesen konnte, bemühte ich mich, vor allem Lesefertigkeit und über¬
haupt Lernlust in dieselbe einzuführen, und wählte dazu unter anderem als
unmuthiges, die Schüler anziehendes Lehrmittel die bekannten Erzählungen vom
Robinson; ich that es mit sichtbarem Erfolg. Schüler erzählten aber davon
zu Hause, und Unverständige sahen die von nur auf eigene Hand bewirkte Ab¬
schaffung der bisherigen Gewohnheit, die "Sieben Buß-Psalmen", den "Sirach",
den "Himmelsweg", die "Haustafel" u. f. w. durch die Kinder täglich ableiern zu
lassen, als eine Ketzerei an. Klatschsüchtige Weiber, welche in dem angedeuteten
Pfarrhause um eiuer Tasse Kaffee und eines Stückes Kuchen willen liebedienerteil,
hatten dies dort angebracht, hatten von Büchern mit blauen Tafeln gesprochen,
die ich statt der Religionsbücher in meiner Schule eingeführt hätte, und somit
willkommenen Anlaß dargeboten, mich als einen Irrlehrer und Verführer der


theils an andern Stellen zur Begründung ihrer Existenz die Hand bieten mußte,
aufgegeben werdeu. Im Jahre 1799 mußte Friedrich, 19 Jahre alt und an
reellen Kenntnissen noch sehr arm, sich bequemen, Landschullehrer-substitue zu
werden. Zwar wurde er durch die Gunst Herders, der ihn vor dem Versauern
und Verbaueru schützen wollte, in die Nähe der Residenz Weimar nach dem
Dörfchen Klein-Kromsdorf versetzt, wo er durch Herders Empfehlung auch Ge¬
legenheit zu Privat-Unterricht erhielt. Doch fühlte er sich dein städtischen Leben,
seinen verehrten Gönnern und Lehrern, seinen Freunden und Bekannten entrückt
und deshalb nicht glücklich.

„Wurde» auch — erzählt er selbst in seiner aufrichtigen und treuherzigen
Weise — während der Schulstunden durch die Beschäftigung mit den von mir
geliebten Schulkindern die Grillen aus meiner Seele verscheucht, ja kehrte auch
bisweilen Frohsinn in mein Inneres zurück, so fühlte ich mich doch uach den
Schularbeiten einsam und gleichsam verlassen. Um das Drückende und nieder¬
beugende meiner Lage noch zu erhöhen, richteten sich auch Anfeindungen gegen
mich von einer Seite her, von welcher mir Ermuthigung und Freude hätte
kommeu sollen. Unbekannt mit der damaligen Etikette der Landgeistlichkeit, hatte
ich nämlich versäumt, einem in der Nähe meines Dorfes wohnenden Geistlichen,
der meine Schule alljährlich einmal zu besuchen hatte, und der Gemahlin desselben
meine Aufwartung zu mache», und damit einen Fehler begangen, der mich in
verdrießliche Händel verwickelte und mir nie vergessen wurde. Von meiner
Lehrweise nahm man den Stoff her, mich bei der geistlichen Oberbehörde zu
verdächtigen. Mein Senior war ein Mann von gutem Herzen, hatte aber eine
höhere Lehranstalt nie besucht, sondern früher nur als Bedienter in einem an¬
gesehenen Hanse fungirt. Unter ihm hatte die Schicke in einem Zeitraume von
fünfzig Jahren niemals auch uur zu einigem Gedeihen kommen können. Ich
suchte ihr mit aller Kraft aufzuhelfen. Da fast kein derselben angehöriges
Kind richtig lesen konnte, bemühte ich mich, vor allem Lesefertigkeit und über¬
haupt Lernlust in dieselbe einzuführen, und wählte dazu unter anderem als
unmuthiges, die Schüler anziehendes Lehrmittel die bekannten Erzählungen vom
Robinson; ich that es mit sichtbarem Erfolg. Schüler erzählten aber davon
zu Hause, und Unverständige sahen die von nur auf eigene Hand bewirkte Ab¬
schaffung der bisherigen Gewohnheit, die „Sieben Buß-Psalmen", den „Sirach",
den „Himmelsweg", die „Haustafel" u. f. w. durch die Kinder täglich ableiern zu
lassen, als eine Ketzerei an. Klatschsüchtige Weiber, welche in dem angedeuteten
Pfarrhause um eiuer Tasse Kaffee und eines Stückes Kuchen willen liebedienerteil,
hatten dies dort angebracht, hatten von Büchern mit blauen Tafeln gesprochen,
die ich statt der Religionsbücher in meiner Schule eingeführt hätte, und somit
willkommenen Anlaß dargeboten, mich als einen Irrlehrer und Verführer der


