Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.deutschem Selbstgefühl rügt, gemahnen mitunter an die mannhaften Zornes¬ So möge denn Allen, der Familie, den Erziehern und Bildnern unseres deutschem Selbstgefühl rügt, gemahnen mitunter an die mannhaften Zornes¬ So möge denn Allen, der Familie, den Erziehern und Bildnern unseres <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0251" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147345"/> <p xml:id="ID_658" prev="#ID_657"> deutschem Selbstgefühl rügt, gemahnen mitunter an die mannhaften Zornes¬<lb/> worte, mit denen Fichte die deutsche Nation zur Zeit tiefer Schmach und Selbst¬<lb/> vergessenheit zur Besinnung auf ihr besseres Ich zurückrief. Aber gleich diesem<lb/> gewaltigen Patrioten ist er weit davon entfernt, über die Verirrungen und Ver¬<lb/> kehrtheiten in unserem Bildnngsleben bloß zu schelten, zu eifern; im muthigen<lb/> Glauben an die Möglichkeit einer Heilung des schwer geschädigten deutschen<lb/> Wesens weist er auf die unversiegbarer Quellen der Verjüngung und Neuge¬<lb/> burt hin, die in allernächster Nähe und doch den Meisten ungeahnt fließen. Hilde-<lb/> brands Schrift bedünkt uns wie der Warnruf des getreuen Eckart der Sage,<lb/> an die Besten des Volkes gerichtet, welche die Pflege echten Deutschthums und<lb/> die Kräftigung deutschen Gemüthslebens als Bedürfniß und Pflicht, ja als<lb/> nothwendige Grundlage für unsere nationale Zukunft zu erkennen vermögen.<lb/> Der Schule aber wird hier von höherer Warte aus der Weg gezeigt, den sie<lb/> betreten muß, wenn sie ihre Aufgabe an dem großen nationalen Bildungs- und<lb/> Erziehungswerke innerhalb ihrer Grenzen lösen will. Ohne eine pedantische<lb/> Unterweisung bis ins Einzelne geben zu wollen, zeigt Hildebrand, wie der Lehrer<lb/> seine Aufgabe anzugreifen hat. In frischer Sprache und lebensvollen Zügen<lb/> entwirft er ein Bild der deutschen Schule der Zukunft, wie es vor seinem<lb/> Geiste steht. Die Ausführung durste er denen überlassen, die Beruf und Be¬<lb/> fähigung in sich fühlen, seine Gedanken lebengestaltend zu verwirklichen und<lb/> weiter zu entwickeln. Man lese nur recht andächtig, was für eine Fülle päda¬<lb/> gogischer Winke er ausstreut: jedes Wort ein Samenkorn, das tausendfältige<lb/> Frucht tragen muß, wenn es auf gesunde» Boden füllt. Die Arbeit, die auf<lb/> literarisch-ästhetischem Gebiete im vorigen Jahrhundert gethan worden ist, hat<lb/> Hildebrands Schrift für einen wichtigen Theil des pädagogischen und didakti¬<lb/> schen Gebietes vollzogen; auch hier heißt sie kurz gesagt: Rückkehr zur Natur,<lb/> Befreiung von: Zwange eines überlieferten todten Formalismus. Die Erziehung<lb/> hat alles möglichst aus dem Innern des ganzen, frischen, lebendigen Menschen<lb/> herauszuarbeiten, nicht gedächtnißmäßig in ihn hineinzustopfen: Darin ist das<lb/> Heil wahrer Bildung zu suchen. Wer die wichtige Kunst lernen will, das Kleine<lb/> in seinem wahren Werthe, nicht zu klein, aber auch uicht größer und bedeutender<lb/> als es ist, in seinem lebendigen Zusammenhange mit dem großen Ganzen, und<lb/> so einzig richtig, zu erkennen — und wer bedürfte dieser Kunst dringlicher als<lb/> Lehrer und Erzieher! — Hildebrands Schrift kann ihn lehren, was durch eine<lb/> liebende und verständnißvolle Hingabe auch an die kleinsten, scheinbar unbedeu¬<lb/> tendsten Erscheinungen des Sprach- und Bildungslebens zu erzielen ist; man<lb/> ahnt es, wenn man sieht, wie ein dürres Reis Leben gewinnt in der zauber¬<lb/> kräftigen Hemd dessen, der in sich volles, frisches, ganzes Leben besitzt. Von<lb/> dein Baume aber der Wissenschaft, den Jacob Grimm gepflanzt hat, ist Rudolf<lb/> Hildebrands „Deutscher Sprachunterricht" eine der edelsten und gesundesten<lb/> Früchte, die der Schule unmittelbar zu Gute kommen kann und durch sie auch<lb/> dem eigentlichen Leben.</p><lb/> <p xml:id="ID_659"> So möge denn Allen, der Familie, den Erziehern und Bildnern unseres<lb/> Volkes voran, das treffliche Werk empfohlen sein, das im ernsten und eindring¬<lb/> lichem Tone wahrhaft patriotischer und edel menschlicher Gesinnung lehrt, wie<lb/> und in welchem Sinne deutsche Art zu schirmen und zu pflegen sei.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0251]
