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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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und Minima aber wahrend des ganzen Jahres liegen im Walde um 4 bis 8°
näher bei einander, als im freie" Felde.

Wie aber die Pflanzendecke und in erster Linie der Wald als der große
Regulator sich erweist für die Wärme und Feuchtigkeit, d. h. für unser Klima,
so wird er durch das Wasser auch zum Regulator der Fruchtbarkeit unseres
Bodens und damit der Lebenserhaltung für Thier- und Menschenwelt. So die
Natur.

Wie wirthschaftet nun das deutsche Volk mit seinem Wasser? Die Un-
wirthschaftlichkeit unserer Vorfahren, welche schonungslos die herrlichsten Forsten
niedergeschlagen haben, ohne für die Nachpflanzung und Neueiuschonung zu sorgen,
ist schuld daran, wenn die Vegetation erstarrt, weil die Erde die nährende Kraft
verloren hat; sie ist schuld daran, daß Armuth herrscht, da wo vor kaum hun¬
dert Jahren noch ein behagliches Dasein die Arbeit fleißiger Leute lohnte. So
klagen traurig die heutigen Bewohner solcher Landstriche. Und heute? Heute
weiß man es, was man vor hundert Jahren noch nicht wußte, daß der Rück¬
gang der wirthschaftlichen Cultur des Landes und dadurch mit Naturnothwen¬
digkeit die Degeneration seiner Bewohner in directen Verhältniß steht zu dem
Mangel an Pflege und Verständniß der Forstcultur. Aber obgleich man das
weiß, trägt dem der Einzelne doch auch heute noch keine Rechnung, handelt nicht
nach den Forderungen des Gemeinwohles, sondern nach seinem eigenen altgell-
blicklichen Interesse, gleichgiltig für die Folgen, welche kommenden Geschlechtern
aus seinem verwüstenden Thun erwachsen müssen.

Noch bis vor 60 oder 70 Jahren überstieg die Holzproduction den Bedarf,
so daß Deutschland sich selbst genügte. Auf der hohen Rhön, die seit Alters
schon als Schmerzenskind angesehen wurde bei den Regierungen von Sachsen-
Weimar, Baiern und Hessen, jetzt Preußen, zu deren Gebiete sie gehört, lebte
sich's in jener Zeit doch immer noch erträglich. Ani Frankenheim stand damals
ein hoher Wald. Die Bewohner befanden sich wohl hinter demselben, denn
man konnte noch Weizen bauen. Und heute? Der schützende Wald ist ver¬
schwunden, der Feldbau auf der entblößten langen Rhön ist ganz und gar ein¬
gegangen, und rings um Frankenheim wird nur noch Gerste reif. Durch diese
Verödung der Natur aber sind die bedauernswürdigen Bewohner so verarmt,
daß sie dem Boden kaum so viel abgewinnen können, um neun Monate von
Kartoffeln und drei Monate von elendem Haferbrote, öfters ohne Salz und
Würze, zu leben. Solche unverkennbare Beweise der Fruchtbarkeitsabnahme der
Erde finden sich aber überall in ganz Deutschland. Ihre nach und nach ver¬
wüstete und ausgebeutete Pflanzendecke fängt an aufzuhören, den Bedürfnissen
körperlich und geistig vollkommener Menschen zu genügen, und so verfallen diese,
zwar langsam aber stetig, der Armuth und dem Proletariat. Leicht ist man


und Minima aber wahrend des ganzen Jahres liegen im Walde um 4 bis 8°
näher bei einander, als im freie» Felde.

Wie aber die Pflanzendecke und in erster Linie der Wald als der große
Regulator sich erweist für die Wärme und Feuchtigkeit, d. h. für unser Klima,
so wird er durch das Wasser auch zum Regulator der Fruchtbarkeit unseres
Bodens und damit der Lebenserhaltung für Thier- und Menschenwelt. So die
Natur.

Wie wirthschaftet nun das deutsche Volk mit seinem Wasser? Die Un-
wirthschaftlichkeit unserer Vorfahren, welche schonungslos die herrlichsten Forsten
niedergeschlagen haben, ohne für die Nachpflanzung und Neueiuschonung zu sorgen,
ist schuld daran, wenn die Vegetation erstarrt, weil die Erde die nährende Kraft
verloren hat; sie ist schuld daran, daß Armuth herrscht, da wo vor kaum hun¬
dert Jahren noch ein behagliches Dasein die Arbeit fleißiger Leute lohnte. So
klagen traurig die heutigen Bewohner solcher Landstriche. Und heute? Heute
weiß man es, was man vor hundert Jahren noch nicht wußte, daß der Rück¬
gang der wirthschaftlichen Cultur des Landes und dadurch mit Naturnothwen¬
digkeit die Degeneration seiner Bewohner in directen Verhältniß steht zu dem
Mangel an Pflege und Verständniß der Forstcultur. Aber obgleich man das
weiß, trägt dem der Einzelne doch auch heute noch keine Rechnung, handelt nicht
nach den Forderungen des Gemeinwohles, sondern nach seinem eigenen altgell-
blicklichen Interesse, gleichgiltig für die Folgen, welche kommenden Geschlechtern
aus seinem verwüstenden Thun erwachsen müssen.

Noch bis vor 60 oder 70 Jahren überstieg die Holzproduction den Bedarf,
so daß Deutschland sich selbst genügte. Auf der hohen Rhön, die seit Alters
schon als Schmerzenskind angesehen wurde bei den Regierungen von Sachsen-
Weimar, Baiern und Hessen, jetzt Preußen, zu deren Gebiete sie gehört, lebte
sich's in jener Zeit doch immer noch erträglich. Ani Frankenheim stand damals
ein hoher Wald. Die Bewohner befanden sich wohl hinter demselben, denn
man konnte noch Weizen bauen. Und heute? Der schützende Wald ist ver¬
schwunden, der Feldbau auf der entblößten langen Rhön ist ganz und gar ein¬
gegangen, und rings um Frankenheim wird nur noch Gerste reif. Durch diese
Verödung der Natur aber sind die bedauernswürdigen Bewohner so verarmt,
daß sie dem Boden kaum so viel abgewinnen können, um neun Monate von
Kartoffeln und drei Monate von elendem Haferbrote, öfters ohne Salz und
Würze, zu leben. Solche unverkennbare Beweise der Fruchtbarkeitsabnahme der
Erde finden sich aber überall in ganz Deutschland. Ihre nach und nach ver¬
wüstete und ausgebeutete Pflanzendecke fängt an aufzuhören, den Bedürfnissen
körperlich und geistig vollkommener Menschen zu genügen, und so verfallen diese,
zwar langsam aber stetig, der Armuth und dem Proletariat. Leicht ist man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/158>, abgerufen am 25.08.2024.