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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Er beschränkt sich auf die Erregung der Sinne und bleibt somit in der Vorhalle
des ästhetischen Wohlgefallens.

Einen eigenthümlichen Versuch brachte die Darstellung, die wir als zweite
Stufe bezeichnen würden: uncolorirte Illustrationen sollten ihre malerische
Lebensfähigkeit durch das Experiment als lebendes Bild beweisen. Es liegt
diesem Experiment das Mißverständniß der sehr Verschiedellen Aufgaben der
Illustration und des Bildes zu Grunde. Während dieses ein selbständiges, in
sich abgeschlossenes Ganzes geben soll, hat jene die Aufgabe, der nach der einen
oder anderen Seite hin schwächlichen Phantasie des Lesers zu Hilfe zu kom¬
men. Sie soll ihm eine bestimmte Vorstellung von Person, Tracht, Localität
geben, sie soll, wenn sie ihre Aufgabe tiefer faßt, die Charakteristik bestimmter
Personen schärfer ausprägen helfen, damit der dem Dichter nachringenden Phan¬
tasie des Lesers die Leiter gegeben werde, ohne welche sie nicht zu der Höhe
der dichterischen Anschauung emporklimmen kann. Dazu benutzt der Illustrator
Situationen, welche ihm die Dichtung darbietet, Situationen, welche ihre Bedeu¬
tung im Fortgange der Erzählung, nicht in sich selbst tragen, und welche, wie
sie ihrerseits zum Verständniß des Dichters oder Erzählers beitragen sollen,
selbst eine Ergänzung aus dem Texte erwarten. Daß der Illustrator darüber
hinausgehen und ein Bild mit voller Selbständigkeit schassen kann, ist nicht zu
bezweifeln; dann ist er aber kein Illustrator mehr und überschreitet die ihm
gestellte Aufgabe einer Texterläuterung. A. von Werner ist aber in den beiden
Illustrationen "Jung Werner beim Schwarzwülder Pfarrherrn" und "Wie Jung
Werner beim Freiherrn Trompeter ward" nicht, über seine Aufgabe hinausge¬
gangen, und ihre Wahl als Gegenstand selbständig auftretender lebender Bilder
war daher eine unglückliche. Ja, wenn noch die Mittheilung des Textes damit
verbunden gewesen wäre! Da sitzt aber bei dem still zuhörenden Pfarrherrn
Jung Werner mit der Handgeberde des seine Erzählung mit Gesticulationen
begleitenden; wir lauschen und lauschen und hören nichts. Im Buche lesen
wir was er spricht: der Text illustrirt die Zeichnung, die Zeichnung den Text.
Noch schlimmer ist es im zweiten Falle. Wir erwarten zu sehen, wie Jung
Werner beim Freiherrn Trompeter ward, und sehen, wie des Freiherrn Töchter¬
lein dem Trompeter ein Glas Wein reicht, das er ihr abzunehmen im Begriff
steht -- in Verbindung mit dem Text allerliebst, ohne den Text, zumal mit
dieser Ueberschrift, unvollständig, ja geradezu unverständlich und darum der Wir¬
kung entbehrend. Hier war also zwar die künstlerische Verarbeitung, welche die
ästhetische Auffassung vorbereitet und rasch und sicher ermöglicht, von Seiten des
Künstlers innerhalb der ihm gestellten Grenzen durchgeführt, diese Grenzen selbst
aber sind nicht bis zur Möglichkeit einer selbständigen Existenz erweitert. Nicht


Grenzboten III- 13S0. 23

Er beschränkt sich auf die Erregung der Sinne und bleibt somit in der Vorhalle
des ästhetischen Wohlgefallens.

Einen eigenthümlichen Versuch brachte die Darstellung, die wir als zweite
Stufe bezeichnen würden: uncolorirte Illustrationen sollten ihre malerische
Lebensfähigkeit durch das Experiment als lebendes Bild beweisen. Es liegt
diesem Experiment das Mißverständniß der sehr Verschiedellen Aufgaben der
Illustration und des Bildes zu Grunde. Während dieses ein selbständiges, in
sich abgeschlossenes Ganzes geben soll, hat jene die Aufgabe, der nach der einen
oder anderen Seite hin schwächlichen Phantasie des Lesers zu Hilfe zu kom¬
men. Sie soll ihm eine bestimmte Vorstellung von Person, Tracht, Localität
geben, sie soll, wenn sie ihre Aufgabe tiefer faßt, die Charakteristik bestimmter
Personen schärfer ausprägen helfen, damit der dem Dichter nachringenden Phan¬
tasie des Lesers die Leiter gegeben werde, ohne welche sie nicht zu der Höhe
der dichterischen Anschauung emporklimmen kann. Dazu benutzt der Illustrator
Situationen, welche ihm die Dichtung darbietet, Situationen, welche ihre Bedeu¬
tung im Fortgange der Erzählung, nicht in sich selbst tragen, und welche, wie
sie ihrerseits zum Verständniß des Dichters oder Erzählers beitragen sollen,
selbst eine Ergänzung aus dem Texte erwarten. Daß der Illustrator darüber
hinausgehen und ein Bild mit voller Selbständigkeit schassen kann, ist nicht zu
bezweifeln; dann ist er aber kein Illustrator mehr und überschreitet die ihm
gestellte Aufgabe einer Texterläuterung. A. von Werner ist aber in den beiden
Illustrationen „Jung Werner beim Schwarzwülder Pfarrherrn" und „Wie Jung
Werner beim Freiherrn Trompeter ward" nicht, über seine Aufgabe hinausge¬
gangen, und ihre Wahl als Gegenstand selbständig auftretender lebender Bilder
war daher eine unglückliche. Ja, wenn noch die Mittheilung des Textes damit
verbunden gewesen wäre! Da sitzt aber bei dem still zuhörenden Pfarrherrn
Jung Werner mit der Handgeberde des seine Erzählung mit Gesticulationen
begleitenden; wir lauschen und lauschen und hören nichts. Im Buche lesen
wir was er spricht: der Text illustrirt die Zeichnung, die Zeichnung den Text.
Noch schlimmer ist es im zweiten Falle. Wir erwarten zu sehen, wie Jung
Werner beim Freiherrn Trompeter ward, und sehen, wie des Freiherrn Töchter¬
lein dem Trompeter ein Glas Wein reicht, das er ihr abzunehmen im Begriff
steht — in Verbindung mit dem Text allerliebst, ohne den Text, zumal mit
dieser Ueberschrift, unvollständig, ja geradezu unverständlich und darum der Wir¬
kung entbehrend. Hier war also zwar die künstlerische Verarbeitung, welche die
ästhetische Auffassung vorbereitet und rasch und sicher ermöglicht, von Seiten des
Künstlers innerhalb der ihm gestellten Grenzen durchgeführt, diese Grenzen selbst
aber sind nicht bis zur Möglichkeit einer selbständigen Existenz erweitert. Nicht


Grenzboten III- 13S0. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/194>, abgerufen am 25.08.2024.