deutschem Selbstgefühl rügt, gemahnen mitunter an die mannhaften Zornes¬
worte, mit denen Fichte die deutsche Nation zur Zeit tiefer Schmach und Selbst¬
vergessenheit zur Besinnung auf ihr besseres Ich zurückrief. Aber gleich diesem
gewaltigen Patrioten ist er weit davon entfernt, über die Verirrungen und Ver¬
kehrtheiten in unserem Bildnngsleben bloß zu schelten, zu eifern; im muthigen
Glauben an die Möglichkeit einer Heilung des schwer geschädigten deutschen
Wesens weist er auf die unversiegbarer Quellen der Verjüngung und Neuge¬
burt hin, die in allernächster Nähe und doch den Meisten ungeahnt fließen. Hilde-
brands Schrift bedünkt uns wie der Warnruf des getreuen Eckart der Sage,
an die Besten des Volkes gerichtet, welche die Pflege echten Deutschthums und
die Kräftigung deutschen Gemüthslebens als Bedürfniß und Pflicht, ja als
nothwendige Grundlage für unsere nationale Zukunft zu erkennen vermögen.
Der Schule aber wird hier von höherer Warte aus der Weg gezeigt, den sie
betreten muß, wenn sie ihre Aufgabe an dem großen nationalen Bildungs- und
Erziehungswerke innerhalb ihrer Grenzen lösen will. Ohne eine pedantische
Unterweisung bis ins Einzelne geben zu wollen, zeigt Hildebrand, wie der Lehrer
seine Aufgabe anzugreifen hat. In frischer Sprache und lebensvollen Zügen
entwirft er ein Bild der deutschen Schule der Zukunft, wie es vor seinem
Geiste steht. Die Ausführung durste er denen überlassen, die Beruf und Be¬
fähigung in sich fühlen, seine Gedanken lebengestaltend zu verwirklichen und
weiter zu entwickeln. Man lese nur recht andächtig, was für eine Fülle päda¬
gogischer Winke er ausstreut: jedes Wort ein Samenkorn, das tausendfältige
Frucht tragen muß, wenn es auf gesunde» Boden füllt. Die Arbeit, die auf
literarisch-ästhetischem Gebiete im vorigen Jahrhundert gethan worden ist, hat
Hildebrands Schrift für einen wichtigen Theil des pädagogischen und didakti¬
schen Gebietes vollzogen; auch hier heißt sie kurz gesagt: Rückkehr zur Natur,
Befreiung von: Zwange eines überlieferten todten Formalismus. Die Erziehung
hat alles möglichst aus dem Innern des ganzen, frischen, lebendigen Menschen
herauszuarbeiten, nicht gedächtnißmäßig in ihn hineinzustopfen: Darin ist das
Heil wahrer Bildung zu suchen. Wer die wichtige Kunst lernen will, das Kleine
in seinem wahren Werthe, nicht zu klein, aber auch uicht größer und bedeutender
als es ist, in seinem lebendigen Zusammenhange mit dem großen Ganzen, und
so einzig richtig, zu erkennen — und wer bedürfte dieser Kunst dringlicher als
Lehrer und Erzieher! — Hildebrands Schrift kann ihn lehren, was durch eine
liebende und verständnißvolle Hingabe auch an die kleinsten, scheinbar unbedeu¬
tendsten Erscheinungen des Sprach- und Bildungslebens zu erzielen ist; man
ahnt es, wenn man sieht, wie ein dürres Reis Leben gewinnt in der zauber¬
kräftigen Hemd dessen, der in sich volles, frisches, ganzes Leben besitzt. Von
dein Baume aber der Wissenschaft, den Jacob Grimm gepflanzt hat, ist Rudolf
Hildebrands „Deutscher Sprachunterricht" eine der edelsten und gesundesten
Früchte, die der Schule unmittelbar zu Gute kommen kann und durch sie auch
dem eigentlichen Leben.
So möge denn Allen, der Familie, den Erziehern und Bildnern unseres
Volkes voran, das treffliche Werk empfohlen sein, das im ernsten und eindring¬
lichem Tone wahrhaft patriotischer und edel menschlicher Gesinnung lehrt, wie
und in welchem Sinne deutsche Art zu schirmen und zu pflegen sei.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |