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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Tcmpadel, wenige Stunden von Jena, der Schullehrer Krauße, später Lehrer
in Thalbürgeln bei Jena. In dem genannten Jahre, am 23. September, wurde
ihm von seiner Fran, der Tochter des Schullehrers Rinne in Thalbürgelu, ein
Sohn geboren, dem man den Namen Friedrich gab.

Knapp genug mag es in dem Taupadeler Schulhause zugegangen sein, denn
eine zahlreiche Familie mußte von dem spärlichen Schuleinkommen von 100 Tha¬
lern erhalten werden; doch mit einem kleinen durch Handarbeit und Obstbau
erworbenen Nebenverdienst und mit Fleiß und Emsigkeit gelang es. In all den
Orten, welche den Wirkungskreis des Vaters Krauße bildeten (es gehörten
mehrere Filialen zu seinem Wohnorte), genoß er der allgemeinsten Liebe und
Achtung.

In dieser Familie wuchs, unter strenger aber liebevoller Fürsorge der
Eltern, Friedrich Krauße herau. Von seinem Vater im Klavier- und Orgel¬
spiel unterrichtet, wurde er schon als achtjähriger Knabe, zitternd und zagend,
in der Kirche auf die Orgelbank gehoben und mußte spielen, während sein neben
ihm sitzender Vater das Pedal trat. Vom dreizehnten Jahre an besuchte er das
Gymnasium zu Weimar, wurde aber dnrch die damals übliche mechanische Unter¬
richtsmethode nur langsam gefordert. Zu einiger Fertigkeit gelangte er, wie er
selbst gesteht, zunächst nur in Schelmereien. Bei seiner besonderen Vorliebe für
Geschichte und Geographie, seinem fleißigen Studium derselben und der eifrigen
Lectüre guter deutscher Bücher gewann er aber doch allmählich eine ihn vor
vielen Mitschülern auszeichnende geistige Bildung und war so, beim Vorrücken
in die obern Klassen, in den Stand gesetzt, nebenbei durch Unterrichten kleiner
Kinder in einigen Familien sich einen geringen Erwerb zu verschaffen, der ihn
vor Hunger schützte.

Präsident des Obereonsistoriums und Schulephorus zu Weimar war da¬
mals Herder. Von Herders Söhnen, seinen Schulkameraden, war Friedrich
Krauße in Herders Wohnung und Garten eingeführt worden, und bei seinem
rühmlichen Streben gelang es ihm, die Gewogenheit des großen Mannes zu
erlangen. Der Plan, die Universität zu beziehen, mußte bei den ärmlichen Ver-
mögensumständen des Vaters, der überdies mehreren Söhnen theils ans Schulen,


tung und Veröffentlichung übergeben. Mit besonderen: Interesse habe ich diesen Auftrag
übernommen. Sind doch namentlich die Wilnacr Borgänge fast noch furchtbarer und ge¬
waltiger als selbst die vorausgegangenen Ereignisse bei dem Uebergange über die Berezina,
und giebt es doch in der gesammten auf den Feldzug von 1312 bezüglichen Literatur meines
Wissens keine einzige Schrift, welche jene entsetzlichen Vorgänge und Zustände mit so genauem
Detail und in so wahrheitsgetreuer und erschütternder Anschaulichkeit schilderte, wie die
Kraußischcn Aufzeichnungen. Meine Aufgabe konnte es nur sein, dieselben in stilistischer Hinsicht,
doch ohne Beseitigung ihrer eigenthümlichen Färbung, theilweise einer Redaction zu unter¬
D. Herausgeber. ziehen und eine Einleitung nebst einigen Anmerkungen hinzuzufügen.

Tcmpadel, wenige Stunden von Jena, der Schullehrer Krauße, später Lehrer
in Thalbürgeln bei Jena. In dem genannten Jahre, am 23. September, wurde
ihm von seiner Fran, der Tochter des Schullehrers Rinne in Thalbürgelu, ein
Sohn geboren, dem man den Namen Friedrich gab.

Knapp genug mag es in dem Taupadeler Schulhause zugegangen sein, denn
eine zahlreiche Familie mußte von dem spärlichen Schuleinkommen von 100 Tha¬
lern erhalten werden; doch mit einem kleinen durch Handarbeit und Obstbau
erworbenen Nebenverdienst und mit Fleiß und Emsigkeit gelang es. In all den
Orten, welche den Wirkungskreis des Vaters Krauße bildeten (es gehörten
mehrere Filialen zu seinem Wohnorte), genoß er der allgemeinsten Liebe und
Achtung.

In dieser Familie wuchs, unter strenger aber liebevoller Fürsorge der
Eltern, Friedrich Krauße herau. Von seinem Vater im Klavier- und Orgel¬
spiel unterrichtet, wurde er schon als achtjähriger Knabe, zitternd und zagend,
in der Kirche auf die Orgelbank gehoben und mußte spielen, während sein neben
ihm sitzender Vater das Pedal trat. Vom dreizehnten Jahre an besuchte er das
Gymnasium zu Weimar, wurde aber dnrch die damals übliche mechanische Unter¬
richtsmethode nur langsam gefordert. Zu einiger Fertigkeit gelangte er, wie er
selbst gesteht, zunächst nur in Schelmereien. Bei seiner besonderen Vorliebe für
Geschichte und Geographie, seinem fleißigen Studium derselben und der eifrigen
Lectüre guter deutscher Bücher gewann er aber doch allmählich eine ihn vor
vielen Mitschülern auszeichnende geistige Bildung und war so, beim Vorrücken
in die obern Klassen, in den Stand gesetzt, nebenbei durch Unterrichten kleiner
Kinder in einigen Familien sich einen geringen Erwerb zu verschaffen, der ihn
vor Hunger schützte.

