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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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zeichnet, sondern im allgemeinen mehr von den Leistungen früherer Epochen
zehrt, als selbstschöpferische, bahnbrechende Geister aufweist, hat doch auf zwei
bis dahin sehr zurückgebliebenen Gebieten der Literatur Schöpfungen von blei¬
bender Bedeutung hervorgebracht. Die tragische Kunst, die zuvor auf italieni¬
schem Boden nicht über mehr oder weniger mißlungene Anläufe, über ein bloßes
Experimentiren nach fremden Mustern gekommen war, fand in Vittorio Alfieri,
dem hente leider von der eigenen Nation zu wenig gekannten, den Genius,
der sie in neue Bahnen lenkte und zum ersten Male mit voller Würde auf dem
Kothurn zu schreiten lehrte. Das Lustspiel, das bereits erheblich früher eine
verhältnißmäßig hohe Entwicklung erreicht hatte, entbehrte dagegen eines Ver¬
treters, der sich dem großen Tragiker ebenbürtig hätte zur Seite stellen können;
wird doch kann: jemand bestreiten wollen, was schon ein competenter Zeitgenosse
von Goldonis Stücken sagte, daß höchstens vier oder fünf derselben eigentliche
Komödien, die übrigen bloße Farcen seien, die bei aller zündenden Komik in
künstlerischer Beziehung höhere Prätensionen nicht erheben können. Wohl aber
gab es noch ein Gebiet, auf welchem im 18. Jahrhundert neue Bahnen in
Italien erschlossen wurden: es ist dies das Feld der Satire, das bisher, um
von Geistern zweiten und dritten Ranges hier zu schweigen, nur von Ariost
und Menzini, von jenem in leichtem und graziösen, von diesem in oft etwas
ungelenken und outrirtem Stile mit Erfolg bebaut, durch Giuseppe Pariui
eine Wiederbelebung und Erneuerung erfuhr, die als eine epochemachende That
in der italienischen Literaturgeschichte dasteht.

Um die Werke eines Satirikers zu verstehen, ist es mehr als bei irgend
einem anderen Schriftsteller geboten, sich mit den Zeitverhältnissen, aus denen
er hervorwuchs, sowie mit seinem Lebensgange vertraut zu machen, da nur dies
eiuen sicheren Maßstab zur Beurtheilung seiner Schöpfungen darbietet. Parmi
erblickte als Kind einer armen, aber ehrbaren Familie am 22. Mai 1729 in
dem kleinen, im Mailändischen gelegenen Flecken Bosisio das Licht der Welt.
Von seinem Vater, der ihn zärtlich liebte, wurde der Knabe für den geistlichen
Stand bestimmt und dem Gymnasium Areimboldi zu Mailand als Zögling
übergeben, wo sich frühzeitig der philosophische und poetische Sinn in ihm regte.
Seine kümmerliche Lage zwang ihn jedoch bald, sich -- und nach des Vaters
Tode auch der Mutter -- als Copist und später als Zeitungsschreiber den
Lebensunterhalt zu erwerben, wobei er indeß durch stete Lectüre der lateinischen
und italienischen Klassiker sich geistig weiterzubilden bestrebt war. Von Jugend
an schwach und kränklich, wäre er vielleicht den Anstrengungen und Entbehrungen
einer so unsicheren Existenz erlegen, wenn er nicht 1754 durch eine Anstellung
als Lehrer bei den aristokratischen Familien der Borrvmeo und Serbellvni einen
materiellen Halt gefunden hätte. Damit erhielt er ferner zugleich die Gelegen-


zeichnet, sondern im allgemeinen mehr von den Leistungen früherer Epochen
zehrt, als selbstschöpferische, bahnbrechende Geister aufweist, hat doch auf zwei
bis dahin sehr zurückgebliebenen Gebieten der Literatur Schöpfungen von blei¬
bender Bedeutung hervorgebracht. Die tragische Kunst, die zuvor auf italieni¬
schem Boden nicht über mehr oder weniger mißlungene Anläufe, über ein bloßes
Experimentiren nach fremden Mustern gekommen war, fand in Vittorio Alfieri,
dem hente leider von der eigenen Nation zu wenig gekannten, den Genius,
der sie in neue Bahnen lenkte und zum ersten Male mit voller Würde auf dem
Kothurn zu schreiten lehrte. Das Lustspiel, das bereits erheblich früher eine
verhältnißmäßig hohe Entwicklung erreicht hatte, entbehrte dagegen eines Ver¬
treters, der sich dem großen Tragiker ebenbürtig hätte zur Seite stellen können;
wird doch kann: jemand bestreiten wollen, was schon ein competenter Zeitgenosse
von Goldonis Stücken sagte, daß höchstens vier oder fünf derselben eigentliche
Komödien, die übrigen bloße Farcen seien, die bei aller zündenden Komik in
künstlerischer Beziehung höhere Prätensionen nicht erheben können. Wohl aber
gab es noch ein Gebiet, auf welchem im 18. Jahrhundert neue Bahnen in
Italien erschlossen wurden: es ist dies das Feld der Satire, das bisher, um
von Geistern zweiten und dritten Ranges hier zu schweigen, nur von Ariost
und Menzini, von jenem in leichtem und graziösen, von diesem in oft etwas
ungelenken und outrirtem Stile mit Erfolg bebaut, durch Giuseppe Pariui
eine Wiederbelebung und Erneuerung erfuhr, die als eine epochemachende That
in der italienischen Literaturgeschichte dasteht.

Um die Werke eines Satirikers zu verstehen, ist es mehr als bei irgend
einem anderen Schriftsteller geboten, sich mit den Zeitverhältnissen, aus denen
er hervorwuchs, sowie mit seinem Lebensgange vertraut zu machen, da nur dies
eiuen sicheren Maßstab zur Beurtheilung seiner Schöpfungen darbietet. Parmi
erblickte als Kind einer armen, aber ehrbaren Familie am 22. Mai 1729 in
dem kleinen, im Mailändischen gelegenen Flecken Bosisio das Licht der Welt.
Von seinem Vater, der ihn zärtlich liebte, wurde der Knabe für den geistlichen
Stand bestimmt und dem Gymnasium Areimboldi zu Mailand als Zögling
übergeben, wo sich frühzeitig der philosophische und poetische Sinn in ihm regte.
Seine kümmerliche Lage zwang ihn jedoch bald, sich — und nach des Vaters
Tode auch der Mutter — als Copist und später als Zeitungsschreiber den
Lebensunterhalt zu erwerben, wobei er indeß durch stete Lectüre der lateinischen
und italienischen Klassiker sich geistig weiterzubilden bestrebt war. Von Jugend
an schwach und kränklich, wäre er vielleicht den Anstrengungen und Entbehrungen
einer so unsicheren Existenz erlegen, wenn er nicht 1754 durch eine Anstellung
als Lehrer bei den aristokratischen Familien der Borrvmeo und Serbellvni einen
materiellen Halt gefunden hätte. Damit erhielt er ferner zugleich die Gelegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/221>, abgerufen am 23.07.2024.