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[0274] theils an andern Stellen zur Begründung ihrer Existenz die Hand bieten mußte, aufgegeben werdeu. Im Jahre 1799 mußte Friedrich, 19 Jahre alt und an reellen Kenntnissen noch sehr arm, sich bequemen, Landschullehrer-substitue zu werden. Zwar wurde er durch die Gunst Herders, der ihn vor dem Versauern und Verbaueru schützen wollte, in die Nähe der Residenz Weimar nach dem Dörfchen Klein-Kromsdorf versetzt, wo er durch Herders Empfehlung auch Ge¬ legenheit zu Privat-Unterricht erhielt. Doch fühlte er sich dein städtischen Leben, seinen verehrten Gönnern und Lehrern, seinen Freunden und Bekannten entrückt und deshalb nicht glücklich. „Wurde» auch — erzählt er selbst in seiner aufrichtigen und treuherzigen Weise — während der Schulstunden durch die Beschäftigung mit den von mir geliebten Schulkindern die Grillen aus meiner Seele verscheucht, ja kehrte auch bisweilen Frohsinn in mein Inneres zurück, so fühlte ich mich doch uach den Schularbeiten einsam und gleichsam verlassen. Um das Drückende und nieder¬ beugende meiner Lage noch zu erhöhen, richteten sich auch Anfeindungen gegen mich von einer Seite her, von welcher mir Ermuthigung und Freude hätte kommeu sollen. Unbekannt mit der damaligen Etikette der Landgeistlichkeit, hatte ich nämlich versäumt, einem in der Nähe meines Dorfes wohnenden Geistlichen, der meine Schule alljährlich einmal zu besuchen hatte, und der Gemahlin desselben meine Aufwartung zu mache», und damit einen Fehler begangen, der mich in verdrießliche Händel verwickelte und mir nie vergessen wurde. Von meiner Lehrweise nahm man den Stoff her, mich bei der geistlichen Oberbehörde zu verdächtigen. Mein Senior war ein Mann von gutem Herzen, hatte aber eine höhere Lehranstalt nie besucht, sondern früher nur als Bedienter in einem an¬ gesehenen Hanse fungirt. Unter ihm hatte die Schicke in einem Zeitraume von fünfzig Jahren niemals auch uur zu einigem Gedeihen kommen können. Ich suchte ihr mit aller Kraft aufzuhelfen. Da fast kein derselben angehöriges Kind richtig lesen konnte, bemühte ich mich, vor allem Lesefertigkeit und über¬ haupt Lernlust in dieselbe einzuführen, und wählte dazu unter anderem als unmuthiges, die Schüler anziehendes Lehrmittel die bekannten Erzählungen vom Robinson; ich that es mit sichtbarem Erfolg. Schüler erzählten aber davon zu Hause, und Unverständige sahen die von nur auf eigene Hand bewirkte Ab¬ schaffung der bisherigen Gewohnheit, die „Sieben Buß-Psalmen", den „Sirach", den „Himmelsweg", die „Haustafel" u. f. w. durch die Kinder täglich ableiern zu lassen, als eine Ketzerei an. Klatschsüchtige Weiber, welche in dem angedeuteten Pfarrhause um eiuer Tasse Kaffee und eines Stückes Kuchen willen liebedienerteil, hatten dies dort angebracht, hatten von Büchern mit blauen Tafeln gesprochen, die ich statt der Religionsbücher in meiner Schule eingeführt hätte, und somit willkommenen Anlaß dargeboten, mich als einen Irrlehrer und Verführer der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/274>, abgerufen am 23.07.2024.