Präsident des Obereonsistoriums und Schulephorus zu Weimar war da¬
mals Herder. Von Herders Söhnen, seinen Schulkameraden, war Friedrich
Krauße in Herders Wohnung und Garten eingeführt worden, und bei seinem
rühmlichen Streben gelang es ihm, die Gewogenheit des großen Mannes zu
erlangen. Der Plan, die Universität zu beziehen, mußte bei den ärmlichen Ver-
mögensumständen des Vaters, der überdies mehreren Söhnen theils ans Schulen,


tung und Veröffentlichung übergeben. Mit besonderen: Interesse habe ich diesen Auftrag
übernommen. Sind doch namentlich die Wilnacr Borgänge fast noch furchtbarer und ge¬
waltiger als selbst die vorausgegangenen Ereignisse bei dem Uebergange über die Berezina,
und giebt es doch in der gesammten auf den Feldzug von 1312 bezüglichen Literatur meines
Wissens keine einzige Schrift, welche jene entsetzlichen Vorgänge und Zustände mit so genauem
Detail und in so wahrheitsgetreuer und erschütternder Anschaulichkeit schilderte, wie die
Kraußischcn Aufzeichnungen. Meine Aufgabe konnte es nur sein, dieselben in stilistischer Hinsicht,
doch ohne Beseitigung ihrer eigenthümlichen Färbung, theilweise einer Redaction zu unter¬
D. Herausgeber. ziehen und eine Einleitung nebst einigen Anmerkungen hinzuzufügen.
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[0273] Tcmpadel, wenige Stunden von Jena, der Schullehrer Krauße, später Lehrer in Thalbürgeln bei Jena. In dem genannten Jahre, am 23. September, wurde ihm von seiner Fran, der Tochter des Schullehrers Rinne in Thalbürgelu, ein Sohn geboren, dem man den Namen Friedrich gab. Knapp genug mag es in dem Taupadeler Schulhause zugegangen sein, denn eine zahlreiche Familie mußte von dem spärlichen Schuleinkommen von 100 Tha¬ lern erhalten werden; doch mit einem kleinen durch Handarbeit und Obstbau erworbenen Nebenverdienst und mit Fleiß und Emsigkeit gelang es. In all den Orten, welche den Wirkungskreis des Vaters Krauße bildeten (es gehörten mehrere Filialen zu seinem Wohnorte), genoß er der allgemeinsten Liebe und Achtung. In dieser Familie wuchs, unter strenger aber liebevoller Fürsorge der Eltern, Friedrich Krauße herau. Von seinem Vater im Klavier- und Orgel¬ spiel unterrichtet, wurde er schon als achtjähriger Knabe, zitternd und zagend, in der Kirche auf die Orgelbank gehoben und mußte spielen, während sein neben ihm sitzender Vater das Pedal trat. Vom dreizehnten Jahre an besuchte er das Gymnasium zu Weimar, wurde aber dnrch die damals übliche mechanische Unter¬ richtsmethode nur langsam gefordert. Zu einiger Fertigkeit gelangte er, wie er selbst gesteht, zunächst nur in Schelmereien. Bei seiner besonderen Vorliebe für Geschichte und Geographie, seinem fleißigen Studium derselben und der eifrigen Lectüre guter deutscher Bücher gewann er aber doch allmählich eine ihn vor vielen Mitschülern auszeichnende geistige Bildung und war so, beim Vorrücken in die obern Klassen, in den Stand gesetzt, nebenbei durch Unterrichten kleiner Kinder in einigen Familien sich einen geringen Erwerb zu verschaffen, der ihn vor Hunger schützte. Präsident des Obereonsistoriums und Schulephorus zu Weimar war da¬ mals Herder. Von Herders Söhnen, seinen Schulkameraden, war Friedrich Krauße in Herders Wohnung und Garten eingeführt worden, und bei seinem rühmlichen Streben gelang es ihm, die Gewogenheit des großen Mannes zu erlangen. Der Plan, die Universität zu beziehen, mußte bei den ärmlichen Ver- mögensumständen des Vaters, der überdies mehreren Söhnen theils ans Schulen, tung und Veröffentlichung übergeben. Mit besonderen: Interesse habe ich diesen Auftrag übernommen. Sind doch namentlich die Wilnacr Borgänge fast noch furchtbarer und ge¬ waltiger als selbst die vorausgegangenen Ereignisse bei dem Uebergange über die Berezina, und giebt es doch in der gesammten auf den Feldzug von 1312 bezüglichen Literatur meines Wissens keine einzige Schrift, welche jene entsetzlichen Vorgänge und Zustände mit so genauem Detail und in so wahrheitsgetreuer und erschütternder Anschaulichkeit schilderte, wie die Kraußischcn Aufzeichnungen. Meine Aufgabe konnte es nur sein, dieselben in stilistischer Hinsicht, doch ohne Beseitigung ihrer eigenthümlichen Färbung, theilweise einer Redaction zu unter¬ D. Herausgeber. ziehen und eine Einleitung nebst einigen Anmerkungen hinzuzufügen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/273>, abgerufen am 23.07.2024.